Martin Wannhoff

Morality and fear


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rannten die beiden in die Richtung aus der sie gekommen waren. Die Rauchschwaden, die sich ihnen entgegen wallten, verrieten, dass nicht nur das Fass in Flammen stand. Binnen nicht einmal drei Minuten war die ganze Vorhalle ein riesiges Inferno geworden. Anders als im Kesselraum war das Dach hier nicht mit Aluminiumplatten verkleidet, sondern bestand aus geteertem Holz.

      Explosionsartig hatte sich das Feuer über den geteerten Dachstuhl ausgebreitet. Als erstes gingen die Fenster in Dachnähe aufgrund der gewaltigen Hitze zu Bruch. Das Feuer grollte laut. Es war eine Frage von Sekunden, bis das Dach zusammenbrechen würde. Einzelne Bretter lösten sich und fielen wie qualmende Aschestücke zu Boden. Die Halle in Richtung Ausgang zu passieren war lebensgefährlich, zumal es überall krachte und zischte. Der ganze Prassel, der herumstand, Diebesgut, Lebensmittel, Autozubehör, stand lichterloh in Flammen. Von den drei Kerlen war nichts zu sehen. Nuncio konnte nur ganz kurz das Benzinfass inmitten der flirrenden Hitze erkennen. Stevenson starrte unentwegt in das Feuer über ihm. Es sah beängstigend aus.

      So musste die Hölle aussehen. Man merkte den Sog des Feuers nach oben. Das Gebäude wurde zu einem Schornstein. Von unten versorgte es sich mit Sauerstoff und der Rauch zog nach oben ab. Dazu kam der Regen, der auf das Feuer fiel und sofort verdampfte. Dieser Effekt verlieh dem Brand etwas Übernatürliches. Als ob Gott sie strafen wollte für all das Leid, dass sie in Sansones Namen über die Stadt gebracht hatten. Wieder eine Explosion. Mit Entsetzen bemerkten die beiden, dass nun auch das Dach in diesem Verbindungsgang hinter ihnen in Flammen stand.

      Nuncio brüllte Stevenson an:

      „Wir müssen raus, ich habe keine Lust, gegrillt zu werden, los!“

      Vom Mut der Verzweiflung getrieben rannte Nuncio wie ein angestochener Hund durch die Halle Richtung Stahltor - es glühte. Stevenson aber konnte seine Beine nicht bewegen.

      Zu erschüttert war er über das, was er sah. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Gerade hatte er sich überwunden und wollte sich Nuncio folgend in Bewegung setzen, da senkte sich der Dachstuhl und Mauerteile fielen zu Boden. Es grollte, knackte und donnerte, Nuncio aber war noch nicht am Ausgang.

       „Das Dach bricht ein!“

      rief er so laut er konnte. Sein Gesicht schmerzte. Alles war voller Platzwunden und Blut. Jetzt kam die Hitze der Feuersbrunst dazu. Die Schmerzen nahm er erst jetzt, als er sich abwandte, richtig wahr und fing an zu schreien. Er machte einen Sprung zur Seite und eine Wolke aus glühender Asche und Rauch umgab ihn. Der Boden erzitterte unter der Last des herabstürzenden Daches. Die Luft war so heiß, dass man sie nicht einatmen konnte. Für einen Moment dachte er, er sei tot. Alles um ihn herum bebte und er fing an zu weinen. Nuncio hatte es mit Sicherheit nicht geschafft. Wie in Trance erlebte er die nächsten zwei Minuten. Sein Leben zog an ihm vorbei und er bereute es, damals bei Sansone eingestiegen zu sein.

      Panische Angst über die Folgen wurden in ihm groß. Was würde der Don sagen, wenn er überlebt hatte, Nuncio aber nicht? Er erhob sich langsam und spähte durch die Tür. Das Dach war komplett heruntergekommen. Es lag zerschellt auf dem Hallenboden und wurde durch den starken Regen langsam gelöscht. Die Stahltore hingen hilflos schief in den Wänden, sie hatten sich in der Hitze völlig verzogen. Über ihm brannte es noch immer. Ein herunterfallendes Brett, welches ihn nur knapp verfehlte, holte ihn zurück in die Realität. Wenigstens er musste hier raus, wenn es Nuncio schon nicht geschafft hatte. Vor ihm glühte das Dach weiter und war unpassierbar. Er kehrte um und lief in den Kesselraum zurück. Der war voller Rauch. Aber das Dach war hier noch intakt. Irgendwo am anderen Ende mussten die LKW-Ladetore sein. Er stolperte keuchend und hustend, blind durch die Dunkelheit. Endlich war er am Ende der Halle angekommen und fand, dem Luftzug folgend eine Tür. Er fand ein staubiges Lager voller leerer Holzregale vor. Die Tore waren verschlossen. Über eine Kette ließen sie sich öffnen, doch waren sie noch anderweitig verriegelt. Nun spielte die Regel, keine Schusswaffen zu gebrauchen, auch keine Rolle mehr. Er zückte seinen Colt und schoss vier Kugeln auf das Schloss ab. Die Tür sprang blitzartig auf und kalte, regnerische Nachtluft wallte ihm entgegen. Stevenson hatte es geschafft.

      Hinter ihm donnerte es in der Halle. Aber das war ihm jetzt egal. Das Leben hatte ihn wieder und er sendete ein Stoßgebet zum Himmel. Was aber war mit Nuncio? Er machte sich sogleich auf den Weg, zum Nordende der Halle. Da stand er nicht. Also hatte ihn das Dach doch erwischt. Er sackte zusammen. Warum musste ihm das passieren? Er entrang seiner Kehle ein lautes „Warum!“ aber sogleich übertönte das Grollen des Donners seine Stimme.

      Der Regen hatte etwas nachgelassen. Dichte Rauchschwaden drangen weiter hervor, aber die Flammen und ihr Schein waren bald nicht mehr auszumachen.

      Plötzlich vernahm Stevenson hinter sich Schritte. Er war verstört. Wer konnte das sein? Die Feuerwehr, die Polizei, oder Nuncio? Er drehte sich abrupt um und sah zwei Männer auf sich zu rennen.

       „Da ist noch einer von der Mafia! Schieß ihn um, John!“

      Bevor er reagieren konnte, bekam er eine Kugel in den Unterleib und sackte schmerzerfüllt zusammen. Die Männer rannten in Richtung der brennenden Halle und stiegen in eines der Autos. Und plötzlich, wie aus heiterem Himmel stand Nuncio vor ihm:

      „Steve, bist du Ok? Verdammt, du blutest ja ganz übel! Naja, wenigstens hast du es aus der Halle geschafft. Los, Mann! Wir müssen hinterher.“

      John und der andere hatten sich in den neuen Chrysler gesetzt und hätten beinahe noch Nuncio über den Haufen gefahren. Stevenson rappelte sich auf. Er konnte gehen. Die Schusswunde entpuppte sich vorerst als Streifschuss, ohne dass es Knochen, oder gar lebenswichtige Organe getroffen hätte. Er konnte vor Schmerz kaum noch. Aber Wut und Adrenalin trieben ihn an, Freude, das Nuncio nicht tot, sondern am Leben war. Ein Hochgefühl, dass er selber noch lebte. All das verband sich zu einem Gefühl grenzenloser Macht und setzte noch einmal ungeahnte Kräfte frei. Der Regen kühlte das geschwollene und verbrannte Gesicht. Seine Augenbrauen waren versengt und seine Frisur war auch nicht mehr vollständig. Zu groß war die Hitze gewesen. Erfassen konnte er das Erlebte sowieso noch nicht. Er rannte Nuncio hinterher und zum Wagen.

      Der Chrysler hatte eine Schranke durchbrochen und schon einen großen Vorsprung herausgefahren. Ob sie ihn noch einholen würden war fraglich. Aber dennoch peitschte Stevenson den F8 nach vorn.

       „Fühlst du dich in Ordnung, kannst du fahren?“

      fragte Nuncio. Stevenson nickte und drosch die Schaltung in den zweiten Gang. Er zog den Wagen um eine Kurve und stellte sich auf eine Verfolgungsjagd ein, die sein Können einmal mehr unter Beweis stellen würde. Er konnte gerade noch die Gischt des Wagens vor ihm erkennen und setzte nach, wieder um eine enge Kurve. Das Heck brach aus. Fluchend lenkte Stevenson gegen, doch er konnte den Wagen nicht mehr abfangen. Man hatte die Straßen seit einem Jahr nicht gesäubert. Durch den Dreck verlor er die Kontrolle. Dreimal drehte sich der Falconer um sich selbst und kam, glücklicherweise ohne etwas gerammt zu haben, zum Stehen. Sie mussten sich erst einmal orientieren. Von wo waren sie gekommen? Hatten sie den Wagen tatsächlich verloren? Den Motor hatte es abgewürgt, Regen fiel auf die Haube. Doch im Scheinwerferlicht erkannten sie das Auto, dem sie nachgesetzt hatten. Der Chrysler war in der Kurve auch ins Schleudern geraten und hatte sich bis zur Unkenntlichkeit um einen Laternenmast gewickelt.

      Stevenson und Nuncio näherten sich dem traurigen Rest des völlig zerstören, futuristischen Wagens. Der Fahrer hatte eine dicke Platzwunde am Kopf. Blut floss ihm ins Gesicht aber er lebte. Es war jener Typ im Anzug, der Marylane bedroht hatte. Stevenson zückte seinen Colt und richtete ihn auf den wehrlosen, jungen Mann. Seine Hand zitterte, denn er wusste nicht, ob es das wert war. Hatte dieser nicht genug gelitten? Alle seine Freunde waren tot und er selbst hatte seinen neuen Wagen zu Schrott gefahren. Der Beifahrer war offenbar beim Aufprall getötet worden. Ihn hatte es zwischen Laternenmast und Tür eingeklemmt. War das alles nicht genug Rache für einen jungen Burschen, der eigentlich nichts weiter gemacht hatte? Stevenson zweifelte, ob es das Richtige war. Es überkam ihn in diesem Moment und eine Träne rollte über seine Wange. Er hatte all das Leid dieser Nacht vor Augen. Die mörderische Gewalt, die sinnlose Zerstörung. Er war einfach nicht im Stande, ihn zu erschießen.

      „Nun