Martin Wannhoff

Morality and fear


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den Menschen gelegt. Es war besser, diese Grenze nicht zu überschreiten. War es aber einmal getan, zerbrach im Inneren des Täters etwas.

      Luigi nannte es das Gewissen, Nuncio die Achtung vor dem Leben. Man stumpfte in schrecklicher Weise ab und verlor den Blick für den Wert des Lebens – auch des eigenen. An ihre ersten Morde konnten sich die beiden noch ganz genau erinnern. Das Gesicht des Opfers hatten sie vor sich. Den zweiten Mord hingegen hatten sie schon vergessen.

      Sie traten wieder in den Speisesaal. Auf einmal standen sie einem bewaffneten Mann gegenüber. Seine Augen standen eng beieinander und seine große Nase verliehen ihm die Gesichtszüge einer Krähe.

       „Ihr bleibt schön hier und versucht mir ja nicht zu folgen!“

      Daraufhin gab er zwei Schüsse ab und verschwand durch den Haupteingang nach draußen. Perplex schauten sie ihm nach. Eine Kugel hatte Nuncio in der Bauchgegend getroffen. Er sackte zusammen, Stevenson versuchte ihn zu stützen. Nuncio keuchte:

       „Schnappt euch diesen Bastard! Er hat unsere Kohle!“

      Unverzüglich nahmen Luigi und Stevenson die Verfolgung auf, nachdem sie Nuncio auf einen Stuhl gesetzt hatten.

       „Was für ein Abend.“

      schäumte Luigi. Der Verfolgte gab alles. Durch die kurvigen Landstraßen wagte er riskante Überholmanöver.

      Mittlerweile war es stockdunkel, aber im Licht des F8 war der Schubert gut zu sehen. Dieser vier Jahre alte Wagen war zwar recht solide, lag aber bei weitem nicht so gut auf der Straße, wie der F8. Dennoch hatte Stevenson alle Mühe mitzuhalten. Er wollte beim Überholen nicht Kopf und Kragen riskieren. Die beiden verfügten über das bessere Auto, also konnte die Krähe ihnen gar nicht entwischen.

      Immer weiter fuhr der Schubert durch die Nacht. Manchmal vergrößerte er den Abstand. Aber Stevenson blieb dran.

      Luigi forderte ihn auf, näher ran zu fahren, damit er schießen könne. Nach etlichen Kilometern kamen die beiden Autos an einen Tunnel, welcher mehrere hundert Meter geradeaus verlief. Jetzt trat Stevenson drauf und Luigi machte sich bereit. Er feuerte ein Dutzend Kugeln auf den Schubert ab. Er traf einen der beiden Hinterreifen. Bei der hohen Geschwindigkeit zog es den Schubert nach links. Der Fahrer lenkte zwar noch gegen aber er verlor die Kontrolle und krachte gegen einen hervorstehenden Tunnelpfeiler.

      Stevenson ging zuerst vorsichtig auf die Bremse, damit es Luigi nicht aus dem Wagen katapultierte. Dieser drückte sich ins Innere, so konnte er stärker bremsen. Der Abstand wurde dennoch gefährlich gering. Fast sah es so aus, als ob sie in den Schubert krachten. Stevenson trat das Pedal voll durch, die Reifen quietschten und erzeugten eine schwarze Bremsspur auf dem Beton. Schließlich brachte er den Wagen ohne einen Kratzer zum Stehen. Völlig demoliert blieb der Schubert auf dem Dach liegen. Luigi stieg aus und untersuchte den Unfallort. Es bot sich ein trauriger Anblick.

      Der Fahrer war beim Aufprall durch die Frontscheibe geflogen. Sansones Geldkoffer hatte es ebenfalls aus dem Wagen geschleudert. Luigi fand ihn rasch, nahm ihn an sich und stieg wieder zu Stevenson ins Auto.

       „Machen wir, dass wir hier wegkommen!“

      Mit einem düsteren Gesicht fuhr Stevenson zurück.

      Unverständnis und Wut brodelten in ihm. Sollte er sie in Worte fassen oder war es besser den Mund zu halten? In welcher Weise war es gestattet, das Geschehen zu kritisieren? Er wusste es nicht. Schließlich überkam es ihn doch:

      „Ich habe heute zwei Menschen getötet. Und ich musste ein Massaker mitmachen. Außerdem hätte ich beinahe meinen ersten Unfall gebaut. Ich habe mir in die Hosen gepinkelt, vor Angst! Wenn das die Routine ist, von der Sansone gesprochen hat, dann frag ich mich ernsthaft, wie der nächste Job aussieht.“

      Luigi rümpfte erst die Nase, ließ sich aber auf eine Diskussion ein und beruhigte ihn:

      „Das ist eben so in diesem Geschäft. Wir lassen den Leuten die Wahl. Entweder sie spielen mit, oder sie tragen die Konsequenzen. Wer nach unseren Regeln spielt, der hat doch nichts zu befürchten. Was heute Abend passiert ist, ist nicht unsere Schuld. Das ist allein auf dem Mist von Bill Custom gewachsen. Wenn er nicht versucht hätte, mit Massimo zu kollaborieren, würden die ganzen Männer jetzt noch leben.“

      Zurück am Motel sammelten sie Nuncio ein und fuhren ihn zu einem Arzt.

      „Jungs, so ein Massaker habe ich noch nie erlebt. Es gibt sieben Tote, auch Bill ist darunter. Nur dessen Frau hat überlebt und voller Panik die Bullen gerufen.“

      Sie fuhren an die Bar, stellten den Wagen ab, brachten die Waffen zu Perpone und übergaben einem zufriedenen Don Sansone die Einnahmen des heutigen Abends, fast 1000

      Dollar.

       Zweites Intermezzo 1939

      „Sie machen Witze oder? Wie konntet ihr das schaffen? Ne Handvoll Gangster einfach abgeknallt und selber noch am Leben! Das war für Sansone eine fabelhafte Bilanz, oder?“

      Stevenson nickte mit dem Kopf. Dass die Polizei gerufen wurde, hatte Richardson hellhörig gemacht. Er konnte nicht fassen, dass seine Kollegen nach so einem üblen Massaker einfach wieder abgezogen waren. Was war damals nur mit dem Polizeiapparat los? Wie konnte so etwas passieren, ohne dass höhere Beamte Verantwortung übernahmen und Ermittlungen einleiteten? Es war unbegreiflich, dass eine solche Auseinandersetzung einfach so in den Akten „verlorenging“. Es hätte Berichte, Tatortbeschreibungen, Fotos und Zeitungsartikel geben müssen. Aber nichts dergleichen war geschehen. Nicht einmal die Namen der Toten hatte man erfasst.

      „Sie sind doch Polizist, Detective. Sie wissen genauso gut wie ich, das Sansone die ganze Stadt kontrolliert und mit diesem Geschäft mittlerweile über 25 Millionen Dollar im Jahr macht.

      Die Polizei ist nur eine Marionette, damals wie heute. Ihre Kollegen und Vorgesetzten hier in der Stadt bekamen während der Prohibition Alkohol zum Einkaufspreis, und kassierten monatlich dicke Prämien von Sansone und Massimo für besondere Dienste. Verfahren eingestellt… aus Mangel an Beweisen. Man musste nur die richtigen Leute kaltstellen. In jenen Tagen reichte es aus, mit dem Verlust des Jobs zu drohen.

      Dann hörten die Cops auf, in Dingen wie diesen zu ermitteln.

      So war das Leben für alle Beteiligten angenehmer. Wissen Sie, wer Geld hat, besitzt auch Macht. Sansone hat heute enormen Einfluss auf den Stadtrat. Und um 1930/31 zahlte Massimo dem Stadtratsvorsitzenden Oregan zehn Riesen im Monat, nur um an interne Informationen aus dem Rathaus zu kommen. Außerdem konnte er über ihn Einfluss auf die Beschlüsse des Stadtrates nehmen. Morello war uns damit immer einen Schritt voraus.

      Wir erfuhren die Dinge aus der Zeitung während er sogar wusste, wann und wo eine geheime Razzia geplant war.“

      Die Schäden, die durch Korruption entstehen, sind nicht zu beziffern. Es gibt verschiedene Formen. Korruption in der Politik etwa ist eine der schlimmsten Formen des Betruges, weil es der ganzen Gesellschaft schadet, und schlimmstenfalls keiner einzigen Person etwas bringt. Der bestochene Politiker ist auf ewig verdammt dazu, sich dieser Hand auszusetzen, die ihn bestach. Der damit verbundene Amtsmissbrauch durch Vorteilsnahme ruiniert binnen kürzester Zeit das Vertrauen in die etablierte Politik. Das kann im schlimmsten Fall radikalen Kräften zu Macht verhelfen, die die Werte des Westens torpedieren. Bei der Vergabe von Bauaufträgen können Unternehmen bevorteilt werden, die Leistungen schlechter als andere oder gar nicht erbringen. Es werden Preise ausgehandelt, von denen jeder weiß, dass diese nicht zu halten sind. Beim Bau von öffentlichen Gebäuden zieht das fatale Kostenexplosionen nach sich. Es bleibt dann nur zu hoffen, dass der Korruptionsvorgang aufgedeckt