Martin Wannhoff

Morality and fear


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hast du dir erst bei der „Bank of America“ Geld geliehen?

       Glaubst du vielleicht, ich bin ein größerer Verbrecher als die?

      Glaubst du das? Glaubst du, dass ich kein rechtschaffener Amerikaner bin?“

      Wie zur Salzsäule erstarrt saß Aurelio da und antwortete nicht. Sansone zog an seiner Zigarre, atmete erhaben und schaute an die Decke:

      „Weißt du, Ich habe diesen Verbrechern noch nie über den Weg getraut. Sie haben die Kleinanleger beruhigt. Haben behauptet, dass man auf einem Langzeitplateau angekommen sei. Dabei wussten sie genau, was passieren würde.“

      Offiziell hieß es, Sansone habe sein Geld an der Börse verdient. Er sei ein Gewinner, weil er seine Aktienanteile zum richtigen Zeitpunkt verkaufte. Dabei hatte er nie auch nur einen Cent in Wertpapiere investiert. Sein Reichtum hatte andere Quellen. Darüber wurde viel gemunkelt, aber man wusste nichts Genaues. Davon hatte sich dieser Kerl aus Palermo, wie Sansone auf Nachfrage erfuhr, nicht abbringen lassen. Frattini bat seinen Landsmann um 35.000

      Dollar. Das war eine gewaltige Summe und zynisch fragte Sansone, ob er denn diese Summe jemals würde begleichen können.

      „Tut mir leid, ich werde dir kein Geld geben, selbst wenn ich könnte. Ich will dir sagen warum: Du spazierst hier rein, belästigst meinen Barkeeper und verlangst dann diese ungeheure Summe von mir, von der ich nicht weiß, ob ich sie jemals wiedersehe. Schließlich kennen wir uns nicht. Wer sagt mir, dass du nicht irgendein kleiner Gauner bist, der einen rechtschaffenen Mann um eine ganze Stange Geld erleichtern will?“

      Obwohl diese Worte hart und abweisend waren, hatte er insgeheim bereits beschlossen, ihm zu helfen. Aurelio war flüssiges Wachs in seinen Fingern. Wenn er ihm aus einer solchen Misere rettete, würde er ein Leben lang dankbar dafür sein müssen. Um diese Dankbarkeit ging es Sansone.

      Sie war mit Gold nicht aufzuwiegen. Von Leuten, die derart in seiner Schuld standen, würde er erbitten können was er wollte: er würde es bekommen. Das allein war Sansone das Risiko wert. Es interessierte ihn noch nicht einmal Aurelios Werkstatt, da er ja in Gildo bereits jemanden hatte, der sich um seinen Fuhrpark kümmerte. Ihm ging es um den Menschen, den er mir seiner Großzügigkeit für sich vereinnahmte.

      „Ich gebe Ihnen mein Wort darauf, Don! Sie werden Ihr Geld zurückbekommen, doch ich bitte Sie, mir zu helfen!“

      Hilfe, sagte der Don, wollten sie alle. Doch wie sah es mit den Sicherheiten aus? Wie könne er ihm vertrauen, ohne dass er ihn näher kannte? Aurelio war mit diesen Fragen offensichtlich völlig überfordert. Sansone druckste noch eine Weile herum, als ob er mit sich ringen würde. Dann willigte er schließlich, gespielt zögernd, ein. Aurelio konnte sein Glück kaum fassen. Sansone fügte unter diesen mündlich geschlossenen Vertrag noch eine wesentliche Klausel:

      „Heute helfe ich dir. Ich erwarte von dir, dass du mir genauso hilfst, wenn einmal der Tag kommt, an dem ich dich um eine kleine Gefälligkeit bitten muss.“

      Eine seltsame Rede. Wenn er jetzt einwilligte, könnte der Don in Zukunft alles von ihm verlangen. Er würde sich dem nicht widersetzen können. Das begriff Aurelio nicht, als er hoch und heilig versprach, immer zur Stelle zu sein, wenn der Don seine Hilfe bräuchte. Glücklich bedankte er sich für das Entgegenkommen und so machten sie für den kommenden Donnerstag einen Termin aus. Sansone würde das Geld persönlich mitbringen. Sie umarmten sich wie zwei enge Freunde, dann verließ Aurelio die Bar. Er hatte nichts Verbindliches in der Hand. Keinen Scheck, keinen Vertrag, nichts. Nur den Handschlag des Dons.

      Von diesen Dingen wusste Stevenson nichts. Sansone forderte ihn nur zwei Tage später auf, seinen Wagen mit dem F8 zu eskortieren. Es ging ans andere Ende von Little Italy. Zusammen mit einer Handvoll weiterer bewaffneter Männer besah sich Sansone die Werkstatt, die er quasi als sein Eigentum betrachtete. Er war nicht begeistert von dem, was er vorfand. Über eine Hofeinfahrt durch ein Mietshaus ging es in einen verlotterten Innenhof. Er war holprig gepflastert und mit schimmligen Holzlatten abgegrenzt, so dass man nicht in die Nachbargrundstücke sehen konnte. Es stand ein modriger Geruch in der Luft. Der Geruch von Benzin und Öl mischte sich bei. Unrat sammelte sich in den Nischen. In der Mitte des Hinterhofes befand sich die Werkstatt. Sie war in ihrem Grundriss trapezförmig und sehr klein. Mehr als drei Autos brachte Aurelio in seiner Werkstatt nicht unter. Die Lagerhalle für Kohlebriketts, aus Wellblech gebaut, hatte er notdürftig gereinigt und ausgebaut. Zu den größeren Umbaumaßnahmen gehörten das elektrische Rolltor sowie ein Wartungsschacht im Boden. Werkzeug, Elektrik, zwei hydraulische Hebebühnen und ein kleiner Kran in der hinteren Ecke gehörten ebenso zu seinem Equipment wie ein Abschleppwagen, den er zwar besaß, aber noch nicht vor seiner Werkstatt stehen hatte.

      Sansone, Silvio, Luigi, Nuncio, Peter, Patricio und Stevenson betraten sichtbar bewaffnet die Halle. Zuerst erstarrte Aurelio vor Schreck, dann aber sah er, dass Sansone einen Koffer bei sich hatte. Diesen legte er auf eine Mauerbrüstung und begann vorzurechnen. 250 Dollar würde er wöchentlich zurückzuzahlen haben, wobei die erste Rate in einem Monat fällig werden würde. Über 5 Jahre sollte das so laufen, so dass Aurelio im Laufe der Zeit 65.000 Dollar an Sansone abführen musste. Als er die Summe hörte, wurde ihm schwindelig. Doch sein Zustand besserte sich sofort, als Sansone den Koffer öffnete.

      Abermals bedankte er sich, küsste ihm die Hand und umarmte ihn. Noch am selben Tag brachte er das Geld zur Bank und war zumindest vorerst an einer Schließung vorbeigekommen.

      Die ersten Raten konnte er noch ohne Probleme zahlen. Mit der Zeit hatte er Schwierigkeiten, jede Woche das Geld zusammenzukratzen. Manchmal tat es ihm nicht weiter weh.

      In anderen Wochen gingen drei Viertel seiner Einnahmen an Sansone. Wieder lebte er nur von Wasser und Brot. Und richtig schlimm wurde es, wenn er neues Werkzeug anschaffen musste. Ab und an blieb er 30 bis 50 Dollar schuldig, zahlte diese aber nach. Das Wasser stand ihm bis zum Hals, als auch noch eine der Hebebühnen den Geist aufgab und er die Kosten für eine Reparatur beim besten Willen nicht übrighatte. Schließlich war die kriminelle Energie in ihm stark genug. Das begann damit, dass er Benzin von den Tankstellen stahl und unter der Hand weiterverkaufte. Das waren aber aufgrund des niedrigen Ölpreises nur sehr geringe Summen, die er damit zusätzlich einspielte. Mit zwei anderen ging er das dann etwas größer an. In nur einer Nacht zapften sie an allen acht Tankstellen in der Stadt unbemerkt Benzin ab. Ein Coup, bei dem immerhin eine schöne dreistellige Summe herauskam.

      Allerdings musste er seine Helfer bezahlen, um sich ihrer Loyalität sicher zu sein. So blieben ihm nur 150 Dollar. Das reichte aber, um die Hebebühne wieder klar zu machen.

      Auch Alkohol verkaufte er unter der Hand. Doch war er als Händler zu klein, um dieses Geschäft rentabel funktionieren zu lassen. Außerdem gab ihm einer der Capos mal einen Warnschuss ab, er solle sich nicht in anderer Leute Branchen einmischen. Später stellte er sich ein loyales dreiköpfiges Team zusammen, knackte Autos und verkaufte sie meist ins Landesinnere oder nach Kanada. Er hatte mächtig zu rudern, aber irgendwie kam er über die Runden, trotz der Tatsache, das Sansone ihm nie auch nur einen Cent seiner Schuld erließ.

       1939

      Auch über Aurelio Frattini gab es eine Akte, die sich Detective Richardson durchgelesen hatte. Er war für allerlei Schmuggel und Autoschieberei bekannt, dafür aber nie überführt worden. Sansone hielt ihm das Gesetz Amerikas vom Leibe, indem er sein eigenes machte. So also behandelte er jene, die seinen Rat und seine Hilfe suchten.

      Stevenson und Aurelio waren gerade Anfang der dreißiger Jahre nicht die einzigen, die Sansone für sich vereinnahmen konnte. Das Verhältnis der Familie zu Aurelio Frattini blieb jedoch über all die Jahre sporadisch. Während Sansone wie ein kluger Schachspieler agierte, der drei Züge im Voraus durchdachte, polterte Massimo auf den sofortigen Erfolg.

      Das erwies sich zuweilen als ausgesprochen kontraproduktiv. In anderen Städten mussten die Mafiaclans ihre Läden erst selbst überfallen, um die Inhaber zur Zahlung von Schutzgeldern zu zwingen. Diesen schmutzigen Job übernahm unwissentlich Massimo. Die Opfer