Martin Wannhoff

Morality and fear


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Familie nach Informationen gefragt werde, so muss meine Antwort stets die Wahrheit sein.

      7. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sollen mir mein Leben lang folgen und Vereinbarungen, die ich getroffen habe, halte ich stets ein.

      8. Dem Drogenhandel entsage ich und ich werde alles tun, um ihn aus der Familie fern zu halten.

      9. Ich verrate weder meine Familie, noch spreche ich mit Außenstehenden über das Wesen der Cosa Nostra.

      10. Mit Polizisten, Staatsanwälten oder Geheimdiensten mache ich keine Geschäfte. Sollte ich jemals gegen diese Omerta (Schweigepflicht) verstoßen, soll mein Fleisch brennen wie dieses Heiligenbild.

      Don Sansone sprach die einzelnen Sätze. Stevenson wiederholte sie. Er wusste, dass er gerade dabei war, seine Seele dieser sizilianischen Sekte zu verschenken, (etwas Anderes sah er zu diesem Zeitpunkt darin nicht). Die Alternative war arbeits-und obdachlos ein ungewisses Dasein zu fristen. Er wusste nicht, wie er im nächsten Monat die Miete bezahlen sollte, wie er an ein neues Taxi zu kommen gedachte, wie er der Massimo-Familie entkommen wollte. Beugte er sich aber diesem Regelwerk, so sah er Hoffnung am Horizont. Er vertraute darauf, dass ihm Don Sansone einen Platz in seiner Familie geben würde.

      Die feinen Anzüge der anderen zeigten, dass es nicht übel war, für Sansone zu arbeiten und Stevenson hatte nichts zu verlieren. Als er den letzten Satz wiederholt hatte, bat Sansone ihn um seine rechte Hand. Zögerlich streckte er sie dem Don entgegen. Ein Dolch blitzte auf und Stevenson erschauderte. Beinahe hätte er die Hand weggezogen, als Sansone ihm eine recht tiefe Wunde in den Ballen seines Daumens schnitt. Er zuckte zusammen und biss sich auf die Lippe. Irgendwie hielt er den Schmerz aus. Aus dem Schnitt rann das Blut und tropfte auf das Heiligenbild der Maria.

      Dieses Bild nahm Sansone nun, steckte es an einer der beiden Kerzen in Brand und legte es in Stevensons verwundete Hand:

       „Von nun an beginnst du ein neues Leben in der Cosa Nostra.

      Wenn du jemals eine Regel verletzt, oder einen von uns verrätst, wirst du sterben und in der Hölle brennen, wie dieses Marienbild, welches in deiner Hand verbrannt ist. Verstanden?“

      Wie in einer Basilika schienen die Worte nachzuklingen. Die Spannung war kaum auszuhalten und Stevenson fürchtete sich. Der aufsteigende Rauch biss in den Augen. Sein Daumen brannte und auch zunehmend die Handfläche, welche dem herunterbrennenden Bild ausgesetzt war. Nur mit Mühe hielt er seine Hand ruhig. Allmählich füllte sich seine leicht gewölbte Handfläche mit Blut und löschte die letzten beiden Spitzen des Bildes. Er erkannte, dass man eine Antwort von ihm forderte und so flüsterte er, leise aber deutlich:

      „Ja, Don Sansone!“

      Plötzlich wurde das Licht eingeschaltet und alle Umherstehenden applaudierten ihm. Der Druck fiel ab und die erdrückende Schwere dieses Moments löste sich im Bruchteil einer Sekunde auf.

      „Was für ein Teufelskerl! Er hat wirklich gewartet, bis das Bild ganz runtergebrannt war!“

      hörte man jemanden erstaunt sagen. Luigi stellte Verbandszeug auf den Tisch und Barkeeper Giovanni Bastianotti machte sich gleich daran, die Wunde zu verbinden. Man hieß ihn herzlich willkommen und mit einem Schlag war nichts mehr zu spüren von dieser Distanz, die man ihn bis eben noch hatte spüren lassen. Selbst der Waffenexperte Perpone klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Nun wurde auch offiziell bekannt gegeben, dass Stevenson den F8 übernehmen dürfe, ihn aber der Familie stets zur Verfügung stellen müsse. Wollte einer der ranghöheren Capos in dem Wagen gefahren werden, musste Stevenson ihn chauffieren, ob er wollte oder nicht. Er war nun ein Nuncio unterstellter Soldat. Gildo und dessen Sohn Naffizzi wurden beauftragt, die Fahrgestellnummer zu ändern, neue Papiere zu erstellen und die Kennzeichen zu wechseln. Der Wagen solle nicht weiterverkauft, sondern auf Stevenson zugelassen werden. Die Art und Weise, wie diese Anweisungen gegeben wurden zeigten, dass das scheinbar reine Routine war.

      Bestimmt kochte Massimo gerade vor Wut. Diese Tatsache versetzte Sansone in eine Hochstimmung. Vor aller Augen küsste er dem Neuen erst auf die rechte, dann auf die linke Wange.

      Erst in den Abendstunden bemerkten sie den Schaden. In der Tat schäumte Carlo Massimo vor Wut. Der Schubert war irreparabel beschädigt, der Falconer gestohlen, die Wache musste mit zwei Platzwunden am Kopf ins Krankenhaus gefahren werden.

      Massimos Bar war ähnlich eingerichtet. Nur war sie zeitgenössischer als die von Sansone. Stuck an Wänden und Decken zeugten von Reichtum und dem verschwenderischen europäischen Lebensstil. Es gab ein kleines Rednerpult. Durch die Form des Eckhauses mit hervorstehendem Erker ging eine ganze Menge Platz verloren. Der große Raum fasste etwa 30 Personen, war aber durch Bar, Rednerpult und einen Billardtisch stark eingeschränkt, so dass sich nur 20 Personen drin bewegen konnten. Hinter der Bar befand sich eine kleine Küche. An deren Ende gab es zwei Türen. Eine mündete im Hinterhof, die andere in einem Hinterzimmer, welches die gleiche Aufgabe wie bei Sansone hatte.

      Massimo war hager und etwa so alt wie sein Gegenspieler, in der Stadt bekannt und extrem gefürchtet. Kaum einer wagte es noch, weiße Anzüge zu tragen. Massimo war für seine maßgeschneiderten Anzüge in weißer Farbe bekannt. Er hatte diesen Trend regelrecht aus der Stadt gefegt, denn niemand wollte aussehen wie er. Sein Erscheinungsbild machte ihn weithin erkennbar. Man machte allgemein einen Bogen um diesen sehr jähzornigen Mann. Abgesehen von seinem Bruder Benito Massimo hatte er niemanden, dem er wirklich vertraute. Carlo hielt sich für einen charismatischen Redner, der er nicht war. Er grölte martialisch, redete sich in Rage und erwartete von seinen Zuhörern, dass sie ihn zustimmend feierten. Es war eine abstrakte Choreografie der Selbsttäuschung, die nichts Echtes hatte und jeder wusste das. Nach schier endlos langen zehn Minuten oblag es Benito, seinen Bruder wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu bringen. Das gelang ihm nicht immer.

      Dass er überhaupt Männer hatte, die für ihn arbeiteten, lag daran, dass er den Titel des Familienoberhauptes einst geerbt hatte. Seine Organisation war erstaunlich breit aufgestellt und hatte sogar politischen Einfluss. Durch seinen Freund Ferdinand Oregan, den er seit dem Börsenkrach im Amt des Stadtrates hatte, konnte er Schritte der Polizei voraussehen; ein enormer Vorteil gegenüber Sansone. Des Weiteren hatte er hochrangige Kontakte in der Hafenverwaltung. Durch den Hafen und die Hafenarbeitergewerkschaft verdiente Massimo noch Mal kräftig dazu. Dazu kam der florierende Alkoholschmuggel, Schutzgeld, sowie der Diebstahl von Industriegütern und Kraftfahrzeugen. Die Situation war komfortabel für ihn.

      Wenn es ihm gelang, Sansone finanziell auszustechen, musste er sich Tryonee Harbour nicht länger mit ihm teilen.

      An diesem Abend entwickelte Massimo mit seinen Capos einen Plan, wie er erstmals offensiv gegen Sansones Schutzgeldsystem, seine größte Einnahmequelle, vorgehen konnte.

       Erstes Intermezzo 1939

      So war er zwischen die Fronten zweier sich rivalisierender Mafiaclans geraten. Das Leben bei Sansone schien auf den ersten Blick viele Vorteile zu haben. Als armer Taxifahrer kämpfte er jeden Tag um seine Existenz und niemand scherte sich um sein Schicksal. Die harten, entbehrungsreichen Jahre hatten ihre Spuren hinterlassen.

      So kam es, dass er trotz seines Alters den Mythos vom amerikanischen Traum für einen Schwindel hielt. Er sah sich um seine Möglichkeiten betrogen. Nun war er durch einen Akt der Gewalt um seine karge Existenz gebracht worden. Da ihn kein soziales Gefüge auffing, stand er buchstäblich vor dem Nichts. Er hatte die Wahl, sich damit abzufinden, oder unter dem Schutz Sansones noch einmal neu zu beginnen, Amerika von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen.

      Schon die Kleidung macht einen gehörigen Unterschied. Im Anzug wird man anders wahrgenommen als in gewöhnlicher Arbeitskleidung. Vor allem dann, wenn man eine Kanone mit sich führt. In diesem Fall allerdings ist es Angst, auf der die Anerkennung ruht. Sie kann verzerren, was die Leute wirklich von einem denken. Sie beeinträchtigt die Wahrnehmung von harmloser Meinungsverschiedenheit