Martin Wannhoff

Morality and fear


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unschön. Was tat er hier? Diese Frage schob er zunächst weg. Erst später begriff er, dass er mit dieser Tat den ersten Schritt in völlige Abhängigkeit gegangen war. Er schlich sich von hinten an die Wache heran und zog ihm recht unbeholfen mit dem Schläger eine über den Schädel. Der Wachmann stöhnte auf und sackte zu Boden. Damit er von der Straße aus nicht gesehen werden konnte, schleifte ihn Stevenson hinter die Mauer und fesselte ihn mit ein paar Öllumpen. Er blutete zwar am Kopf, lebte aber noch. Er stöhnte vor sich hin, fand das Bewusstsein aber noch nicht wieder. Stevenson war zunächst sehr darauf bedacht, keinen Krach zu machen.

      Zunächst ließ er die Luft aus den Reifen und zerstörte mittels herumliegenden Werkzeugs Teile des Unterbodens.

      Er brach den Auspuff ab, schnitt die Bremsschläuche durch und zerschlug noch eine ganze Menge anderer offenliegender Feinmechanik. Erst als der Wachmann wieder zu sich zu kommen drohte, kam Stevenson unter dem Wagen hervor und gab ihm mit dem Baseballschläger noch eine über den Kopf. Dann überlegte er, wo er ihn am besten belassen könnte. Sein Blick fiel dabei auf den Schuppen. Er nahm den Balken aus der Halterung und öffnete die Tür. Zu seiner Überraschung fand Stevenson einen nigelnagelneuen bordeauxroten Falconer F8. Es war ein Nachfolgemodell seines Taxis (Dieses war ein F4) und mit vier Gängen durchaus etwas Gehobeneres. Lange konnte er aber noch nicht hier stehen. Der F8 war erst seit Juni auf dem Markt. Zunächst sah er sich das Schloss nur an. Es war das selbe, welches auch an seinem Taxi verbaut gewesen war. Das ließ sich doch mühelos öffnen. Welche Strafe hatte er zu erwarten, wenn er diesen Kriminellen das Auto wegnahm? Die würden ja wohl kaum zur Polizei gehen und bei Sansone würde das gewiss Eindruck machen.

      Die Hemmschwelle war niedrig und die Versuchung groß.

      So machte er sich an dem Schloss zu schaffen und bekam es tatsächlich rasch auf. Auch innen war der Falconer traumhaft. Alles wirkte unbenutzt und sauber. Er atmete den Geruch dieses Neuwagens ein und ließ seine Hände mehrfach über das Lenkrad gleiten. Schließlich tauchte er in den Fußraum ab und versuchte den Motor kurz zu schließen. Auch das gelang ihm. Er legte den Gang ein, ließ vorsichtig die Kupplung kommen und steuerte den Wagen auf den Hof. Ein beglückendes und herrliches Gefühl der Freude und Macht überkam ihn. Das wäre doch mal eine Entschädigung für sein Taxi. Spätestens in diesem Moment wurde das Opfer zum Täter. Er brachte es fertig, sein Gewissen komplett abzuschalten. Sansone wollte das, er durfte das, ihm nützte das, Punkt. Beflügelt von diesem Hochgefühl warf er die Wache unsanft in den Schuppen und verriegelte ihn. Gestärkt durch diese schier unglaubliche Macht hob er den Schläger nun an und wuchtete ihn mit aller Kraft gegen die Karosserie des Schubert. Mit jedem Schlag empfand er mehr Genugtuung für das ihm angetane Unrecht. Er brach die Spiegel ab und zertrümmerte alle Scheiben. Es knallte bei jedem Aufschlag entsetzlich laut.

      Immer mehr ließ er seiner Wut freien Lauf und wuchtete das Holz des Schlägers gegen die A, B und C Säulen, bis das Dach nur noch ein wabbeliges Stück Blech war. Dann bearbeitete er eine Weile den Kühler und die Motorhauben.

      Kühlwasser trat schon bald aus dem Inneren aus. Das Emblem brach er ab und steckte es ein. Zufrieden besah er sein Zerstörungswerk und stellte fest, dass die Gangster in der Bar ihn gar nicht hören konnten, bei der lauten Musik, die aus dem Inneren des Hauses drang. Er erinnerte sich, wie bedrohlich der Wagen in jener Nacht ausgesehen hatte.

      Diesen Haufen Schrott konnte man nur noch bemitleiden.

      Stevenson setzte sich ans Steuer des F8, dessen Motor er hatte laufen lassen und ließ die Kupplung kommen. Wie auf Wolken schwebte der Wagen aus der Einfahrt heraus und

      bog die Straße ab. Er hielt hinter dem Ford, in dem Nuncio saß.

      „Meine Güte, erschrecke mich doch nicht so. Als der Wagen aus der Einfahrt kam, dachte ich schon, sie hätten dich erwischt.“

      „Haben sie nicht. Es wird laute Musik in der Bar gespielt. Die haben keinen Mucks gemerkt. Aber sieh mal, was ich in dem Schuppen gefunden habe.“

      Er deutete auf das Auto. Dass es sich um ein sehr hübsches Wägelchen handelte, musste selbst der launische Nuncio zugeben.

       „Nimm ihn mit, und frag den Don, ob du ihn behalten kannst. Jetzt lass uns von hier verduften.“

      Sie setzten sich über die holprige Oakwood – Bridge nach Chinatown ab. Nuncio folgte Stevenson und beide bogen mit ihren Wagen auf den Hinterhof von Sansones Bar ein.

      Nachdem sie den Ford in der Halle abgestellt, den Falconer auf dem Hof gut positioniert, Waffe und Schläger bei Perpone abgegeben hatten, suchte Nuncio den Don in seinem Hinterzimmer auf. Stevenson musste draußen warten und glaubte nicht daran, dass er den Wagen behalten konnte. Nuncio indes lobte Stevenson in den höchsten Tönen. Erst hatte er erwartet, dass er sich vor lauter Angst in die Hosen machen würde. Massimo und seine Familie waren gefährliche Leute. Doch Stevenson hatte sich auf Sansones Geheiß kaltschnäuzig mit ihnen angelegt. Er hatte nicht nur eines ihrer Autos schwer beschädigt, sondern ganz nebenbei auch noch ein weiteres geklaut: Eine vorbildliche Bilanz. Den Wagen wollte der Don natürlich sehen.

      Consigliere Silvio, Nuncio und Luigi begleiteten den Don auf den Hinterhof. Er nickte hochachtungsvoll, gratulierte zur Beute und ließ sich den Wagen von Stevenson, der diese Modellreihe bestens kannte, zeigen. Sansone verfügte bereits über mehrere Autos. So legte er fest, dass der Wagen sein Geschenk an Stevenson sei. Vorausgesetzt, dieser willigte in das noch ausstehende Aufnahmeritual ein. Das erste Mal merkte er, dass es sich nicht nur um eine kleine Gruppe von Gaunern handeln konnte, mit denen er hier zu tun hatte.

      Dieser „Verein“ hatte Tradition. Was würde das für ein Aufnahmeritual sein? Aus purer Neugier willigte er mit einem flapsigen „natürlich“ ein. Er hatte sich mit dem Auto kaufen lassen, ohne dass es Sansone etwas kostete. Sie gingen alle zusammen wieder ins Hinterzimmer. Auch der Barkeeper, der Waffenexperte, der Mechaniker Gildo und dessen Sohn. Zusammen mit den anderen standen sie um den Tisch herum. Nur Sansone und Stevenson saßen sich an der langen Seite des Tisches gegenüber. Silvio zündete zwei Kerzen an und stellte sie auf den Tisch. Zwischen die Kerzen legte er ein Bild der heiligen Mutter Maria. Dann löschte er das Licht. Der Raum wirkte plötzlich so groß wie ein Sakralbau. Die Schatten der um sie herumstehenden Männer tanzten schemenhaft an den kaum auszumachenden Vertäfelungen. Im Kerzenlicht wirkten die Nebelschwaden aus der Zigarre des Dons noch unheimlicher. Er beugte sich nach vorn und begann leise und erhaben zu erläutern, dass er die hinter ihm liegende Aufgabe mit Bravour gemeistert habe. Er wiederholte nochmals, dass jeder in seiner Nähe Platz fände, wenn er sich ihm bedingungslos unterordnete.

      Einen ersten Beweis habe Stevenson heute angetreten und sich damit als würdig erwiesen, der Cosa Nostra beizutreten.

      Die Cosa Nostra, zu Deutsch „unsere Sache“ hatte ihre Anfänge in einem Geheimbund aus Sizilien. Die Wurzeln dieses Bundes lagen in einer Partisanenbewegung, welche Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem für ein eigenständiges Königreich Italien kämpfte, frei von den Einflüssen der anderen europäischen Herrschaftshäuser.

      Dieses Ziel war mit der Krönung Viktor Emanuels II zum ersten König von Italien im März 1861 erreicht. Doch die einzelnen Familien der Cosa Nostra, welche hauptsächlich um Palermo auf Sizilien ansässig waren, hatten bemerkt, dass sich mit räuberischer Schutzgelderpressung sehr viel Geld verdienen ließ. So formte sich die Cosa Nostra zu einem sehr verschwiegenen, kriminellen Geheimbund, welcher mit der massiven Auswanderungswelle um 1900 auch nach Amerika übersetzte.

      In so einer Familie der American Cosa Nostra fand sich Stevenson nun wieder und wurde vom Oberhaupt der Familie in das streng gehütete Regelwerk der Mafia eingeführt:

      1. Ich schwöre der Cosa Nostra ewige Treue.

      2. Ich respektiere mein Familienoberhaupt und dessen Wort.

      3. Bringe ich einen Außenstehenden in die Familie, so bürge ich mit meinem Leben für ihn.

      4. Ich stehe meiner Familie von nun an bis zu meinem Tod rund um die Uhr zur Verfügung.

      5. Ich lasse die Finger von den Frauen meiner Familienmitglieder und behandle meine eigene Frau stets mit