Martin Wannhoff

Morality and fear


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vor dem er die Leute beschützen konnte und musste nicht erst einen erfinden.

      „Mit Sansone konnte man umgehen, mit Massimo nicht. Von ihm habe ich folgende Geschichte gehört:…

       1932

      „Es trug sich im Februar zu. Die Pflasterstraßen in Downtown waren mit Eis überzogen. Es schneite und war dunkel. Massimo hatte sich gerade seine später landesweit bekannte Lasister V16 Sportlimousine gekauft. Es handelte sich um eine Einzelanfertigung und war nicht billig gewesen.

      Der Chauffeur hatte stark gebremst, als eine Ampel auf Rot schaltete. Vielleicht war der Hintermann etwas unaufmerksam gewesen. Jedenfalls kam es zu einem Auffahrunfall. Das veranlasste Carlo Massimo, mit hochrotem Kopf auszusteigen:

      „Du dämlicher Idiot, weißt du was du getan hast? Weißt du was so ein Wagen kostet?“

      Mister Galleghur entschuldigte sich in aller Form und beteuerte mehrmals, dass es ihm leidtäte. Er bot Massimo sogar an, allein für den Schaden aufzukommen. Aber dieser hatte ihn mit seinem Gebrüll so was von runderneuert, dass er unter Tränen sagte:

       „Hören Sie, Mister Massimo, ich bin langsam gefahren!“

      Der Gangsterboss wollte davon nichts wissen, schraubte seinen scharfen Ton ein wenig herunter und fragte zynisch: „Soll das etwa heißen, dass ich in deine Dreckskarre gefahren bin?“

      Er rastete in diesem Moment völlig aus, packte ihn am Kopf und zertrümmerte den Schädel Galleghurs auf dessen eigener Motorhaube. Wieder und wieder schlug er das Gesicht des Mannes mit voller Wucht gegen sein Auto, bis er leblos zu Boden rutschte. In diesem Moment soll ein Streifenwagen auf der anderen Straßenseite vorbeigefahren sein. Obwohl es die Pflicht der Beamten gewesen wäre, Massimo auf der Stelle zu verhaften, fuhren sie einfach weiter. Es gab Zeugen, die ihn hätten belasten können, doch niemand hatte irgendetwas gesehen… wenn ihm sein Leben lieb war…“

       1939

      Nachdenklich nickte der Polizist. Dieser Fall hatte monatelange interne Ermittlungen zur Folge gehabt. Man bezog sogar einen Verräter in den eigenen Reihen mit ein.

      Jedoch wurden die Ermittlungen Ende 1932 ergebnislos eingestellt.

      Sansone konnte eine Erweiterung des Machtbereiches seines Gegners nicht hinnehmen. Er hatte nicht vor, die zweite Geige in Tryonee-Harbour zu spielen. Die Fronten verhärteten sich in den nächsten Jahren. Die Methoden der beiden Mafia-Clans hätten unter dem Strich unterschiedlicher nicht sein können. Ohne dass Massimo es wahrhaben wollte, spielte er Sansone mit seinen öffentlichkeitswirksamen Einschüchterungen in die Karten.

      Angesichts der wachsenden Gewalt und der Hilflosigkeit der Polizei waren die Leute zeitweise fast schon freiwillig bereit, Sansone Schutzgeld zu zahlen.

       Reine Routine 1930

      Etwa zwei Wochen nachdem sie bei Aurelio gewesen waren, bestellte Sansone Nuncio, Luigi und Stevenson zu sich. Es war gegen halb sieben Uhr am Abend.

      „Heute Nacht werdet ihr Schutzgelder eintreiben. Reine Routine.“

      Es war nicht das erste Mal, dass Stevenson Fahrer für die Schutzgeldeintreiber war. Er war noch nie selbst dabei gewesen, sondern sollte stets im Auto warten. Hin und wieder überkam ihn das schlechte Gewissen, doch das hatte alles seine Rechtfertigung.

      „Wir erpressen die Leute nicht.“ hatte Silvio einmal getönt: „Die Leute, die uns bezahlen, erhalten Dienste, die ihnen keine Polizei der Welt geben kann. Vergangenen Monat lösten Nuncio und Luigi in Oak-Plain ein schlimmes Gewaltproblem. Der Besitzer dieses Ladens ist froh, dass dort etwas Derartiges nicht wieder vorkommen wird.“

      Sansone erklärte kurz, wie dieser Routineeinsatz aussah.

      Stevenson sollte, so wie sonst auch, den Wagen fahren.

      Luigi sollte die schwer bewaffnete Begleitung bilden und Nuncio sollte die „Kollekte“ eintreiben. Sonst lief es nicht so. Nuncio und Luigi hatten jeweils eigene, ihnen unterstellte Teams. Die Gelder wurden vom Team an sie, die Capos, weitergereicht. Diese wiederum gaben das Geld im Beisein des Dons 1:1 an Silvio weiter. Dieser legte je nach dem, was ein Laden einnahm, die Höhe des Schutzgeldes fest. Ab und an kontrollierte er, ob die Teams den Läden nicht zu viel Geld abnahmen. Das kam immer wieder vor, dass einige ihre Capos über den Tisch ziehen wollten und mehr erpressten, als sie eigentlich durften. Je nach Höhe der veruntreuten Summe wurde das meist mit einer ordentlichen Tracht Prügel geahndet. Versuchte aber ein Capo den Consigliere zu bescheißen, fand sich dieser in einer Holzkiste wieder. Heute allerdings wurden die Capos Luigi und Nuncio in die Spur geschickt und es wurde Stevenson vom Don persönlich angeordnet, Nuncio nach drinnen zu begleiten. Er sollte heute in das System des Schutzgelderpressens eingeführt werden, um nachher Nuncios Team zu verstärken. Sansone holte aus dem Buffet einen feuerfesten Stahlkoffer und zählte acht Läden auf, die bis um zehn am Abend besucht werden mussten. Die meisten Leute waren nach Geschäftsschluss noch eine Weile in ihren Läden und zählten die Tageseinnahmen. Dann machten sie sauber, oder waren anderweitig nach Geschäftsschluss noch beschäftigt. So ergab sich eine Zeit, in der zwar jemand im Laden anzutreffen war, es aber keine weiteren Zeugen gab. Sonst wurde in der Regel tagsüber „dem Geschäft nachgegangen“.

      „Zuletzt werdet ihr an einem Motel draußen vor der Stadt halten. Bill Custom, der Besitzer, wohnt in den oberen Etagen.

      Ihr werdet ihn also definitiv antreffen. Bei den anderen kann ich das leider nicht sagen. Wie auch immer. Er macht in letzter Zeit ein paar Probleme, also zahlt er heute ein wenig mehr.“

      Sansone lachte und fragte seinen Consigliere, ob er nicht einen Drink wolle. Damit war die Runde beendet. Die drei besuchten Perpone und versorgten sich mit Waffen. Luigi sollte sich für den Notfall bereithalten und bewaffnete sich mit einer hochmodernen 1928iger Thompson. Sie zählte zu den effektivsten Waffen in Perpones Arsenal. John Taliaferro Thompson hatte sie für den ersten Weltkrieg entwickelt. Sie kam aber nicht mehr auf dessen Schlachtfeldern zum Einsatz. Um die produzierten Waffen loszuwerden, verkaufte er sie im Inland und fand in den Mafiosi dankbare Abnehmer. Man schob die runden Magazine seitlich ein, sicherte sie mit einer Spannvorrichtung und lud die Waffe durch. Das war ein ausgesprochen zügiger Nachladevorgang, bei dem man, wenn es hart auf hart kam, einen entscheidenden Vorteil gewann. In einem Magazin befanden sich 50 Schuss. Dieses Gewehr war bekannt und gefürchtet, weil es im Stande war, eines dieser teuren Magazine in weniger als sieben Sekunden leer zu schießen. Nuncio bekam einen 1911er Colt ausgehändigt. Gegenüber anderen Waffen befanden sich sieben Kugeln statt der üblichen sechs im Lauf. Man schob das Magazin in den Griff ein. Das ging schnell und war kinderleicht, da man nicht jede Kugel einzeln in eine Trommel einlegen musste. Einen solchen Trommelrevolver, mit sechs Kugeln bestückt, erhielt Stevenson – fürs Erste jedenfalls. Perpone pflegte immer zu sagen, dass man ja nie wisse, wem man begegnete und es daher besser war, wenn jeder bewaffnet sei. Benutzen sollte Stevenson den Colt Double X Spezial voraussichtlich nicht. Dann ließ man sich von Gildo den neuen F8 geben und sie begannen für Sansone Schutzgeld einzutreiben.

      Oben auf der Liste stand Forellis Fischladen. Bei solch kleinen Läden begnügte sich Sansone mit einem monatlichen Besuch, der ihm 100 Dollar einbrachte. Bei größeren Läden, wie zum Beispiel Nixons Kaufhaus, dem nächsten Punkt auf der Liste, wurde ein wöchentlicher Betrag von 200 Dollar fällig. Da ein Teil der Beute stets an die Polizei weitergeleitet wurde, konnte man sich als Ladenbesitzer gegen die Erpressungen nicht wehren. Ging man zur Polizei, informierte sie Sansone. Dann hatte man nichts mehr zu lachen und bestenfalls mehr zu zahlen. Es kam aber auch vor, dass man verprügelt wurde. Körperliche Gewalt brachte viele zur Ordnung. Wer sich dann noch immer wehrte, dem zerstörte man das Geschäft. Besonders lukrativ waren Läden, die sich am Rande der