Martin Wannhoff

Morality and fear


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mit Sicherheit kurzen Prozess mit ihm gemacht. Außerdem kam ihm Nuncio wieder in den Sinn, der im Inneren des Hauses gefangen gehalten wurde und eine mafiöse Folter über sich ergehen lassen musste. Es lag auch an ihm, die Folter zu beenden und ihn möglichst schnell zu befreien. Hinter der Tür in Richtung Hof lauerten auch bewaffnete Männer.

      Mittlerweile konnte man Nuncio aus dem Haus schreien hören. Luigi fluchte, ihnen lief die Zeit davon. Waren die beiden erst einmal im Haus, standen die Karten schon anders. Sie fingen an, so leise wie möglich leere Benzinfässer zu stapeln. Vielleicht gelang es ihnen, über den Balkon im ersten Stock ins Haus zu kommen. Endlich zog sich Luigi am Geländer hoch und stand nahezu im Haus. Hier oben brannte kein Licht, der Gang schien leer zu sein. Als auch Stevenson auf den Balkon geklettert war, brachen sie leise die Tür auf. Erst nach einer Minute hatten sich ihre Augen richtig an die Dunkelheit gewöhnt. Hier oben lagen die seit Jahren leeren Quartiere für Motelgäste. Ein langer Flur, von dem in unterschiedlichen Abständen an der rechten Wand Türen abgingen. Es roch staubig und abgestanden. Am Ende befand sich noch eine Tür, eine Abstellkammer oder ein WC. Luigis Aufmerksamkeit richtete sich in die andere Richtung des Korridors. Dort befand sich eine Holztreppe, die ins Erdgeschoss führte. Es war still und dunkel in den Zimmern nebenan. Von hier konnte keine Gefahr ausgehen.

      „Halte hier oben die Stellung und knall jeden ab, der versuchen will, mir in den Rücken zu schießen.“

      Wie versteinert sah Stevenson ihm nach. Das Blut rauschte in seinem Kopf. Hier und jetzt galt also: töte, oder du wirst getötet. So musste sich ein Soldat fühlen, der seinen ersten Kampfeinsatz erlebte. Nun, eigentlich war er Luigi dankbar, dass er ihn aus der Schussbahn nahm. Immer wieder wurde die Stille von Schlägen und Schreien im Erdgeschoss zerrissen. Luigi war jetzt unten, Stevenson konnte ihn nicht mehr sehen. Schweiß rollte ihm über die Stirn. Er hatte zum einen Angst um sein Leben, zum anderen Angst vor den Folgen seiner Straftaten, die er heute Abend ausgeführt hatte. Auf Schutzgelderpressung standen mehrere Jahre Gefängnis.

      Plötzlich schien das Haus zu erbeben und eine wilde Schießerei begann. Laute Schüsse von MP Magnum sowie allerlei Arten Colt. Auch Luigis Thompson war immer wieder zu hören. Schreie, Röcheln, und immer wieder das pfeifende Geräusch von einschlagenden Kugeln in der Wand. Auf einmal öffnete sich die Tür, am Ende des Ganges. Es war tatsächlich ein WC. Schon sah sich Stevenson einem dunkel gekleideten Mann gegenüber, der seine Waffe auf ihn richtete und feuerte. Er rettete sich zunächst mit einem Sprung auf den Balkon. Ber Mann kam hinter ihm her. Was sollte er tun? Die Benzinfässer runter klettern? Er wäre tot gewesen, bevor er überhaupt die Brüstung überklettert hätte. Er zog seine beiden geladenen Colt Double X Spezial hervor und richtete sie auf den Mann, der wieder zum Schuss angelegt hatte. Stevenson kniff die Augen zusammen und drückte ab. Mit einem Rückstoß rechnete Stevenson nicht. So verzog es die Waffen beträchtlich weit nach oben. Doch als er die Augen öffnete, sah er den Mann zu Boden stürzen. Ein Blutstrom ergoss sich über den Balkon. Er hatte den Hals des Mannes durchschossen. Fassungslos starrte er auf die offene Wunde und die weit aufgerissenen Augen des Mannes.

       „Mörder! Mörder!“

      rief eine Stimme in seinem Kopf. Er schüttelte sich, doch das ließ sie nicht verstummen. Er blinzelte, wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, hoffte zu träumen und im nächsten Moment zu erwachen. Aber es half nicht. Die Leiche vor ihm war real. Er hatte diesen Mann soeben ins Jenseits befördert. Immer gespenstischer und lauter rief seine innere Stimme ihn einen Mörder. Selbst der Tote zu seinen Füßen schien es mit zu sprechen. Seine Knie wurden weich, die Umrisse der Leiche verschwammen und er taumelte. Wie um alles in der Welt war es so weit mit ihm gekommen? Er hatte einen Menschen getötet. Wie lange würde es wohl dauern, bis er das begriffen hatte? Was für Folgen würde das haben? Ihn durchfuhren gleichzeitig völlig entgegengesetzte Gefühle: Macht und Größe, aber auch Furcht und Schuldgefühl. Stärke und im selben Augenblick wiederum Schwachheit. Dieser Gefühlscocktail war so heftig und riss ihn dermaßen hin und her, dass ihm speiübel wurde. Und immer wieder die Rufe:

       „Mörder! Mörder!“

      Er drohte die Besinnung zu verlieren, so stark war das Adrenalin, welches mit Gefühlen der Macht und der Angst durch seinen Körper strömte. Er verlor die Kontrolle über sich und nässte sich ein. Er bemerkte es gar nicht sofort.

      Was würde seine Mutter sagen, wenn sie ihn so sehen würde? Als Gangster, Mafioso und als Mörder? Aber er hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Denn Luigi rief ihn und holte ihn aus seinem Schockzustand: „Steve! Hilf mir hier, der Kerl hinter der Theke hat eine Thompson!“

      Er wankte so schnell es eben möglich war die Treppe hinunter und befand sich inmitten eines Massakers. Überall waren Einschusslöcher, Blut und Zerstörung. Es lag der Geruch von Schießpulver in der Luft. Ein bläulicher Dunst hatte das Erdgeschoss erfüllt. Es waren mindestens vier Tote auszumachen, Luigi selbst kauerte hinter einer Wand.

      Sein Anzug war ruiniert, ihm selbst schien es aber gut zu gehen. Er flüsterte:

      „Steve, du musst durch die Küche gehen und ihn von da aus mit einem sauberen Schuss durch die Durchreiche in den Kopf töten. Ich kann es von hier aus nicht. Ich gebe dir Deckung und lenke den Typ ab. Die Küche befindet sich dort.“

      Luigi deutete mit seiner Waffe auf eine Tür. Stevenson schlich leise zu ihr hin und öffnete sie. Er stand kurz davor, völlig den Verstand zu verlieren. Er schloss seine Augen und atmete durch. Doch ihm wurde nicht wohler. Denn sogleich sah er die Leiche oben auf dem Balkon liegend vor sich. Eiskalter Schweiß tropfte von seinem Kinn. Am Rücken klebte das durchnässte Unterhemd. Sein Urin roch streng und fühlte sich widerlich kalt an. Am ganzen Körper zitternd glitt er durch die Küche, auf die Arbeitsfläche und schaute durch die Durchreiche. Für einen kurzen Moment hatte er sich etwas beruhigen können, doch nun stieg die Panik in ihm wieder hoch. Am liebsten hätte er geschrien.

      Im Speisesaal brannte Licht und es lagen noch drei weitere Leichen da, die Luigi offenbar wie Grashalme niedergemäht hatte. Hinter der Bar lag ein Mann auf dem Boden, dessen Aufmerksamkeit voll auf die Tür gerichtet war, hinter der Luigi stand. Er hielt eine Thompson in der Hand und hatte offenbar schon ein Magazin leer geschossen. Ganz leise und langsam wurde der Arm über den Schützen gestreckt. Luigi beobachtete ihn. Den Colt in der Hand war der Arm von Stevenson jetzt fast ausgestreckt und senkte nun die Waffe.

      Luigi ging das nicht schnell genug. Wie in Zeitlupe schien Stevenson die Waffe nach unten zu richten, jeden Moment konnte der Schütze die Waffe über sich bemerken.

       „Warum drückst du nicht ab? Warum zögerst du so lange?“

      Stevenson bereitete sich dieses Mal besser auf den Rückstoß der Waffe vor, spannte den Abzug und feuerte. Die Kugel drang in den Hinterkopf ein und zerschmetterte beim Austritt die Stirngegend des Kopfes. Luigi kam aus der Deckung hervor, untersuchte die Leichen und nahm ihnen die Waffen ab.

      „Gut gemacht, man. Nur schneller hätte es gehen können. Sag mal, hast du dir eingepisst?“

      Beschämt sah Stevenson zu Boden und sagte nichts. Luigi grinste nur breit.

      „Ach, mach dir nichts draus. Ging mir nach meiner ersten Tötung genauso. Glaub mir: Ich weiß, wie du dich fühlst. Aber man gewöhnt sich dran. Das geht vorbei. Wo ist bloß Nuncio?“

       „Hier!“

      erwiderte eine Stimme hinter einer Tür am anderen Ende des Speisesaals. Luigi rannte hin und fand ihn übel zugerichtet und gefesselt auf einem Stuhl. Scheinbar hatte man ihn nur verprügelt und nicht fachmännisch in die Mangel genommen. Es steckte ein Knebel in seinem Mund und er fing sofort an, mit seiner schrillen Stimme zu speckern, als Luigi diesen entfernt hatte und ihn losband.

       „Das wurde aber auch Zeit! Wo bleibt ihr so lange?“

      Auch er zeigte sich über Stevensons Malheur leicht belustigt, hatte aber ebenso wie Luigi Verständnis. Als Mörder wurde man nicht geboren. Man machte sich erst dazu. Das war eine Grenze, die der Mensch eigentlich nicht zu überschreiten hatte.