Gabriela Beyeler

Grüwig das Buch


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Frühlingsluft einatmete, kam mir das ganz seltsam rüber. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit vom Eintritt bis zu diesem kurzen Ausflug mindestens einen Monat betrug. Ich erlebte in diesen Tagen so viel! Mein Leben hat sich auf einen Schlag verändert. Erst zu Hause in der Wohnung habe ich so richtig realisiert, dass wir nun Eltern waren. Ein schönes und neues Gefühl der Verantwortung. Wieder im Spital, im so genannten Wochenbett, war ich weit aus die Jüngste in unserem Zimmer und auf der Station. Nicht das mich das überrascht hätte, es wurde mir nur etwas bewusster. Wir teilten das Zimmer mit einer jungen Frau, die oft telefonierte und in jedem Gespräch erwähnte sie, wie sie doch die Geburt genossen habe. Ich konnte es nicht nachvollziehen, nicht mit der Erfahrung, die ich machte. Eine andere Zimmerkollegin, die über vierzig war, hatte Probleme mit ihrer Gebärmutter, die sich nicht so recht zurückbilden wollte. Wie ich mitbekam, litt sie unter heftigen Schmerzen. Als die Muttermilch einschoss bekam ich einen noch grösseren Busen und wir Mütter betrachteten uns stolz vor dem Spiegel und amüsierten uns köstlich. Das Stillen machte mir keine Freude, weil es zunehmend mit Schmerzen verbunden war. Es tut weh, wenn man an einer entzündeten Brustwarze „suggelt“, aua! Die Milch staute sich und das äusserte sich in schmerzhaften Knöllchen in der Brüsten. Die Krankenschwester auf der Station massierte sie weg, doch das tat extrem weh! Der Kinderarzt kam um die Neugeborenen zu untersuchen. Damit diese Reihenuntersuchung zügig voran schreiten konnte, mussten wir unsere Babys etappenweise schon mal ausziehen. Cyrill lag nackt in ein Tuch gewickelt vor mir auf einem Wickeltisch. Plötzlich „brünzelte“ er und dann musste er gross aber ganz dünn. Ich wechselte fortlaufend die Tüchlein, weil da immer wieder was auslief. Als die Stationsschwester in den Raum kam, gab Cyrill gerade wieder ein wenig vom Darminhalt preis. Die Frau schimpfte mit ihm und sagte: „Du bist vielleicht ein Grüsel.“ Obwohl es bestimmt nur so dahin gesagt war, verletzte mich diese Aussage zutiefst. Cyrill wurde vom Arzt untersucht und alles war soweit in Ordnung.

      Das Schwangerschaftsturnen machte Spass und ich nahm mir vor das zu Hause weiterzuführen. Ich war ziemlich genau sieben Tage im Spital, was damals ganz normal war.

      Leben zu Dritt

      Zu Hause angekommen, begann nun ein neues Leben zu Dritt. Mit dem Stillen kämpfte ich mich so durch und mietete in einer Drogerie eine Milchpumpe. Wegen zu mangelnden Informationen wusste ich nicht, dass durch das Abpumpen die Milch allmählich versiegen würde, was sie dann auch tat. Weil ich immer noch keine Freude am Stillen hatte, war ich nicht traurig darüber und bereitete lieber den Schoppen zu. Doch ich bemerkte schnell, dass das auch nicht so einfach war, weil das Kind unterschiedlich viel trank oder gar nicht trinken wollte. Aufwärmen durfte man es nicht und wegleeren war teuer. Wir mussten ja eh schon aufs Geld schauen und darum stresste mich das gewaltig. Den Kinderwagen borgten wir uns aus und auch die Kleidchen. Meine Mutter und mein Vater meldeten sich zu Besuch an. Ich freute mich riesig darauf! Seit langer Zeit sah ich die beiden wieder einmal zusammen. Sie waren kaum einige Minuten bei uns, läutete es an der Tür. Silvia und Walter kamen spontan vorbei. Silvia meinte in einer lautstarken Bemerkung, dass sie nun kein Platz mehr hätten um sich hinzusetzten. Meine Mutter reagierte prompt und meinte, sie würden sowieso gleich gehen. Ich hätte Silvia am liebsten erwürgt, denn wie kann man nur so ungehobelt oder dumm sein.

      Waldner fragte mich, ob ich zu Hause noch etwas für ihn arbeiten würde und weil wir das Geld gut gebrauchen konnten, sagte ich zu. Er brachte ein Werkbank, die Reinigungsmaschine und all das Werkzeug, dass ich dafür brauchte in unsere Wohnung. Während Cyrill schlief, reparierte ich Grossuhren. Cyrill schlief nachts nicht durch, und so war ich tagsüber müde und litt immer mehr unter Schlafmangel. Die Mitbewohner in diesem Wohnblock bekamen gar nicht mit, dass ich ein Baby geboren hatte und waren ganz erstaunt, als sie mich unterwegs mit dem Kinderwagen sahen. In der Waschküche sprach mich eine Frau an und meinte, man sähe mir meiner Nase an, dass ich ein Kind geboren hätte, sie habe sich verändert. Ich hätte nun einen reiferen Gesichtsausdruck bekommen. Ich wusch viele, viele Windeln, denn wir kauften Stoffwindeln, weil die viel günstiger waren als die Wegwerfwindeln. Ich war sehr stolz auf mein Baby! Sascha Steiger, ein Kollege von uns, schwärmte ebenfalls und meinte, er habe ehrlich gesagt noch nie ein so hübsches Baby gesehen. Die Uhrmacherarbeit bedrückte mein Gemüt, Ich hatte zu wenig Zeit für meinen Kleinen. Wir suchten uns eine andere Wohnung, in der wir uns sicherlich wohler fühlen konnten. Es sollte eine kinderfreundliche Gegend sein. Wir fanden im Kanton Thurgau eine viereinhalb Zimmerwohnung im Parterre und erst noch in Erstvermietung. Auf der Fahrt zur Besichtigung flog auf einer langen Geraden plötzlich ein Mäusebussard im Sturzflug auf uns zu und kurz vor unserer Autohaube wieder hoch, „phu“ waren wir erschrocken und fasziniert zugleich. Die Gegend unterschied sich unserer gewohnten erheblich. Es war flacher und somit weitsichtiges Land. Die Wohnung war sehr schön und so sagten wir gleich zu. Nun warteten wir auf den Bescheid. Immer noch in Winkeln, schlief ich morgens jeweils solange, bis Cyrill mich durch sein Weinen weckte und das war zu unterschiedlichen Zeiten. Cyrill war nun bald vier Monate alt und ich war immer noch schlapp. Wenn ich nachts aufstehen musste, kam es häufig vor, dass ich mich an Türrahmen stiess, weil mir schwindlig war. Zu Besuch bei Fischer`s, fragten sie uns, ob wir auch Lust hätten auswärts zu Essen. Das Restaurant war in Schwellbrunn, etwa fünfzehn Minuten mit dem Auto entfernt. Cyrill schlief gerade so schön in seiner Tragetasche. Oma meinte, wir sollten ihn doch schlafen lassen, ihn somit im Wohnzimmer allein lassen. In der Küche lag die böse Schäferhündin. Beide durch keine Tür getrennt, was in mir Unbehagen auslöste. Ich wollte das nicht zulassen, ich konnte das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren und doch wollte ich mich nicht als eine ängstliche Mutter darstellen und so verdrängte ich meine Bedenken und wir gingen mit. Mir war die ganze Zeit über gar nicht wohl dabei, geistig abwesend und verkrampft. Zurückgekehrt, hörte ich Cyrill in der Stube auch schon weinen, niemand wusste wie lange schon und ich war innerlich so wütend, wütend auf mich selbst.

      Die Tage und Wochen seit seiner Geburt gingen so schnell vorbei und es war so bereichernd zuzusehen, wie sich das kleine Wesen veränderte und rasant dazulernte. Ich wollte meinem kleinen Sohn alles zeigen, die ganze Welt. Angefangen mit den Bäumen beim spazieren gehen um den „Gübsensee“.

      26. Juni 1987

      An einem Montagmorgen. Als ich erwachte, schaute ich erstaunt auf die Uhr und wunderte mich, wie spät es schon war. Mein erster Gedanke galt Cyrill, er würde sicher Hunger haben! Ich stand auf und ging in sein Kinderzimmer, wo er in seiner Wiege lag. Als ich an die Wiege trat und einen Blick hineinwarf, spürte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. Er lag auf dem Bauch, sein Gesichtchen sah ich nicht, doch sah ich, dass die Hautfarbe etwas anders durch die Kopfhärchen schimmerte als sonst. Ich nahm den Kleinen und drehte ihn um und sah, das er sich ganz und gar hängen lies und total weiss und teils blau im Gesicht war. Ich hob ihn sofort heraus und trug ihn an meiner Schulter in unser Schlafzimmer. Dort legte ich ihn aufs Bett und versuchte unter starkem Herzklopfen sein Herzschlag zu hören, doch ich glaube ich hörte nur meinen eigenen. Ich begann zu schluchzen. Ich hob seine Ärmchen hoch und runter und vernahm ein Geräusch, dass mir fremd und zugleich unheimlich war. Die Luft strömte einfach nur ein und aus, kein atmen und es befiel mich eine Angst die ich zuvor nicht kannte. Ich wusste er ist tot. Ich rief sofort Dieter an und sagte ihm, dass Cyrill tot sei. Er kam gleich darauf hergefahren und stürmte in die Wohnung und fragte: „Wo ist er?“ Dieter legte ihn in seine Tragetasche und wir fuhren zum Spital. Dieter raste und ich sagte im Schock zu ihm, dass er nicht so zu rasen bräuchte, weil er schon tot sei. Im Spital angekommen, drinnen vor der Notaufnahme, nahmen sie den kleinen Cyrill schnell entgegen und der Mann, der wegen einer Augenverletzung auf dem Behandlungstisch lag, musste weichen und man schickte uns hinaus. Ich sah nur noch wie sie ihm die Kleider auszogen und er auch am Körper blaue Flecken hatte. Er war ja so schrecklich bleich! Wir sassen vor dem Zimmer im Gang und waren geschockt. Zwischen einem Gefühl der Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Plötzlich kamen Ärzte und fuhren ein Gerät auf Rädern herein und ich hörte wie jemand die Körpertemperatur von Cyrill nannte, dabei kam plötzlich wieder ein kleines Fünkchen Hoffnung auf. Wir sahen uns fragend und erwartungsvoll an. Auf einmal stand auch schon ein Arzt vor uns und wir folgten ihm, in sein gleich daneben liegendes Büro. Was war passiert? Was wird der Mann hinter dem grossen Schreibtisch uns sagen? Man sitzt da und ist gefasst, was nun kommt. Ich kann mich nicht mehr an die Worte erinnern, die der Mann wählte um uns zu sagen, dass unser Baby tot sei. Er fragte uns,