Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


Скачать книгу

so wie jetzt reagiere ich noch immer instinktiv wie damals, im Krieg gegen die Russen !"

      Mirwais wies ihm eine Stelle, hinter einer der Mauern der terrassenförmig angelegten Obstbaumplantage, bedeutete ihm er solle seinen Schlafsack hier ausbreiten.

      Er selbst ging einige Schritte weiter, legte sich hinter eine andere Mauer, eine Terrasse höher.

      Die Nacht verlief ruhig, Felsberg schaffte es tatsächlich, trotz anfänglicher Anspannung, ein paar Stunden Schlaf zu finden. Ein vorbeitrabender Esel, samt einem Jungen, der ihn trieb, weckte ihn abrupt, er erschrak und schnellte hoch, blickte prüfend um sich.

      Mirwais saß auf der Mauer über ihm, ließ seine Beine baumeln, lächelte auf den schlaftrunkenen Felsberg hinunter.

      "Mann oh Mann, du hast vielleicht einen Tief-Schlaf… du hast sogar den Muezzin überhört…"

      "Während du als gläubiger Muslim sofort aufgesprungen bist, dich auf die Erde geworfen hast, und – Allah'hu akbar – sofort dein Morgengebet verrichtet hast!"

      Mirwais grinste sein schäbigstes Grinsen und sprang von der Mauer.

      "Damit könntest du mich glatt erpressen, wenn die Mullahs mitkriegen, dass ich vom wahren Glauben abgefallen' bin, dann dürfte mich jeder gläubige Muslim, als "Murtad" töten!"

      "Wer sagt das ?"

      "Der Koran, ich kann dir gerne die Sure zeigen, wenn du willst, komm, wir sollten zurück zu den Leuten, zum Haus !"

      Ihre Rucksäcke standen fein säuberlich in den großen Raum, der diesmal aber menschenleer war. Felsberg machte sich sofort daran, den Inhalt seines Rucksackes zu überprüfen, ob irgendwas fehlte. Aber alles schien da zu sein, sogar die Fotokamera war noch vorhanden.

      Der Commander kam kurz darauf zu ihnen, erklärte, dass sie den Wagen mitgenommen hätten, er stehe im Innenhof des Anwesens. Man habe ihn sichergestellt, wolle ihn den rechtmäßigen Eigentümern zurückgeben, er würde irgendwann abgeholt.

      "Wir müssen weg hier, es ist trotz des Schutzes, den wir hier haben, nicht sicher genug… die Kerle könnten irgendwo sitzen und in aller Ruhe auf uns schießen !"

      "Und wohin willst du jetzt, wo wir nicht einmal hier sicher sind, ich meine, woanders sind wir doch noch viel weniger sicher und beschützt."

      "Nein, je weiter wir ins Tal hineinkommen, desto besser wird's für uns… und in Safid Cher wartet ein anderer Commander auf uns… mit einer schönen Überraschung, du wirst staunen… Ich habe eben mit ihm telefoniert, er kommt uns abholen, heute Abend, nachdem es dunkel geworden ist !"

      Felsberg fühlte sich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, schon wieder bei Nacht und Nebel verschwinden zu müssen. Aber es gab keinen anderen Ausweg, im wahrsten Sinne des Wortes, sie mussten weg.

      Schon am späten Nachmittag transportierten die Soldaten ihrer beider Rücksäcke an den verabredeten Treffpunkt, an einer gut kontrollierbaren Stelle, außerhalb der Ortschaft. Der Soldat war demonstrativ alleine im Fahrzeug gesessen, falls auch dieser Vorgang beobachtet wurde, man musste mit allem rechnen. Bazarak war als Ortschaft bereits zu groß, samt allem Verkehr, der da über die Schotterstraße kam, um vollständig und dauerhaft kontrolliert werden zu können. Während des Krieges schon, damals kam keine Maus ins Tal, ohne gesehen zu werden. Jetzt aber war Frieden, und damit hatten sich auch die Kontrollen reduziert. Ausländer kamen ins Tal, Hilfsorganisationen aller Art, Personenverkehr, Lieferungen, Warenverkehr, ständiges Kommen und Gehen. Es gab zwar noch Schlagbäume, aber die Kontrollen beschränkten sich auf oberflächliche Blicke, die von den meist jungen Wachposten eher achtlos ins Fahrzeug geworfen wurden, nicht sehr effektiv.

      Weiter im Tal wurden die Kontrollen dann wieder etwas genauer, es gab auch nicht mehr so viel Verkehr. Jeder der an einem Schlagbaum passieren wollte, musste dem Posten entweder bekannt sein, Panjshiri, oder einen triftigen Grund haben, weiter ins Tal reisen zu dürfen. Entscheidungen, ob jemand weiterfahren durfte, wurden von den Posten meist frei nach Schnauze gefällt. Es war auch schon geschehen, dass man an einem Tag weiterfahren durfte, an einem anderen Tag zurückgewiesen wurde.

      "Aber das passiert uns nicht!" sagte Mirwais lächelnd, "Wir sind in guter Gesellschaft !"

      Als es Dunkel war, machten sie sich auf den Weg zum verabredeten Treffpunkt, schlichen wieder an der Seite des Tales, hinter den Häusern entlang, bis das Buschwerk dünner wurde, die Straße unter ihnen eine Rechts- und darauf eine Linkskurve gemacht hatte, dann erst gingen sie auf der Straße weiter.

      Kurz darauf erreichten sie den Treffpunkt, ein Pkw wartete bereits auf sie, die Scheinwerfer blinkten zur Begrüßung auf, eine Gestalt stieg aus dem Wagen.

      Man umarmte einander kurz, stieg schnell wieder ein, fuhr los, um schnell aus dem letzten Gefahrenbereich zu kommen, weg von der Ortschaft.

      Die Fahrt verlief in weitgehendem Schweigen, nicht weil man einander nichts zu sagen, zu erzählen gehabt hätte, sondern vielmehr weil die Straße nach der Ortschaft Shaba, in einem unbeschreiblichen Zustand war, der Begriff Straße nur mehr symbolische Bedeutung fand. Die Löcher waren derartig tief, dass der Wagen mehrmals aufsaß, und erst nachdem alle drei Passagiere ausgestiegen waren, den Wagen akut von ihrem Gewicht befreit hatten, konnte man weiter. Es ging durch einen Seitenarm des Panjshir-Flusses, das Wasser rauschte nur so unter den Rädern, kurz darauf kam man in Gefahr den Hang hinunter abzurutschen, der Boden matschig von den Bächen, die die Berge herunterflossen.

      Die Fahrt dauerte, obwohl es von Shaba nach Safid Cher nur mehr fünfzehn Kilometer gewesen waren, dennoch fast eine Stunde.

      Man konnte vor lauter Geschunkel fast nicht miteinander sprechen, die Verwindungen, die man mit dem Oberkörper vollführen musste, um die Neigungen und Schräglagen des Fahrzeuges auszugleichen, alle versuchten sich irgendwo festzuhalten, die Schräge die die Achse und damit auch ihrer aller Rücken erdulden mussten, hatten es in sich.

      Felsberg spürte jeden Knochen in seinem Leib, vor allem in seinem Rücken, als sich endlich die Tore des Anwesens hinter dem Wagen geschlossen hatten, sie endlich aus dem Fahrzeug stiegen, ihre malträtierten Glieder und Knochen streckten.

      Felsberg fiel sofort die saubere Luft auf, kein Staub mehr, und es war auch wesentlich kühler hier, man war ja auch bereits wieder um einiges höher.

      Die Speisen, die kurz darauf in den Raum getragen wurden, dampften auf den Tellern, die man, Felsberg zu ehren, samt Besteck verteilt hatte.

      Aber noch während des Essens hielten es Mirwais Freunde nicht mehr aus, sie begannen dem Heimkehrer Löcher in den Bauch zu fragen. Immer neue Gäste stießen zu der illustren Runde hinzu, immer wieder die gesamte Litanei an Begrüßungsformalitäten, alle standen auf um den jeweiligen Neuankömmling einzeln, mit Handschlag und danach Hand über dem Herzen, zu begrüßen. Felsberg stand dabei und beobachtete das Spektakel, denn ein solches war es zweifellos immer, bunt und schillernd.

      Da waren alle Volksgruppen vertreten, mongolische Gesichtszüge ebenso, wie arabisch Hakennasen. Ein Uzbeke, ein Baum von einem Mann, hob Mirwais hoch, wie eine Puppe, setzte ihn so hart wieder zurück auf den Boden, dass der Fußboden schwankte.

      Felsberg beobachtete versunken die Gesichter der Anwesenden. Es war, als ob er tausend Jahre zurückschauen konnte, damals hatte es nicht viel anders ausgesehen, wenn sich die Einheimischen hier trafen und miteinander kommunizierten. Wie in einer Zeitmaschine, dachte sich Felsberg, das waren Bilder von biblischer Qualität. Der flackernde Schein der Petroleumlampe an den Wänden, verstärkte nur noch den Eindruck. Es waren wilde Gestalten, manche mit wilden wallenden Bärten, mit mongoliden Augen, schwarz wie die Nacht, bleckende Zähne, Mundwinkel bis zu den Ohren hochgezogen, ein Lächeln versuchend, Stimmengewirr, hinzu noch Musik aus einem leiernden Cassettenrecorder.

      Mirwais sprach fast ununterbrochen, er war vollends in seinem Element. Erzählen gehörte nach wie vor - schließlich gab es kein Fernsehen - zu den bevorzugten Abendunterhaltungen und es wurde auch ausgiebig praktiziert.

      Dies war es wohl, was ihnen an jedem neuen Platz, an den sie kamen, blühte. Mirwais musste erst mal stundenlang reden.

      Felsberg