Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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Mal eine Videocamera mitnehmen werde.

      Danach setzte sich die Frau des Hausherrn zu ihm und verlangte von ihm Geschichten aus seiner Heimat zu hören, sie war sehr begierig von Frauen aus Europa zu hören, wie diese dort lebten, wie sie dachten, ob sie studierten, welche Berufe sie hätten und wie das denn allgemein so wäre, mit den Frauen in Europa.

      Felsberg durfte kaum eine Pause machen, frischen grünen Tee trinken, sprach fast ununterbrochen, ihr Wissensbedürfnis war unerschöpflich. Aber auch Felsberg genoss es sich mit einer afghanischen Frau zu unterhalten, solcherart Gelegenheit bot sich nicht oft in diesem Land.

      Am nächsten Morgen fand Felsberg überhaupt nicht zu sich, es war viel zu früh, kaum das erste Grau am Himmel zu erkennen. Aber es musste sein, der Tag würde ihnen noch einiges abverlangen.

      Oberst Nahim bestand darauf, dass sie in seinen Geländewagen fuhren, sein Fahrer brächte sie bis nach Badakhshan, in die Gegend von Sar-e-Sang, zu dem Ort, wo man Lapis Lazuli schürfte. Nach einer kurzen Verabschiedung machen sie sich auf den Weg, denn Straße konnte nun nicht mehr die Bezeichnung für diese "Fahrbahn" sein.

      An manchen Stellen war der ganze Hang weggerutscht, man hatte einfach schnell einen Bulldozer eine Durchfahrt räumen lassen, schon rollte der Verkehr wieder weiter. Wenn es auch kurzerhand durchs Flussbett führte, da war man nicht so empfindlich. Diese "Straße" war die einzige Verbindung durch das Tal , sie musste befahrbar bleiben. Im Bürgerkrieg war dies auch der einzige Weg, über den Anjuman und den Khawak Pass, um die Bevölkerung und die Tausenden von Flüchtlingen versorgen zu können.

      Selbst der Geländewagen ein neueres Modell, saß manchmal auf dem Boden auf, die Löcher in der Fahrbahn erreichten eine Tiefe, die einen vermuten ließ, es müsste sich um Bombentrichter handeln. Tatsächlich war das Tal während des gesamten Bürgerkrieges, also dreiundzwanzig Jahre lang, nie von irgendwelchen Feinden eingenommen worden, weder von den Russen, noch von den Taliban. Die Bewohner hatten es verstanden, unter der Führung des legendären Massoud, jeglichen Versuch des Eindringens im Keim zu ersticken. Obwohl die Gegner alle möglichen Waffen einsetzten, von Panzern und Raketen, zu Flugzeugen und Hubschraubern, es hatte alles nichts genutzt, der Panjshir, als auch das benachbarte Tal von Andarab blieben immer frei von den "Dushmanan", den Feinden. Man verehrte ihre Kämpfer, wie Heilige, ihre Führer wie Götter, näherten sich ihnen nur mit gesenktem Blick, manche küssten auch ihre Hände.

      Mirwais trug ein permanentes Lächeln im Gesicht, er sah diese Gegend, seit siebzehn Jahren, das erste Mal wieder. Seine Augen leuchteten, er sah mit einem Mal aus, wie ein kleiner Junge, der auf Entdeckungsfahrt ist. Immer wieder griff er nach Felsbergs Hand, drückte sie, wies ihn auf besondere Eindrücke hin, erzählte von seinen Erlebnissen aus der Kindheit, wie man den Fluss mit nackten Beinen durchwaten musste, um überhaupt zur Schule zu kommen, von den schwankenden Seil-Brücken, auf denen man mehr balancieren musste, als zu gehen, von den tosenden Fluten im Frühling, in die so mancher seiner Schulkameraden gefallen war, einige, die auch nie wieder aufgetaucht waren.

      "Das Leben ist sehr hart hier, sehr hart, man kann sich das gar nicht vorstellen, ohne richtige Nahrung, ohne richtige Schuhe, nur Plastik-Schlüpfer, aus Pakistan, ohne Socken, Pullover, Handschuhe… ohne Winterkleidung… die Temperatur fällt hier manchmal bis auf minus fünfunddreißig, vierzig Grad ab, eine erstarrte Welt… es, es ist Wahnsinn…!"

      "Ja, und warum gehen die Leute dann nicht weg hier, wenn die Bedingungen so hart sind… es gibt doch sicher auch freundlichere Landstriche !"

      "Nein, das sind Panjshiris… die wollen nirgendwo anders hin… und wenn sie auch woanders leben müssen, zum Beispiel in Kabul… wie viele unserer Leute nun Regierungsämter innehaben, sie haben alle ihre Häuser hier im Tal, und sie kommen immer wieder, übers Wochenende, im Urlaub, sie sind wie… süchtig !"

      "Hmmm, ja, kann ich schon verstehen, aber…"

      "Das muss erst in dir reifen, warte ab… das nächste Mal fühlst du dich schon wie zu Hause und unsere Leute sind sicherlich auch ein wenig anders, verschlossener, misstrauisch… aber wenn du einmal einen Panjshiri zum Freund hast, dann geht er für dich durchs Feuer !"

      "Ähh, du bist doch auch Panjshiri, oder ? Wenigstens ideell gesehen - und du bist doch mein Freund, oder ? Wir gehen einfach gemeinsam durchs Feuer, zusammen ist das ist das ganz sicher besser, als mutterseelen-allein."

      Mirwais verstand den kleinen Scherz nur zu gut, lächelte ihn an, umfasste seine Schultern, drückte ihn freundschaftlich, sprach mit übertriebenem Akzent eines Ausländers..

      "Panjshiris alle gut Freund… mit Dollares - ich bin nur dein "Nokar", ein treuer Diener seines Herrn !"

      "Nein, nicht schon wieder Märchen aus "Tausend und einer Nacht"… vielleicht solltest du doch einfach ein "Muhadith" werden, dann kannst du überhaupt nur mehr Märchen erzählen, beruflich…"

      "Ach was denkst du denn… ich bin deutscher Staatsbürger, mit Pass und allem Drum und Dran !"

      "Ja-aa, das… das sieht man ja schon von Weitem… du bist ein "Feringhi", ein "Alleman", und alle fragen dich überall immer nur nach Bakshish !"

      Mirwais lächelte, drückte ihn nochmals an sich, was zur Folge hatte, dass sie beim nächsten Schlagloch ein wenig mit ihren Köpfen zusammenstießen. Sie lachten, rieben sich ihre Kopfhälften. Die Abfolge der Schlaglöcher und sonstigen "Straßenhindernisse", ließ keine Pause, das Fahrzeug samt seinen Insassen schwankte wie ein Schiff in schwerem Sturm. Das Tal wurde zunehmend enger, man passierte den Zusammenfluss von zwei weiteren reißenden Bergflüssen bei Ao Khawak, wo eine steiler Weg über einen anderen, eben den berühmten Khawak-Pass nach Norden, ins Tal von Andarab führte, ein anderer Weg hinein nach Nuristan, ins "Land des Lichts", wo die Bevölkerung erst um 1930 islamisiert worden war, bis dahin hatte dieser Teil des Landes auch "Kafiristan", das "Land der Ungläubigen". Es war den Muslims bis dahin nicht gelungen, in dieses Gebiet vorzudringen, um ihren Glauben auch dahin zu exportieren. Die Kafiris hatten allen Eindringlingen blutige Schlachten geliefert, meist zu Ungunsten der Angreifer.

      "Heute werden wir hier übernachten, das ist sicherer, bei anderen Freunden, auch Kämpfer… hier waren alle Kämpfer, sind alle Kämpfer… denn viele haben noch immer nicht begriffen, dass der Krieg nun auch wirklich vorbei sein muss !"

      "Sie haben nichts anderes gelernt als zu kämpfen, erbeutete Panzer zu fahren, Mörser-Granaten abzufeuern, mit ihren Kalashnikoffs rumzuballern… man muss, glaube ich, ein wenig Nachsicht mit Ihnen haben… sie bräuchten alle eine Art 'Umerziehung'… 'Brainwashing' im guten Sinne, sie ihre Vergangenheit vergessen zu lernen, Schulungen für zivile Tätigkeiten !"

      "Ja, hast schon recht, das wär's… aber… wer soll das bezahlen, wer sollen die Lehrer sein… bei uns gibt es nur Kämpfer… alle waren irgendwann mal bei den 'Mujaheddin'… und diejenigen Auswanderer, die tatsächlich zurückgekehrt sind, versuchen verzweifelt irgendein Geschäft aufzuziehen, sonst können sie ihre Familien nicht zu sich holen, nach Hause, sonst können auch sie nicht überleben !"

      "Ein tödlicher Kreislauf… es wird lange Zeit brauchen… bis es wirklich besser wird in Afghanistan… und man kann nur hoffen, dass nicht wieder irgendein Land, ein Nachbar, versucht seine Finger hier ins Spiel zu bringen, sein Süppchen zu kochen !"

      "Auf Kosten der Afghanen - so war es schon immer, schon seit Alexander dem Großen - was wirklich an ihm 'Groß' war, wir wissen es nicht, auch er hat Afghanistan überfallen, ausgeraubt, seine Menschen ermordet, Generationen von männlichen Nachkommen auslöschen lassen !"

      "Ja, man sieht's noch immer, dass der mal da war…"

      "Afghanistan war schon immer ein Schlachtopfer !"

      "Es ist auf jeden Fall Zeit, dass sich etwas ändert, hier in dieser ganzen Region, in Pakistan geht's ja noch immer weiter… siehe Kashmir !"

      "Die haben einen Großteil an Mit-Schuld in dieser letzten Misere... der Geheimdienst ISI und verschiedene islamistische Gruppen, Extremisten, die wollen die 'Weltherrschaft', das 'Welt-Kalifat' errichten !"

      "Ich dachte, das wären die Russen gewesen, nicht die Pakistani… ist mir da was