Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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werden – wenn diese Menschen Glück hatten, fielen sie in eine gnädige Ohnmacht, oder starben gleich, diese Art Schmerzen sind unvorstellbar - Und dieser Mann hat mit Leidenschaft mitgemacht, gefoltert und getötet, er ist ein vielfacher Mörder, hat auch alte Freunde von mir umgebracht - Er war auch in dem Lager, in das mein Vater verschleppt worden war, bei Bamyian, wo wir waren, mit Commander Habibullah… wo wir überfallen worden sind !"

      Die Stille die im Raum herrschte war fast greifbar, Felsberg wagte vor Scham kaum den Kopf zu heben, dem Freund in die Augen zu blicken. Aber Mirwais lächelte ihn an, schlug ihm leicht auf die Schulter und goss frischen Tee nach.

      "Was werden sie mit ihm machen… besser was haben sie mit ihm gemacht ?"

      "Sie sind mit ihm zum Tangi-e-Pakikush gegangen, dem "Tor zum Paki-Tod"… ein Felsen der einige Hundert Meter steil abfällt… die Geier werden ihn fressen und wenn die Männer noch gnädig mit ihm sind, schießen sie ihm vorher noch in den Kopf, bevor er fliegen lernt… aber ich glaube nicht, dass sie gnädig mit ihm sind, er war es auch nicht und… eine der wichtigsten Regeln für dieses Land, höre mir genau zu… Afghanen vergessen nicht, und wenn es hundert Jahre dauert, sie warten ab, bis die Zeit reif ist."

      Felsberg starrte Mirwais ungläubig an.

      "Es gibt da diesen schönen Spruch, der genau für Afghanen sehr zutreffend ist – er lautet: Ihr mögt eine Uhr besitzen, aber wir haben die Zeit !"

      Die Soldaten kamen polternd zur Tür herein, ein breites zufriedenes Lächeln im Gesicht, zurück von ihrer Aufgabe, und sie waren allein, der Gefangene war nicht dabei.

      Felsberg blickte Mirwais fragend an, der aber zuckte nur mit seinen Schultern.

      "Hast du nicht auch bereits auf Menschen geschossen, ist noch gar nicht so lange her, und ich glaube, du hast auch zumindest einen von denen getroffen !"

      Felsberg wand sich innen und außen, druckste mit der Antwort herum, er hatte sich unlängst ja selbst auch gefragt, wie er denn mit der Tatsache zurechtkam, einen oder auch mehrere Menschen zu Tode gebracht zu haben.

      "Ja-a, aber das war doch nicht dasselbe, da waren einfach ein paar Mörder hinter uns her, und sie schossen zuerst, ich habe mich nur gewehrt !"

      "Siehst du !" triumphierte Mirwais, "Du bist auch nur ein Afghane… was glaubst du, denn was die Russen waren oder die Taliban, und die anderen Gruppen von religiösen Wahnsinnigen… die gab es überall, jede Ecke dieses Landes hatte seine eigenen religiösen Gruppen, und auch die kämpften alle gegeneinander… und sie waren alle nichts anders als Verbrecher, Betrüger, Mörder, Räuber, und Vergewaltiger, Verräter ihres Heimatlandes… die Taliban waren die Schlimmsten !"

      "Mmmmh, ich verstehe schon… alles eine Sache der richtigen Betrachtung… das ist es ja, was mich nachdenklich stimmt… wie ich wohl reagieren würde, wenn mein Land gestohlen, meine Verwandten getötet, die Frauen vergewaltigt würden, ich weiß schon, alles relativ zur eigenen Betroffenheit !"

      Mirwais stand auf, trat zu Commander Yahsin, sprach leise auf ihn ein, ein kurzes Gespräch entstand, in dessen Folge Mirwais dem Anführer anerkennend auf die Schulter klopfte und in lautes Lachen ausbrach, in das auch alle anderen Soldaten mit einstimmten. Noch immer grinsend wandte sich Mirwais an Felsberg, erzählte ihm, was er gerade erfahren hatte.

      "Er ist nicht tot, sie haben ihn nicht umgebracht, sie haben ihn ausgezogen und an eine Felswand geschmiedet, nein, festgebunden und sie haben ihn mit Salz eingerieben… da oben gibt es eine kleine Weidefläche, mit Ziegen - sie werden ihn ablecken, bis er wahnsinnig wird - und wenn er diese Nacht übersteht, was wohl der Fall sein wird, dann bringen sie ihn nach Kabul… da gibt es einige Leute, die schon Sehnsucht nach ihm haben !"

      Felsberg fühlte sich trotz allen Verständnisses, für die besonderen Umstände und die Situation, doch etwas erleichtert, als klar wurde, dass man den Mann den Behörden übergeben wollte. Aber der zweite Gedanke offenbarte sofort, was dem Mann möglicherweise in Kabul, im berühmt-berüchtigten Puli Charki-Gefängnis, erwartete, wo schon so viele ihr Leben gelassen hatten, dass man die Schreie und Klagen der Verzweiflung in jedem Ziegel des Hauses nur erahnen konnte. Vom Regen in die Traufe. Wahrscheinlich wäre er besser dran, hätte man ihn gleich standrechtlich erschossen. Aber darüber hatte er sich ohnedies keine Gedanken zu machen, das war wohl die Sache der Afghanen, sie mussten mit ihren Verbrechern selbst umgehen können.

      Die Anstrengungen des Tages, zusammen mit der nervlichen Anspannung aus dem "Fall" des Gefangenen, zeigte seine Wirkung, Felsberg sank in die Polster zurück. Die anderen holten ein Brett hervor, spielten einige Partien Afghan-Carambol, der lokalen Billard-Variante, unter lebhafter Beteiligung der zusehenden Soldaten.

      Die Petroleumlampe zauberte ein magisches Licht in den Raum, Felsberg glaubte, wieder in eine andere Zeit versetzt zu sein. Welches Jahrhundert schrieb man… und war das vor oder nach Christus Geburt… ??

      Felsberg schaute der Runde fasziniert zu, das ganze Lautgemisch, der überall präsente Kassettenrecorder mit der überall gleich leiernden Musik. Offensichtlich waren die alle mit derselben leiernden Maschine kopiert worden, so dass ganz Afghanistan gar nichts anderes kannte, als diese leiernden Versionen ihrer Musik. Felsberg kicherte in sich hinein. Wahrscheinlich würde sie ganz schön blöd dreinschauen, wenn sie mal eine "normale" Version zu hören bekam, die eben nicht leierte, würden denken, dass da irgendwas nicht stimme.

      Mirwais stieß ihn an, als er schon fast eingeschlafen war, bedeutete ihm, mit ihm zu kommen, sie schliefen dann im Nebenraum, wo zum Glück niemand Billard spielte.

      "Übrigens, die waren zu dritt, zwei dieser Hunde sind entkommen, und sie sind in die Richtung geflüchtet, in die wir morgen weiter müssen, nach Norden !"

      "Das sind ja nicht gerade erfreuliche Aussichten… Was sollen wir tun, zurückfahren ?"

      "Nein… Yahsin fährt uns mit seinen Leuten voraus, und aus Zibak, kommen uns die anderen entgegen, da passiert gar nichts !"

      Das letzte, was Felsberg noch hörte, war, dass einer der Soldaten in den Raum kam, seine Kalashnikoff ablegte, und sich ebenfalls zum Schlafen legte.

      Er fühlte sich wie gerädert, als man ihn, im hellsten Sonnenschein, weckte, er hatte noch tief geschlafen, eine Folge der ständigen Belastung seiner Nerven. Er sagte dies auch Mirwais, nämlich, dass er baldmöglichst eine Ruhepause brauchte, sonst klappte er wahrscheinlich irgendwann einfach zusammen. Aber Mirwais lächelte nur.

      "So schnell klappt man nicht zusammen… wenn man muss, und du musst jetzt einfach durchhalten, bis wir in Faizabad sind, in Badakhshan… dort machen wir dann Pause !"

      Felsberg murrte zwar, erkannte aber auch, dass die Zeichen der Zeit anders standen.

      Gerade brachten zwei Soldaten den Gefangenen den schmalen Pfad herunter, der Mann sah, zusätzlich zu seiner Verkrüppelung, auch sonst erbarmungswürdig aus. Er war nackt bis auf einen Lendenschurz, seine Haut war an mehreren Stellen abgeschunden, außerdem mehrere blau unterlaufene Stellen, die von Schlägen mit Gewehrkolben herrühren mochten, außerdem noch Bisswunden, von den Schafen, die wohl des Salzes wegen auch zugebissen haben mussten, einige der Stellen bluteten noch frisch. Felsberg betrachtete das grausame Schauspiel mit zusammengezogenen Augenbrauen.

      Commander Yahsin befahl seinen Männern, den Gefangenen zum Fluss zu bringen, er solle sich reinigen, so könne man ihn nicht nach Kabul bringen.

      Yahsin sah den besorgten Blick, den Felsberg zur Schau trug, wandte sich an Mirwais, sprach leise auf ihn ein, bis dieser sich endlich an seinen Freund wandte.

      "Dieser Mann, dieses Schwein, war in einem der berüchtigtsten Lager, in Shakardara, einem Tal nördlich von Kabul, unter dem berüchtigten Taliban Commander Mullah Anwar – einer der Soldaten hat das gestern nachts noch erzählt – man hat dort Leute mit Säure verbrüht, sie mit Elektroschocks gefoltert, mit Draht um ihre Zehen, oder ihre Hoden, und dann ein Feldtelefon drangehängt, mit einer Kurbel, zur Stromerzeugung… die Usbekischen Gefangenen ließ man Höhlen graben, in die man dann Handgranaten warf… Massouds Anhänger wurden verkehrt rum aufgehängt und – im Winter - mit kaltem Wasser übergossen, am Morgen