Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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Mullahs, Geistliche, wurden auch gefoltert, alle Haare ausgerissen, ein Holz durch die Nase gezogen und wie Vieh herumgeführt… Menschen wurde, bei lebendigem Leib, Fleischhaken durch die Hälse gezogen, dann hing man sie auf, spielte "Hammelfleisch verkaufen !"

      Felsberg hatte schon am Abend zuvor einiges an Grausamkeiten gehört, das buchstäbliche Entsetzen stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

      "Ich kann das nicht verstehen, wie Menschen anderen Menschen solcherlei Schweinereien antun können, das ist vollkommen unfassbar !"

      "Das ist noch lange nicht alles… in Kabul, zum Beispiel, wurden willkürlich Menschen auf der Straße erschossen, aufgehängt, Frauen vergewaltigt, Mädchen entführt und vergewaltigt… und da gab es auch den berühmten "Tanz des Todes", den "Raqs-e-morda"… wir werden das nie vergessen - man hat den Leuten halb die Kehle durchgeschnitten und dann, vorher am Straßenrand vorbereitetes, heißes Öl in diese Kehle geschüttet… die Leute waren zwar schon fast tot, aber sie "tanzten" in ihrer Agonie quer über die Straße, bevor sie zusammenbrachen und diese Schweine haben dazu gelacht und Scherze gemacht, gejubelt !"

      Felsberg sagte nichts mehr, hielt nur mehr erschrocken die Hand vor seinen Mund, unfähig auch nur einen Laut von sich zu geben.

      "Das Schlimmste war, dass man diesen ungebildeten jungen Anhängern der Taliban, meistens junge Leute irgendwo vom Land, die nicht mal lesen und schreiben gelernt hatten, alles erzählen konnte, und die glaubten das dann auch alle… weil es ja ein Mullah gesagt hatte !"

      Felsberg sah zu wie man den Gefangenen, immer wieder von Schlägen und Tritten begleitet, ins Haus schaffte. Felsbergs Sympathie war soweit abgesunken, dass er kein Mitleid mit dem Gefangenen mehr verspürte. Dieses Land hatte andere Gesetze, ganz andere, und sie waren alle bestimmt von Kampf, Gewalt, Leiden und Entbehrung, von zahllosen Opfern auf allen Seiten, eine endlose Kette der Erbarmungslosigkeit und blutiger Rache.

      "Man erzählte ihnen, je mehr Feinde sie umbrächten, Ungläubige in ihren Augen, desto mehr würden sie belohnt, im Jenseits, im Paradies… Helden des Kampfes für ihre Form von Islam, durften jeweils zweiundsiebzig Jungfrauen als Belohnung erwarten, neben sonstigen, anderen Genüssen !"

      Der Gefangene wurde herausgeführt, sah beinahe wiederhergestellt aus, wäre da nicht die verkrustete Platzwunde auf seinem nackten Kopf gewesen.

      Ein Geländewagen kam die Bergstraße herauf, hielt vor ihnen an, drei Männer in Kampfanzügen sprangen heraus. Man begrüßte einander eher nur kurz, entgegen sonstiger Gewohnheit, aber auch das konnte auf den Gefangenen zurückgeführt werden.

      Sie traten sofort an ihn heran, einer der Soldaten schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Gefangene fiel sofort auf die Knie, umfasste seinerseits flehentlich die Knie des Mannes, der ihn gerade geschlagen hatte, fing zu wimmern an. Aber der Mann trat ihn nur beiseite, zwei andere Soldaten rissen das heulende Bündel hoch, stießen den Gefangenen zum Wagen, stiegen mit ihm ein. Kurze Zeit darauf waren sie wieder verschwunden, brachten den erkannten Mörder seiner ungewissen, oder vielmehr gewissen Bestimmung entgegen.

      Mirwais trat mit seiner Kalashnikoff aus dem Haus, kurz darauf waren sie ebenfalls unterwegs, den Anjuman-Pass hinunter, nach Norden, begleitet von einem weiteren Geländewagen, mit zwei Soldaten von Commander Yahsin, als Schutz.

      Auf der Hälfte des Weges kamen ihnen bereits die Soldaten von Escada entgegen, der erste Wagen fuhr wieder zurück zur Station auf dem Pass. Die Straße war mehr als nur abenteuerlich, oft nur ein mit Steinen abgestützer Eselspfad, der Fahrer lehnte sich öfter beim Fenster hinaus, um nicht über die Begrenzung zu fahren. Die tiefe Schlucht auf der einen Seite, der blanke Fels auf der anderen Seite, jederzeit bestand die Möglichkeit von Steinschlag, oder einem Abrutschen in die Tiefe. Verschiedentlich sah man auch Wracks von bereits abgestürzten Fahrzeugen im Abgrund liegen, sie hatten es wohl nicht geschafft. Gleichzeitig war Felsberg aber auch von dem atemberaubenden Panorama fasziniert, das sich bei jeder Biegung der Straße von Neuem anbot, in neue Varianten übergehend, neue Blickwinkel zeigend, ein wilde urzeitliche Landschaft. Hier in diesen Bergen soll, der griechischen Sage nach, auch Prometheus, wegen seiner fortgesetzten Gotteslästerungen, in die Felsen geschmiedet worden sein, bis ihm die Geier die Augen aushackten. Das Szenario schien durchaus glaubhaft, noch nie hatte er derartige Felsformationen gesehen. Es war verständlich, dass Menschen in dieser Landschaft Ehrfurcht vor der Größe der Natur empfanden, Felsberg kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

      Als ihnen eine Karawane von etwa zwanzig Kamelen, Koochies, traditionellen afghanische Nomaden entgegenkam, und kurz darauf noch eine Eselskarawane, wurde es zwischenzeitlich eng auf der "Straße". Die Tiere mussten sich eng an der Felswand an den beiden Fahrzeugen vorbeiquetschen, vor allem die Kamele brüllten erbärmlich, aber es gab keinen anderen Ausweg. Außerdem kannte er das schon, von den Kamelen, die brüllten nämlich immer und bei jedem geringsten Anlass, auch wenn man sie nur mit einem Strohhalm belud. Er grinste breit übers ganze Gesicht, Kamele waren schöne Tiere, er mochte sie besonders gerne. Er hatte sogar seine Fotokamera hervorgeholt, war kurzzeitig ausgestiegen, um ein paar schöne Bilder zu schießen.

      Als das Gelände zunehmends flacher wurde, man endlich wieder in einem breiten Tal, dem flacheren Land entgegenrollte, wurde es sofort auch sofort wieder wärmer, die Sonne zeigte, dass der Sommer noch nicht ganz vorüber war.

      "Wo fahren wir jetzt eigentlich hin ?" fragte Felsberg schlaftrunken, er war trotz der durchschüttelnden Fahrt ein wenig eingeschlafen.

      Die Reise nach Badakhshan erwies sich als schwieriger als gedacht, tagelang schüttelte und rüttelte die Straße ihre Knochen durcheinander, man fuhr fast wie ferngesteuert, einfach nur weiter, bis an irgendwo ankam. Felsberg ahtte jegliches Gefühl für Raum und Zeit verloren, man hätte genausogut am Mond sein können

      "Wir sind jetzt dann bald in Zibak, da pausieren wir einen Tag, dann geht’s nach Faizabad weiter, nochmals zwei Tage."

      Es war dunkel, als sie ankamen und nach einem eher frugalen Mahl zeigte ihnen der lokale Commander, er hieß Mamajan, stolz noch die zwei anderen Gefangenen, die Komplizen des Buckligen, die ihnen auf ihrer heillosen Flucht nach Norden, quasi in die Arme gelaufen waren, nämlich in der lokalen Chaikhana, wo sie gerade seelenruhig Kebab mit Reis zu sich nehmen hatten wollen, es sei beim 'wollen' geblieben. Mamajan grinste übers ganze Gesicht.

      Der hätte gut und gern der Geschichte aus "Tausend-und-eine-Nacht", nämlich "Ali Baba und die vierzig Räuber" entstammen können. Felsberg erinnerte der grobschlächtige Mann mit dem breiten Grinsen, sofort an diese Figur. Man konnte nicht sagen, ob sein Grinsen, das freundliche Lächeln eines urzeitlichen Drachens war, oder das Zähnefletschen eines Kannibalen. Aber er war gleichzeitig ein äußerst liebenswürdiger Mensch, anlässlich ihrer ersten Begegnung hatte er Felsberg mit der Leichtigkeit einer Puppe hochgehoben, hatte die immense Kraft angedeutet, die diesem Koloss innewohnte. Mirwais begrüßte er mit dem Repekt eines UKameraden auf gleicher Höhe, die Begrüßungsformeln hatten gar kein Ende mehr nehmen wollen.

      Erst am nächsten Tag bemerkte er, dass der große Mann an einem Gehfehler litt, er humpelte leicht dahin.

      Auf Felsbergs Nachfrage kam heraus, dass Mamajan und seine Männer, während der Belagerungen und den Kämpfen mit den Taliban, manchmal sehr lange Zeit, in Deckung, unter einer Brücke, im eiskalten Wasser stehend, im Hinterhalt gelauert hatten. Bis der Gegner reif war um angegriffen zu werden. Dabei hatte er sich ein Nervenleiden zugezogen, das ihn manchmal plagte.

      "Das hier sind die wirklich harten Kämpfer… die Bedingungen, im Winter, ohne warme Bekleidung, nur mit Plastik-Schlappen, in Eis und Schnee, ohne Versorgung und Nachschub oder schwere Waffen… die mussten erst mühsam erbeutet werden… Jeder Panzer den du hier siehst, war einmal ein russischer Panzer und entweder wurden sie "erlegt" oder noch besser, man hat sie funktionstüchtig übernommen…nur die "Stinger"-Raketen kamen von den Amerikanern, mit denen man die Flugzeuge und Hubschrauber herunterholen konnte."

      Commander Mamajan stand bei ihnen, als Mirwais ihm die Geschichte erzählte und untermalte dessen Erzählungen mit lautstarken, die Situation simulierenden Geräuschen. Booooooom… Tatatatatatatatata… Pfoooossshhhh… Pachhchaummmmm… jiuuuu, jiuuuu, jiuuuu… vorbeisausende Kugeln, Explosionen,