Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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aufwärmen, man schwieg wieder für eine Weile, die Fahrbahn forderte ihren Tribut.

      Als sie endlich bei einer Chaikhana ankamen, Mirwais erklärte, dass sie hier übernachten wollten, war Felsberg bereits alles egal, er spürte seine Knochen nicht mehr, zumindest nicht mehr einzeln, er bestand nur mehr aus überreizten Nervensträngen, hatte nur mehr Sehnsucht seinen geplagten Körper an einem ruhigen Platz, ohne Erschütterungen und Verrenkungen "ablegen" zu können. Der warme Reis mit Rosinen und Karotten, samt gekochtem Hammelfleisch tat dann auch den Rest. Felsberg sank in sich zusammen, der heiße Tee zum Abschluss, brachte auch bei ihm den Abschluss. Mirwais zeigte ihm eine Ecke, in der er seinen Schlafsack ausrollen konnte.

      Felsberg sah gerade noch, halb trunken vor Schlaf, wie noch einige andere Gäste die Schenke betraten, ebenfalls aßen und sich für eine Übernachtung einrichteten. Zum Schluss kam noch ein Mann mit einem überdimensionalen Bart und einem großen schwarzen Turban auf dem Kopf zur Tür herein. Alle rückten sofort beflissen zur Seite, murmelten Begrüßungsformeln, auch der Fahrer und der Beifahrer ihres Geländewagens verneigten sich, hielten ihre Hände über ihre Herzen, murmelten die Formeln mit.

      Felsberg dachte noch, dass ihn irgendetwas irritierte, er erkannte sogar noch was es war. Der Geruch. Es roch, wie jener Mann gerochen hatte, der ihn, wann, vor nur einigen wenigen Tagen, in der Nacht überfallen hatte wollen. Aber der war tot, mausetot, daran gab es gar keinen Zweifel, er hatte seine gebrochenen Augen gesehen. Er wunderte sich auch darüber, dass ihn dies überhaupt nicht berührte, obwohl ER doch dessen Tod verursacht hatte, er Michael Felsberg, deutscher Staatsbürger aus München, ohne irgendwelche afghanische Verwandtschaft. Und dann noch der Zwischenfall, als er schießen hatte müssen. Wie viele Menschen hatte er selbst nun schon auf dem Gewissen. Vor kurzer Zeit hatte er sich noch für einen überzeugten Pazifisten gehalten. Er grinste noch im Einschlafen, Pazifismus, ein überflüssige Maxime, in Afghanistan, vollkommen absurd.

      Er merkte später noch, dass Mirwais sich mit seinem Schlafsack neben ihm zum Schlafen legte, dann umfing ihn endlich der gnädige Schlaf.

      Aber es sollte keine ganze Nacht des Schlafes werden. Die Umstände, die sie bis hierher, an diesen Ort getrieben hatten, konnten nicht in Vergessenheit geraten. Schon deshalb, weil plötzlich, Felsberg erschien es, als hätte er gerade eben eingeschlafen, ein Reihe von Schüssen fiel. Sekunden darauf polterte es an der Tür. Mirwais sprang auf, hatte sofort sein Waffe in Anschlag, sprang zur Tür hin. Der Fahrt-Begleiter hatte seine Aufgabe als Wachtposten wohl ernst genommen, denn er trieb einen Gefangenen vor sich her, welcher vor allen, nun erwachten Gästen der Chaikhana, auf den Boden fiel und zu Wimmern begann. Eine schnell entzündete Petroleumlampe zeigte ihnen das verschreckte Gesicht eines Krüppels, der hilfesuchend seine Hände in die Luft erhob.

      Krachend traf ihn ein Hieb mit dem Kolben einer Kalashnikoff, er fiel vornüber in den Schmutz, ein Fuß auf seinem Rücken hielt ihn am Boden fest. "Allah hu' akbar, la illa ha illa 'llah, mohammad rassul allahi…"

      Der Mann leierte seinen Sermon herunter, hoffte wohl durch Anrufung seines Gottes Hilfe zu erhalten. Aber die Soldaten, die hier an der Chaikhana stationiert waren, kannten ihn und kannten daher auch keine Gnade.

      Einer der Soldaten trat hervor, beschimpfte die wimmernde Figur, bespuckte den Mann, trat ihn mehrmals mit dem Fuß ins Hinterteil, er wimmerte.

      Felsberg hielt es nicht länger aus, wollte sich einmischen, die Leute dazu bringen, von der bedauernswerten Kreatur abzulassen. Er trat auf den Soldaten zu, der noch immer seinen Fuß auf dem Rücken des Mannes hatte, bedeutete ihm, er solle den Mann freilassen.

      Aber es kam gar nicht so weit. Eine der bärtigen dunklen Gestalten, ein Soldat der Bergstation, fasste dedn Gefangenen bei den dünnen Oberarmen, presste sie an seinen Körper an und hob ihn mit einer fast spielerischen Bewegung hoch. Der Mann trug ihn in eine Ecke des Raumes, setzte ihn dort etwas unsanft ab, befahl ihm mit einer bestimmenden Handbewegung, dort auch zu bleiben. Felsberg blieb verunsichert stehen, Mirwais bedeute ihm, ruhig zu bleiben.

      Das Geschehen nahm denn auch eine ganz plötzliche Wendung, als man den Gefangenen auf ein Kommando hin, neuerlich auf die Beine hob und mit ihm nach draußen drängte.

      Felsberg blickte Mirwais fragend an, aber Mirwais zuckte nur mit den Achseln.

      "Das ist ein großer Glücksfall für Commander Yahsin… sie haben lange nach diesem Mann gesucht !"

      "Aber er ist nur ein Krüppel, was wollen sie denn von ihm ?"

      Mirwais lächelte ein grimmiges Lächeln und antwortete erst nach einer kleinen Pause.

      "Ja, das ist zwar ein Krüppel, aber ein ganz berühmter, mörderischer Krüppel, heißt Wazir und er ist einer der besten Köche hier im Norden. Eines Tages, anlässlich eines Treffens, hat er da eine ganze Reihe von Generälen und Commander vergiftet, natürlich im Auftrag der Taliban, er ist ein vielfach gesuchter Mörder, man ist glücklich ihn gefangen zu haben."

      "Er sieht aber gar nicht so aus, wie ein Taliban !"

      "Jaa, weil sie sich mittlerweile alle die Bärte geschoren haben, sich ganz normal kleiden, sie verstecken sich, aber wir kennen alle ihre Namen !"

      Felsberg stand auf, ging zur Tür, trat hinaus in die mondhelle Nacht. Man konnte die kleine Gruppe von Männern sehen, den Gefangenen zwischen sich, wie sie einen schmalen Pfad hochkletterten, hin, auf das Felsgrat zu.

      Mirwais war unbemerkt neben ihn getreten, deutete zu den Soldaten hin und machte die unmissverständliche Geste des Halsabschneidens.

      "Was, wollen sie ihm den Hals durchschneiden ?"

      "Nein, vielleicht noch viel Schlimmeres… dieser Mann war auch Koch in verschiedenen Gefangenenlagern der Taliban. Man setzte ihn vornehmlich dort ein, weil er ganz besondere Vergnügen am Töten hatte, und er machte es immer sehr langsam, sodass die Menschen auch noch lange und sehr leiden mussten, er ist ein Tier !"

      Felsberg war etwas geschockt, von der Selbstverständlichkeit, mit der hier über Leben und Tod entschieden wurde, wollte gerade zu einer Rede ansetzen, als ihm Mirwais vorab schon ins Wort fiel.

      "Du musst noch viel lernen über Afghanistan, es ist nicht alles so einfach, wie es scheint, du darfst nicht mit "westlichem Bewusstsein" an das hier denken !"

      "Aber es ist doch Mord mit Mord vergelten, da muss man doch was tun - ich meine, was ist mit Polizei, mit der Justiz ?"

      "Mika, das ist Afghanistan, nach dreiundzwanzig Jahren Bürgerkrieg, wo zeitweise jeder gegen jeden gekämpft hat, diese Leute kennen nur Kampf, Waffen und Gewalt !"

      Felsberg starrte in die Dunkelheit, aber die Gruppe der Männer war bereits aus ihrem Blickfeld verschwunden. Mirwais wollte ihn an der Schulter wieder ins Haus ziehen, aber Felsberg schüttelte ihn ab. Er konnte nicht verstehen, wie auch Mirwais dieses Verhalten einfach stillschweigend tolerierte.

      Er stand noch einige Zeit da, horchte in die Dunkelheit der Schatten, aber da war nichts zu hören.

      Mirwais unterhielt sich mit dem letzten Wachposten, der Koch brachte gerade frisch gebrühten Tee, als Felsberg wieder eintrat.

      Mirwais winkte ihn heran, sagte ihm leise er solle sich zu ihnen setzen, den Erzählungen des Soldaten zuhören, es gäbe da einige Details, die er wissen sollte.

      Er sprach weiter auf den Soldaten ein, hörte ihm wieder zu und fing erst dann zu Übersetzen an.

      "Der Mann, der Krüppel, ist berüchtigt in ganz Afghanistan, sogar die Taliban hatten Angst vor ihm, weil man nie wusste, was er ins Essen tat… und wann er es tat, es gab da mehrere unerklärliche Todesfälle, auch in den Reihen der Bärtigen - Er verwendet eine einheimische Pflanze, deren Wirkung nur er kennt, das Gift ist völlig geschmacklos, wenn es mit dem Reis gekocht wird… Acht Männer, alle Commander der "Nördlichen Allianz" sind gestorben, bei einem Treffen, wo weitere Strategien besprochen hätten werden sollen - ein schwerer Schlag für die Freunde… man musste schnell reagieren - In den Gefangenenlagern gab es besondere Foltermethoden, für Menschen, die man ganz besonders hasste, Intellektuelle, Lehrer, Künstler… man spritze ihnen Tierurin ins Fleisch, in den Oberschenkel, oder den Unterarm,