Peter J. Gnad

Bin in Afghanistan


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      Mamajan kämpfte bereits seit seinem fünfzehnten Lebensjahr aktiv mit. Seit damals, als die Russen seinen Vater und seine zwei älteren Brüder, vor den Augen der Familie und einigen zufälligen Passanten auf der Straße, einfach erschossen hatten. Als vermeintliche Terroristen. Man hatte sie erwischt, wie sie Zucker in die Tanks von russischen Fahrzeugen schütteten. Was auch tatsächlich dazu geführt hatte, dass ein Nachschubtransport von Kunduz nach Kabul, erst eine Woche später stattfinden hatte können. Außerdem, zur Rettung der Ehre der Mujaheddin, wie man die Kämpfer damals noch nannte, musste auch noch gesagt werden, dass jener besagte Transport, mit einem Duzend Lastwagen, hinter dem Salang-Pass, von Massouds Männern gnadenlos in den Abgrund gejagt worden war. Kein einziger Lastwagen hatte seinen Bestimmungsort erreicht. Die Russen hatten einen Heiden-Respekt vor dem jungen Anführer aus dem Panjshir-Tal, Commander Massoud.

      Es gab keine Gesprächsrunde, die nicht irgendwann, im Laufe eines Zusammenseins, von diesem nun schon legendären Führer der "Nordallianz" erzählte, seine Heldentaten rühmte und seinen edlen Charakter pries.

      "Massoouud Khan… Dost-e-Man- good frrend!", sagte Commander Mamajan, "er ist mein Freund!", als ob sein Idol noch am Leben wäre, schlug sich auf die Brust, dass es nur so dröhnte, kramte in einer seiner Brusttaschen und beförderte ein zerdrücktes Passfoto von Ahmed Shah Massoud hervor, hielt es ihnen triumphierend entgegen.

      "Shaheed Massoud !", sagte er nochmals nachdrücklich – Massoud, der Martyrer, für sein Volk, ein wahrer "Ayaar", eine selbstlose idealistische Lichtgestalt des afghanischen Bürgerkrieges. Er war im Land geblieben, hatte gekämpft, während andere sich selbst bereicherten und ins sichere Ausland flohen.

      Felsberg war der ständigen Beweihräucherung des Volkshelden Massoud schon etwas leid, es war einfach zuviel. Man begegnete dem Bild des allgemeinen Idols einfach überall. Keine Küche, kein Wohnraum, kein Laden, keine Straßenkreuzung ohne das Bild Massouds, groß oder klein.

      "Ich weiß nicht, irgendwie kann ich's schon nicht mehr hören, es hängt mir etwas zum Hals heraus, es ist einfach zuviel !"

      "Jaa, aber du musst auch bedenken, es gibt hier kein Fernsehen, nur einige wenige Radios, und keinen Strom, keine Nachrichten, wie auch immer, und die Winter sind lang… man erzählt einander Geschichten, so wie schon immer… und, klarerweise, sind das Geschichten vom Krieg und von den Heldentaten, der einzelnen Größen… Du musst das nur richtig verstehen !"

      "Ich verstehe das nicht falsch, aber es entnervt mich zeitweise etwas, ich würde gerne mal Nachrichten sehen, im Fernsehen, mal was anderes, als Krieg und Zerstörung… Ich glaube ich sehe mir als Nächstes, wenn ich nach Hause komme, mal einen Liebesfilm an… neee, Scheiße…. stimmt gar nicht, ich kann "Liebesfilme" auf den Tod nicht ausstehen, das Gesülze kotzt mich an !"

      Mirwais grinste, "Hättest du in Kabul ansehen können, im lokalen Fernsehen, die spielen immer nur indische Filme, und die sehen seit fünfzig Jahren gleich aus, obwohl sie 800 Filme pro Jahr machen. immer das gleiche… Junge trifft Mädchen, Liebe, und der Weg, bis sie sich endlich finden und auch kriegen, in aller Ehrhaftigkeit… meist mit Gesangseinlagen in den Schweizer Bergen… mit indischen Kostümen… ist auch wirklich zu köstlich, einfach… soooo witzig !"

      "Ich hasse indische Filme, das ist das Letzte überhaupt !"

      Felsberg schüttelte sich, als ob er sich ekelte.

      "Zum Glück sendet das europäische Fernsehen nur ganz selten und dann nur um drei Uhr Früh, solcherlei Filme… da sind mir ja Pornos noch lieber… vor allem kann man da ja wenigstens noch was lernen !"

      Mirwais fing zu kichern an, konnte sich kaum erholen, erzählte Commander Mamajan brühwarm, was Felsberg nun gesagt hatte. Kurz darauf rollte sich auch der Kommandant vor lauter Lachen fast am Boden. Er schlug Felsberg freundschaftlich auf den Schenkel, der Abdruck dieser Freundschaftsbekundung sollte noch Tage danach, wie ein Abbild der Hand eines Riesen, rotleuchtend auf seinem Schenkel sichtbar bleiben, als länger wirkendes Andenken an diesen Moment der Erheiterung eines Giganten in Menschengestalt und der Entladung seines Zwerchfells.

      Der nächste Tag verging schnell, man besuchte verschiedene "Stellungen", in denen sich die Widerstandskämpfer verschanzt hatten, ob nun gegen die russischen Invasoren, gegen feindliche, rivalisierende Mujaheddin, oder letztlich gegen die Taliban. Eines war immer gleich geblieben, nämlich der Kampf, Tod und Zerstörung.

      Commander Mamajan führte sie herum wie ein General, wie ein Museumsführer, der seine Sammlung präsentierte.

      "Da hinten lagen wir… da hatten wir uns eingegraben, so dass sie uns von oben nicht erkennen konnten… hier lagen wir im Wasser… dort wurden wir fast vernichtet, da liegen unsere Brüder begraben, ohne Gräber, in Stücke gerissen, von da oben schossen wir die feindlichen Hubschrauber ab… dieser Platz markiert das Massengrab… ja, das ist unser Land !"

      Felsberg war erschüttert, nie hätte er sich diese Umstände träumen lassen. Er wurde angesichts der geballten Tatsachen immer stiller, hörte nur mehr zu, staunte zeitweise mit offen stehendem Mund, lauschte Mirwais leisen Übersetzungen der einzelnen Grausamkeiten des afghanischen, alltäglichen Kampfes. Kein Europäer in seinen kühnsten ängstlichen Albträumen konnte sich jemals derartige Unmenschlichkeiten für sich, sein Volk, seine Angehörigen, Nachbarn, Freunde, oder auch Feinde, überhaupt nur annähernd vorstellen. Und hier war genau das alltäglicher Alltag, gewohnt, wie das Aufgehen der Sonne, war die alltägliche Gewalt, Mord und Totschlag. Was aber alles nur noch absurder erscheinen ließ, war die sprichwörtliche Freundschaft der Afghanen, ihre Offenheit, ihre Herzenswärme und ihre offensichtliche Liebe für Natur, für Dichtung, für Kunst im Allgemeinen, sie verehrten ihre Musiker wie Boten von fernen Göttern. Alles im krassen Gegensatz zueinander, ein lebendiges Beispiel eines fast schon klassischen Paradoxon.

      Ein weiterer Tag verging fast wie im Schlaf. Felsberg jedenfalls setzte seiner Müdigkeit nicht viel entgegen, ließ sich immer wieder in den erholsamen Schlaf sinken. Er lag auf dem Dach der Behausung, die sie für einen Tag bewohnten.

      Ein schlichter Raum, mit der üblichen Einrichtung aus länglichen Polstern, mit anderen Polstern darauf. Das Besondere an dem Raum war zweifellos der Teppich, im üblichen dunklen Rot gehalten, mit der gewohnten Musterung, aber das Material, die Fasern mussten Seide sein. Der Teppich war so dicht und weich, dass man förmlich darin "versank". Felsberg hatte sogar auf den Polster verzichtet, auf dem blanken Teppich geschlafen. Aber als der Tag anbrach, zog er kurzerhand auf das Dach um. Er wusste, dass er in dem Raum, im Haus, niemals würde Ruhe finden können, um weiter schlafen zu können. Es war ein guter Platz, gewissermaßen direkt über dem Eingang zu dem "Gehöft", auf dem man sich befand. Es hatte eine Mauer rundherum, etwa eineinhalb Meter hoch, mit mehreren Schießscharten in alle Richtungen. Zur Vorderseite hatte man diese Schießscharten auch noch halb überdacht, so dass man auch bei schlechtem Wetter, was hier in den Bergen durchaus häufig war, noch immer trockenen Fußes und, noch viel wichtiger, trockenen Gewehrs, seine Wacht verrichten konnte. Aber Felsberg dachte nicht an Wacht, er lag im Tiefschlaf der Erschöpfung.

      Während er zwischenzeitlich doch erwachte, mehr in einem ein Halbschlaf, als ein wirklicher Wachzustand, gemischt mit Traumphasen – alles verfloss schon ineinander - es fing damit an, dass er Tagträumte, inmitten eines Streitgesprächs mit seiner Freundin Susanne zu sein.

      "Ich kann deine andauernden Ausreden einfach nicht mehr hören, immer, immer das Gleiche, nur nicht irgendwie die Initiative ergreifen !"

      "Was meinst du, ich ergreife immer wieder die Initiative, aber was kommt raus, ein neuerlicher Tiefschlag, ich habe einfach genug von diesem Scheiß-Spiel, es kotzt mich an !"

      "Ja, ja, ich weiß, einmal ist es dies, dann wieder das, irgendetwas, irgendwer ist immer schuld, und dann landet die Flinte schon wieder im berühmten Korn !"

      "Ich versuche, weiß Gott, alles Mögliche… und wenn ich nicht so ein Atheist wäre, dann könnte ich schön langsam glauben, dass da irgendein Fluch, ein böses Omen, oder ein Voodoo über mir schwebt… jedenfalls nichts Gutes !"

      "Papperlapapp… und wenn ich dich nicht so gut kennen würde, dann könnt' ich jetzt glatt glauben, dass du wirklich