Alexander Reiter

Das Schöpfer-Gen


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ihm die Hand auf die Schulter. Sie beide kannten den Professor schon lange, der in Japan eine wahre Koryphäe auf seinem Gebiet war. Wie immer trug er seine Brille mit dem schwarzen Rand und einen locker sitzenden Laborkittel. „Konnichiwa, Mr Takanawa“, begrüßte Ann ihn. „Es muss gut fünf Jahre her sein, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Sie haben sich gar nicht verändert“, fügte sie lächelnd hinzu.

      „Oh, Konnichiwa, Miss Singer, welche Freude, dass Sie auch an Bord sind. Sie müssen mir helfen! Mark wird gleich den Bildschirm ausschalten, wenn ich ihm weiter widerspreche.“

      Ann lachte. „Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Dr. Takanawa. Ach, ich glaube nicht, dass er sich das trauen würde. Wir fühlen uns geehrt, dass Sie unsere Forschungen bereichern.“

      Der Japaner schmunzelte und wies mit einem Datenstick, den er in der Hand hielt, auf Mark. „Sehen Sie, Ann ist viel charmanter als Sie. Eine ganz besondere Blume, auf die Sie gut aufpassen sollten.“

      „Ja, Professor“, gab Mark zurück und lächelte ebenfalls. „Aber nun zurück zu unserem Gespräch – es ist besser, dass meine Blume nun auch hier ist, denn ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich alles richtig verstehe.“

      Takanawa wurde schlagartig ernst. „Wir müssen davon ausgehen, dass wir es hier mit spontanen Veränderungen zu tun haben, Mark. Das heißt, wir werden alle Faktoren, wie erbliche Mutationen, Umweltbedingungen oder Krankheiten, als Auslöser ausschließen müssen.“

      „Das klingt, als müssten wir nach einem Plan suchen.“

      „So ist es. Was ich hier gerade sage, hätte ich zwar nie für möglich gehalten, aber ich glaube, wir sollten unsere Forschungen darauf lenken, nach dem Prinzip des Intelligenten Designs in uns zu suchen. Soll heißen, dass wir hier Neuland betreten: In unserem Erbgut sind neben unseren normalen, evolutionären Genvariationen möglicherweise bereits seit Anbeginn einige Gene vorhanden, die einerseits spontane, andererseits aber geplante und von außen gesteuerte Veränderungen hervorrufen können. Wir suchen ganz definitiv nach einem Muster.“

      „Aber wo setzen wir an? Wir haben keinen Ansatzpunkt“, wandte Mark ein.

      Takanawa rieb die Handflächen aneinander. „Nun, eine Möglichkeit wäre, dass wir uns bekannte Bereiche in unserer Entwicklung vornehmen und uns langsam nach vorne tasten. Sie wissen doch, wofür das Gen MCHP-1 zuständig ist?“

      „Für abstraktes Denken“, sagte Ann zögernd, als fürchte sie sich vor der Antwort.

      „Genau. Dieses oder ähnliche Gene haben, soviel wissen wir bereits, vor Jahren die Fähigkeit für abstraktes Denken ausgelöst. Was, wenn auch das ein gesteuerter Eingriff war?“ Der Japaner machte eine Pause.

      Mark und Ann schauten sich sprachlos an, warteten, dass er weitersprach. „Wir sollten in größeren Dimensionen denken. Wenn, sagen wir, alle 2000 Jahre ein Eingriff vorgenommen wurde, wann kommen die intendierten Veränderungen zum Tragen? Sofort? Generationen später? Es könnte ja sein, dass neben der selektiven und mutagenen Veränderung auch noch gesteuerte Veränderungen eintreten, ohne die Entwicklung direkt zu gefährden.“

      „Sie wissen, dass das mehr Fragen aufwirft als es beantwortet, nicht wahr?“ Mark ging aufgeregt im Raum herum. „Hm … Wir könnten Teams darauf ansetzen, nach Sequenzen zu suchen, die irgendwie konstruiert erscheinen.“

      „Genau das meine ich“, bestätigte Takanawa. „Darf ich vorschlagen, dass wir sowohl bei den Variationen in den Basenpaaren als auch bei den Anordnungen der Grundbausteine beginnen? Ich denke, wir könnten hier Auffälligkeiten finden, wenn wir von dieser Sicht aus an die Sache herangehen.“

      Mark tippte bereits eine Anweisung an seine Mitarbeiter, als Takanawa fragte: „Miss Singer, was geht Ihnen durch den Kopf?“

      Ann bemühte sich um einen leichten Ton, doch ihre Stimme klang brüchig. „Wissen Sie, was wir hier tun? Wir versuchen, den Plan unseres Schöpfers zu verstehen, das macht mich etwas traurig.“

      „Warum das denn?“ Mark hielt mitten im Tippen inne.

      „Weil mein Glaube damit in Frage gestellt wird“, antwortete Ann leise.

      Takanawa lächelte väterlich und sagte: „Das glaube ich nicht, Miss Singer. Denn der Glaube ist stark auf der Welt. Und Sie sind ebenso stark im Glauben. Sie suchen schon immer nach Antworten – warum sonst sind Sie Neurowissenschaftlerin geworden? Ich glaube nicht, dass Sie etwas finden, dass das in Frage stellt. Ihr Glaube ist stark, davon haben Sie mich schon vor Jahren überzeugt. Aber Ihr Wissensdurst ist ebenso stark. Beides ergänzt sich in Ihnen, meine liebe Miss Singer.“

      Ann lächelte. „Das haben Sie schön gesagt, vielen Dank. Ich werde noch in Ruhe darüber nachdenken müssen. Momentan hat die Wissenschaft Priorität, das weiß ich.“

      „Ich arbeite einen Plan zur weiteren Vorgehensweise aus und beginne mit den Forschungen, wenn Sie möchten.“

      „Das wäre fantastisch, Dr. Takanawa. Wir sprechen uns dann, sobald Sie neue Informationen haben. Sayonara, Dr. Takanawa und Arigato.“

      Mark stellte den Bildschirm aus und wandte sich Ann zu, die etwas mitgenommen aussah. „Ich sollte dir mal was zum Beißen besorgen, du siehst aus, als ob du einen Happen vertragen kannst.“

      „Ich hab keinen Hunger.“

      „Du musst was essen, Ann. Du darfst jetzt nicht zusammenklappen.“

      Ann seufzte. „Du gibst nicht auf, oder? Also, von mir aus. An was hast du gedacht?“

      Mark lächelte etwas verschmitzt: „Ich denke, Sushi wäre passend.“

      Nordatlantischer Ozean, Regierungsmaschine/19.15 Uhr (GMT)

      Meine Geschichte? Die hatten sie doch nicht alle! Mir gefror das Blut in den Adern. „Wie bitte? Was für eine Geschichte? Ich bin Barkeeper aus Croydon! Mit allem Respekt, aber das klingt für mich doch ein bisschen weit hergeholt.“

      Callahan wartete ab, bis ich meine Tirade beendet hatte. Dann erklärte er: „Nun, so steht es tatsächlich geschrieben. Wir befassen uns seit geraumer Zeit mit diesen Aufzeichnungen und sie stimmen tatsächlich mit den Ereignissen des heutigen Tages überein. Wir nennen sie die Prophezeiungen der Wiederkehr. Zuerst dachten wir, dass sie ursprünglich ein Teil der Schriften der Apokalypse waren, aber sie stellten sich als viel älter heraus. Die darin enthaltenen Informationen werfen unsere Geschichtsschreibung und unser Weltbild vollkommen über den Haufen.“

      Jedes seiner Worte machte mich noch unruhiger. Apokalypse? Prophezeiungen? „Und da steht was über mich? Was denn, verdammt noch mal?“, platzte ich heraus.

      Callahan sprach ungerührt weiter: „Also, Mr Cole: In den Rollen ist die Rede vom Tag, an dem der Eine wiederkehrt. Es steht geschrieben, wenn die Erste zurückkehrt, werden alle den Einen erkennen. Sie werden ihn sehen, fühlen und spüren. Er, der immer währt, muss sich dann bereitmachen. Am Tag des Blutmondes muss er durch das Sonnentor gehen. Und dieses Sonnentor steht unserer Forschungen nach in Südamerika.“

      „Und das soll meine Geschichte sein? Das ist doch Bullshit. Das muss gar nichts mit mir zu tun haben.“ Ich sprang auf, da ich mich auf meinem Sessel zunehmend unwohl fühlte. Dieser Raum und dieses Flugzeug machten es nicht unbedingt besser, ich konnte nirgendwo hin. Als ich mich geradezu gehetzt umsah, konnte ich in den Gesichtern nichts lesen. Was dachten sie von mir? Lediglich Paul schien von dem ganzen Vortrag sichtlich amüsiert und zwinkerte mir zu. Ich atmete tief durch. Wenn Paul keine Angst hatte, dann war es vielleicht doch nicht so schlimm.

      „Was haben Sie denn erwartet?“, fragte Callahan zurück, und zum ersten Mal war ihm die Anspannung, unter der er stand, anzuhören. „Dass man Ihren Namen und Ihre Adresse in Babylonischer Keilschrift findet? Sie sind heute unter allen Menschen auf Erden ausgewählt worden, wie es geschrieben steht, und alles, was Sie zu sagen haben, ist Bullshit? Halten Sie das für eine angemessene Reaktion? Es gibt hier keine Zufälle, Mr Cole. In den Rollen steht viel über