Alexander Reiter

Das Schöpfer-Gen


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noch bei Indiana Jones? Altaramäisch oder so? Woher wissen Sie das denn alles so genau?“

      „Sie haben recht, die Schriften sind leider sehr schwer zu übersetzen, da sie in fast 40 uralten Sprachen verfasst sind, wobei wir die meisten zuvor nicht einmal kannten“, gab Callahan zu. „Aber dennoch – auch dafür gibt es Experten. Und wir hatten ja einige Jahrzehnte Zeit, die Schriften zu entschlüsseln.“

      Ich ging langsam rückwärts, bis ich an die Wand stieß. Trotz Isolierung war sie eiskalt, die Kühle drang durch mein Hemd und ließ mich wieder etwas klarer denken. „Das erklärt immer noch nichts, denn keiner meiner Verwandten war jemals in Südamerika, soweit ich weiß. Ehrlich, nicht mal außerhalb von Europa.“

      „Ihre Mutter, Mr Cole“, sagte der Professor.

      „Was soll mit ihr sein? Sie war Spanierin.“

      „Das ist richtig, aber Ihre Verwandtschaft mütterlicherseits nicht. Wir haben Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass einige Ihrer Verwandten Bolivianer waren.“

      Meine Mutter hatte nie über ihre Familie gesprochen. Sie hatte nur einmal erwähnt, dass sie in einem Waisenhaus großgeworden war, aber wo, wusste ich nicht. „Und was bitte ist das Sonnentor?“, fragte ich.

      „Es handelt sich hierbei um ein Tor in einem Tempelkomplex in Tihuanacu in Bolivien. Dorthin sind wir gerade unterwegs.“

      Bolivien. Na, endlich mal etwas Greifbares. „Und warum die Eile?“

      „Weil wir Grund zu der Annahme haben, dass Sie der Letzte Ihrer Blutlinie sind und die, nun ja, die anderen einfach da erscheinen, wo Sie sind.“

      Den Teil verstand sogar ich: „Ach so, und ich war in London? Deswegen tauchte die Frau dort auf?“

      „Genau – und ein Platz mitten in einer Großstadt ist der falsche Ort. Wir bringen Sie nach Bolivien, denn der nächste Blutmond ist in fünf Tagen!“

      Okay – damit war mein Verständnis wieder dahin. „Hä? Was passiert dann, in Thicudings … in dem Tempel?“

      Callahan deutete auf seine Notizen. „Hier sind die Rollen sehr detailliert: Wir müssen den Ort zur großen Wiederkehr vorbereiten. In den Schriften ist genau festgehalten, wie der Tempel aussehen muss. Es gibt genaue Vorgaben über den Verlauf der Vorbereitungen. Was ja ganz faszinierend ist für uns Wissenschaftler: Alle Kulturen der damaligen Zeit wussten von diesen Zusammenkünften. Sie haben das Wissen davon von Generation zu Generation weitergegeben und irgendwann niedergeschrieben. Dadurch, dass diese Treffen nur in sehr großen Zeitabständen stattfanden, gerieten die Schriften aber dennoch über die Jahrhunderte in Vergessenheit. Wir können von Glück reden, dass wir welche gefunden haben, denn ohne die Angaben in den Rollen hätten wir keine Chance, die nun anstehenden Vorbereitungen durchzuführen.“ Er sah mich erwartungsvoll an.

      Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir immer noch nicht klar, warum ich – ich, David Cole, da mit drinhing. Was das mit meiner Blutlinie zu tun haben sollte. Wenn das alles wahr war, dann hätte meine Mutter irgendwann einen Ton gesagt, oder? Callahan sah mich immer noch an. Erwartete er im Ernst eine Antwort von mir?

      Da rettete mich Karen. „Meine Herren, der Premier ist jetzt zugeschaltet“, verkündete sie und schaltete einen großen, in die Wand eingelassenen Bildschirm an.

      Der Premierminister hatte tiefe Ringe unter den Augen, der erste Bartschatten zog sich über seine Wangen. „Guten Abend, ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Flug.“

      Wir nickten alle wie die Schulkinder.

      „Ich nehme an, Professor Callahan hat Sie bereits aufgeklärt.“

      „Hallo, Matthew, ja, soweit sind alle im Bilde“, sagte Callahan. „Mr Cole wirkt noch etwas zweifelnd, aber wir haben noch genug Zeit, um seine Fragen zu beantworten.“ Er warf mir ein schiefes Lächeln zu.

      Ich verschränkte trotzig die Arme, verkniff mir aber einen bösen Kommentar.

      „Danke, James, was wären wir ohne dich? Meine Damen und Herren, ich wollte Ihnen ein kurzes Update zu der momentanen Lage geben. In den meisten Ländern der Welt regiert im Moment leider immer noch die Angst, was man angesichts der Ereignisse sehr gut verstehen kann, und viele haben mit dramatischen Zuständen zu kämpfen. In fast jedem europäischen Land wurde der Ausnahmezustand ausgerufen, viele flüchten sich in die Kirchen und Moscheen weltweit, andere plündern und brandschatzen. So steht gerade die Innenstadt von Warschau in Brand, und in Moskau liefert sich die Bevölkerung Straßenschlachten mit dem Militär. Die Regierungschefs weltweit rufen zur Einigkeit auf und versuchen die Menschen zu beruhigen, doch oft ohne Erfolg. In manchen Ländern sind so bereits alle politischen Strukturen zusammengebrochen. Viele afrikanische Staaten sind praktisch führungslos. Wir tun dennoch, was wir können, um die Ordnung wiederherzustellen. Die UNO hat bereits Truppen entsendet – aber ich denke, wir können das nur erreichen, wenn wir den Menschen die Hoffnung wiedergeben. Und damit zu Ihnen: Unsere Aufgabe wird es sein, diesen Tempel wiederaufzubauen. Und genau das werden wir tun. Jeder weiß, dass es hier um mehr geht als um Profit, dass wir wohl keine zweite Chance bekommen. Die Region direkt am Tempelkomplex wurde mit allem Notwendigen versorgt und wir haben eine funktionierende kleine Siedlung für Sie, die Organisationsmitglieder und das Architektenteam, aufgebaut. Etwa drei Kilometer von der Kultstätte entfernt befindet sich das Hauptlager. Hier werden gerade Containerunterkünfte und Zelte für die Bautrupps, Techniker, das Militär und alle anderen Helfer aufgestellt. Von Seiten der bolivianischen Regierung aus wurde vor drei Stunden mit Grabungs- und Bergungsarbeiten am Tempelkomplex begonnen. Zwei der besten Architekten unserer Zeit sind auch schon auf dem Weg dorthin und koordinieren bereits jetzt die Vorbereitungen und Abläufe.

      Sämtliche Ressourcen, die uns zur Verfügung stehen, werden momentan aktiviert und weltweit koordiniert, um unsere Operation zum Erfolg zu führen.“ Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. „Ich hoffe, es stimmt wirklich, dass die Menschheit immer dann am besten wird, wenn sie mit dem Rücken zur Wand steht.“ Der Premier machte eine Pause. Er sah mich direkt an und nickte kaum merklich. „Was ich Ihnen jetzt mitteile, werden Sie mir nicht glauben. Ehrlich gesagt, kann ich es selbst kaum begreifen, aber dadurch haben wir erfahren, dass wir mit Sicherheit am richtigen Ort sind: Satellitenbilder zeigen es ganz deutlich. Schon seit Wochen treffen um die Tempelanlage herum Vertreter der verschiedensten Volksgruppen und Stämme aus aller Welt ein.“ Ich sah mich um. Selbst Paul war die Kinnlade heruntergeklappt, und er schien etwas sagen zu wollen, hielt sich aber noch zurück.

      „Sie waren teilweise bereits Monate unterwegs, und es werden stündlich immer mehr. Amnesty International und Mitarbeiter von Misereor, die vor Ort Hilfsprojekte unterstützen, haben wohl bereits vor Monaten erstmals darauf aufmerksam gemacht, dass sich kleinere Gruppen auf den Weg machten, doch hat man das damals als eher bedeutungslos abgetan. Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellt. Und nun kommt das Wichtigste: Sie alle berichten, sie würden von einer inneren Stimme zum Sonnentor geleitet.“

      „Premierminister, eine Frage …“ Paul ging ein paar Schritte vor zum Bildschirm.

      Harper hob die Hand. „Moment noch, Mr Richards. Ich bin gleich fertig. Wie mir berichtet wurde, hat sich auch das Verhalten der Tiere eklatant verändert. Immer mehr Tiere verschiedenster Arten kommen in die Region, die normalerweise nicht gerade bekannt ist für ihre Artenvielfalt. Jetzt, Mr Richards. Was möchten Sie wissen?“

      Dieser nickte. „Danke, Premierminister. Soll das heißen, dass ganz viele unterschiedliche Lebewesen an diesen Ort ziehen, wo sie uns nachher aussetzen wollen?“

      „Im Prinzip, ja.“

      „Wilde Tiere?“, hakte Paul nach.

      „Sie müssen mit allem rechnen“, gab Harper zu. „Aber wir haben ja Sicherheitsmaßnahmen getroffen, die sowohl Menschen wie auch Tiere betreffen. Nun, Sie werden noch etwa sechs Stunden in der Luft sein, also schlage ich vor, Sie ruhen sich ein bisschen aus. Ich informiere Sie umgehend nach Ihrer Ankunft über neue Entwicklungen. Ich wünsche Ihnen nun allen eine gute Nacht und Gott beschütze Sie alle.“

      Mit diesen Worten wurde der Bildschirm dunkel.

      Mir