Maggi Lidchi-Grassi

Der Große Herr und die Himmlische Frau


Скачать книгу

würde er leben oder sterben. Er war einer von ihnen.

      “Du mußt sie auf der Innenseite tragen”, sagte Metter zu Impi.

      “Ich bin geehrt, Sergeant. Aber wenn es dir nichts ausmacht, werde ich jetzt, wo ich das Abzeichen habe, die Patrouillen auslassen.”

      “In deinem Fall ist es für fünf Tage Abwesenheit.”

      “Hier habt ihr was zum Feiern.”

      Walker hatte die Hände erhoben, und von jeder baumelte eine Flasche Wein.

      Sie hatten Madame Schelle ihre Rationen gegeben, und aus dem großen Eisentopf, in dem sie mit einem Holzlöffel rührte, kam der Duft von Rinderhackfleisch, das in Wein, Kräutern und Zwiebeln schmorte.

      Es war Abend. Die nur mäßig erhellte warme Küche wirkte durch den Dampf verschwommen. Impi, der am großen, schwarzen Kohleofen neben Madame Schelle stand, beugte sich vor, zog den Duft ein und ließ die Augen rollen.

      “Mama mia, das ist gut!” rief er den Männern am Tisch zu, nahm eine tief gewölbte Kupferkelle von ihrem Haken und schob sie gewandt unter Madame Schelles vorspringendem Busen in den Topf hinein. Dann zog er sie zurück, halbvoll mit Saft und Stücken von Rindfleisch.

       “Ah non, alors, Monsieur Impi, vous allez prendre tout le jus.” [7]

      Impi, der sich eilig in Sicherheit begeben hatte, schnupperte an der Kelle und warf ihr eine Kußhand zu.

      “Oui, oui”, sagte sie ätzend. Impi verzog das Gesicht zu einer schuldbewußten Miene und hielt ihr die Kelle hin, als wollte er sie zurückgeben. Sie wandte sich ab, um das Lächeln zu verbergen, das sich auf ihrem schönen vollwangigen Gesicht gebildet hatte, und er warf ihr einen Schwarm leidenschaftlicher Küsse zu.

      “Großartig, Imp”, rief Wacky und klatschte. Jemand pfiff. Impi schwatzte Madame Schelle noch mehr Wein ab. Blom prüfte das Etikett. Robert zog eine Flasche aus seinem Rucksack, die dort auf eine Gelegenheit gewartet hatte, und Türk brachte eine versiegelte hervor. Es war Kognak. Sie setzten sich um den Tisch, kauten Cheddarkäse und rauchten. Koch summte leise. Es war ein ständiges Brummen, unerkenntlich und fast ohne Melodie.

      Zwiebeln und Knoblauch hingen in langen Ketten von den Holzbalken. Kupferpfannen und -töpfe hafteten an der Wand, Kessel glitzerten in den Ecken, und ihr Polierglanz flößte den erschöpften Gesichtern der Männer Leben ein. Der Abend hüllte ihn ein, und er spürte die kleinen silbernen Gewehre auf seinem Herzen. Er hatte die Patrouille durchgestanden. Er war unter guten Menschen. Er würde ebenfalls ein tapferer Soldat sein. Er würde einen guten Krieg kämpfen. Die Küchentür schwang auf, und Wacky trat einem noch größeren Mann entgegen, der auf der Türschwelle stand. John wußte sofort, daß es der Tapfere Leutnant war. Kampfzerzaust und triumphierend stand er da, die eine Hand auf der Hüfte und die andere auf der Türleiste. Er grinste, während die Männer eine Schlange bildeten, um ihm zu gratulieren und seine Ordensbänder zu inspizieren. Das war ein Held.

      “Hey, Leu! Außerordentliche Dienstleistung! Großartig!” In Wackys Stimme lag eine Ehrerbietung, die den Dekorierten als etwas Besonderes erscheinen ließ. Plötzlich verdunkelten sich die Augen des Leutnants. Dann war es weg. Er schüttelte die Hände der Männer eine nach der anderen.

      “Ich kann Drummond und Metter nicht finden. Kowalski, würdest du sie bitte rufen?” Sein Blick fiel auf John.

      “Du bist neu.”

      “Jawohl, Sir. Ich heiße John Kelly.” Er salutierte zackig. “Gratuliere, Herr Leutnant.” Sie schüttelten sich die Hände, und John fühlte, wie eine Dunkelheit aufwallte, endlos und gewaltig, und ohne jede Hoffnung auf Rettung. Sie kam aus der Hand des Leutnants.

      Impi trat heran, um den ausgestreckten Arm zu schütteln.

      “Ich heiße Imperiello.”

      Als sie den Bauernhof verließen, um auf dem Hügel Kampfstellungen zu beziehen, regnete es. Es regnete auf der Straße, und der Donner war nicht mehr fern. Schwärme von glänzenden Regenmänteln erkämpften sich ihren Weg über das Land.

      Liebste Kathy,

      jetzt endlich ... werde ich herausfinden, worum es geht. Ich hoffe, daß ich es schaffe.

      Sie drangen in den Wald ein, der dicht mit schwarzen, tropfenden Nadelbäumen bestanden war. Mit den Füßen konnten sie die Explosionen spüren. Der Klang des Krieges ... Es war der Klang des Krieges, und dennoch bewahrten die Wälder ihr regendurchtränktes Schweigen. Für John hatte das alles etwas seltsam Aufregendes; es verwandelte die Furcht in ihr Gegenteil, in ein gefaßtes Annehmen seines Schicksals.

      Nach einer Weile erreichten sie zerbombtes Gebiet. Sie gingen um Krater herum und suchten sich ihren Weg durch tote und sterbende Bäume hindurch, die durch die üppig grünenden um sie herum noch trostloser wirkten.

      “Wie oft muß ich euch noch sagen, daß ihr keine Haufen bilden sollt?” Die Unteroffiziere rannten vor und zurück, schoben und stießen. Das Gelände stieg an. Ein dünnes Kreischen erklang und ließ seinen Geist stillstehen. Das ist es. Aber es war es nicht.

      Der Schlamm ließ sie schlittern und mit ihren schweren Rucksäcken zwischen den knorrigen Wurzeln hinfallen. Stets ging es hinauf, rutschend und an den Zweigen ziehend. Drummond war neben ihm.

      “Achte nur auf den Mann vor dir. Es wird jetzt steil. Bleibt ausgebreitet. Sie beschießen den Kamm. Etwas von ihrem Zeug wird hier landen.” Und dann war er wieder voran und halb im Nebel verschwunden.

      Ein seltsames Flattern und Flüstern ... und immer wieder eine Stimme, die in das flatternde und knisternde Geflüster hineinschrie: ... Runter, runter! Er lag ausgespreizt im Schlamm, die Wange an den nassen und glatten Regenmantel gedrückt. Der Matsch sprang unter ihm weg und nahm ihn erneut in seine plötzliche Härte auf, während sein Kopf und Herz explodierten. Die Luft war fortgepumpt worden. Er konnte nicht atmen. Sein Kopf sprang panisch nach oben, und er kämpfte um Sauerstoff. Zwei Meter vor ihm verwandelte sich ein Gesichtsfleck um einen keuchenden Mund in Kowalski. Sie schauten einander an. Schwer atmend schüttelte Kowalski den Kopf.

      Sie erreichten ihre Stellung in der frühen Abenddämmerung und gruben sich in die matschige Erde ein, gruben und gruben.

      “Hey, schau dir das mal an.” Auf dem Bauch liegend, wies Kowalski über den Grat des Hügels, der ein bis zwei Meter vor ihrem Loch entlanglief. Neben ihm ausgestreckt, blickte John in einen goldenen Nebel hinein, den orangefarbene Wirbel und Ausbrüche punktierten. Es hatte zu regnen aufgehört.

      “Hey, das ist schön”, sagte John. “Wo sind wir? Alles, was ich sehen kann, sind Wälder.”

      “Das ist unser Zeugs, was da drüben landet. Da sind die Krauts.” Kowalski zeigte in die Richtung.

      “Wo ist die Stadt?”

      “Kreuzbach? Da drüben zur Rechten, wo der ganze Rauch ist.”

      “Morgen werden wir sie sehen.”

      Neben ihm im Loch war Kowalski eingeschlummert, und sein Atem schnurrte sanft in der Kehle. Über John senkte sich die schwärzeste und kälteste Nacht, die er je erlebt hatte. Er versuchte, sich ihr entgegenzustemmen. Nur die Stimmen, die schwach aus den anderen Löchern kamen, drängten sie zurück. Man wartete, als wenn eine Tür sich öffnen würde, um eine noch schwärzere Nacht hereinzulassen.

      Eine furchtbare Explosion erfaßte John und warf ihn auf die Seite. Er lag da und schnappte nach Luft, und das Herz schlug ihm gegen den Hals. Der Boden sprang nach oben, kippte ab, und sprang erneut, während er versuchte, sich an der Wand festzuhalten.

      Abgesehen vom Spiel der Explosionsblitze war die Dunkelheit zurückgekehrt. Plötzlich wurde es still, und es war kalt und feucht.

      “Sie haben schon wieder angefangen!” rief Kowalski wütend. “Wir werden kein scheißbißchen Schlaf kriegen.”

      Gegrüßet seist du,