Maggi Lidchi-Grassi

Der Große Herr und die Himmlische Frau


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Ich geb’ dir Feuerschutz.” Ein zerbrochenes Fenster rahmte Impis unbehelmten Kopf ein. John stürzte durch die Seitentür ins Haus.

      “Wo ist Drummond?” keuchte er. “Und setz dir den Helm auf.”

      “Weiß nicht. Vielleicht oben.” Impi feuerte wieder. “Diese Typen da drüben versuchen, mich umzubringen. Macht mich nervös.”

      “Ich muß Drummond finden.”

      “Kell, wünschst du dir nicht, wir wären in Greenpoint?” Wie seltsam. Seltsam, daß Impi immer noch an Orte denken konnte.

      “Drummond muß oben sein. Wacky ist da mit ‘nem Haufen Fusel und benimmt sich wie ein Cowboy. Er ist ...” John war aus der Tür hinaus. Zwei und drei Stufen auf einmal nehmend, erreichte er das erste Geschoß.

      “Und wo glaubst du, daß du hingehst?” rief ihm Drummond vom anderen Ende des Flures zu.

      John rannte zu ihm hin und rief: “Sarge – nächste Straße – ein Trupp in der Klemme. Ihr Leu will ein Panzerfaustteam.”

      “In Ordnung. Jetzt geh auf deinen Posten zurück. Und – Kelly. Du bist jetzt amtierender Unteroffizier. Sie haben Kowalskis Kopf erwischt.”

      John wandte sich um und eilte den Flur entlang. In einem schweren Goldrahmen hing das Bild eines vor Arroganz steifen Soldaten an der Wand, das Gesicht im Profil. Hatten Soldaten wirklich je solche schmalen Finger gehabt, die auf der Hüfte ruhten, den Umhang nachlässig nach hinten geworfen, um eine Schulter mit Epauletten zu enthüllen? Hatten solche Männer je Krieg geführt? Er stand da und betrachtete die rötlichen Koteletten, den Lederglanz an der Wade und das Schimmern von Schwert und Sporen.

      Die Tür des ersten Zimmers an der Treppe stand offen. Am Fenster war Walkers breiter Rücken hinter der BAR.

      “Ich schieß’ dir den Arsch ab, Schweinehund!” rief er. Die Gabel, die das Gewehr trug, stand neben zwei Flaschen auf dem Fensterbrett. Er bückte sich, um eine aufzuheben, und beugte sich nach hinten, um zu trinken. Die Stiefel gruben sich in das austernfarbene, mit Satin überzogene und nun schmutzbeschmierte Steppbett.

      John äffte Drummond nach und bellte: “Walker!”

      “Mann, Kell, ich hab’ mir fast in die Hose gemacht.” Alkohol lief ihm über das Kinn. “Wir verschwenden hier echten französischen Kognak. Der Hauptmann sagt, das Haus hat einen wirklich guten Keller. Hier, versuch etwas davon.”

      “Wie kannst du trinken und zugleich gerade schießen?”

      “Ich bin Texaner.”

      “Ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst mit deinem Arsch auf deinen Posten zurückgehen!” Drummond funkelte ihn von der Tür aus an.

      “Jawohl, Sarge, ich meine ...”

      “Das Panzerfaustteam ist bereits drüben. Wenn sie fertig sind, wird das verdammte Haus leerstehen. Jetzt geh rüber und bleib auf deinem Platz!”

      “Jawohl, Sarge!”

      “Nimm Impi mit. Und versuche zu verstehen: Wir haben einen Haufen Leute verloren, nur um diese kleine Ecke der Stadt einzunehmen. Wenn jetzt alle den Clown spielen, werden wir sie wieder verlieren.”

      Er trat mit Impi aus dem Hauptgebäude und rief Walker zu, er solle ihnen Feuerschutz geben. Die BAR spie, und sie rannten über die Straße bis zum Hintereingang, und dann die wackelnde, baufällige Treppe hinauf.

      “Was für ein Schrottplatz, was, Kelly?”

      “Das muß ein apartes Haus gewesen sein da drüben.”

      “Das ganze ist ein Schrottplatz. Ich sag’ dir was, Kell, Williamsburg ist mir millionenmal lieber. Was mich angeht, können die Krauts diese Müllhalde behalten, den ganzen Haufen für einen Morgen Land von Greenpoint.” Blom war verschwunden. Impi bezog auf dem Tisch Stellung und saß, das Gewehr lose zwischen den Beinen hängend, mit dem Rücken zur Wand. Er nahm den Helm ab und rieb sich die Ohren warm, dann kreuzte er die Arme und beklopfte sich die Schultern.

      “Setz den Helm auf!” John starrte auf die Straße.

      “Weißt du, Kell, der ganze Scheiß, den sie uns in den Kriegsfilmen gezeigt haben, wo die Soldaten alle aussehen wie der Lackaffe an der Wand auf der anderen Straßenseite ... So ist es nicht. Wenn sie mir so eine Uniform geben würden und Loretta Young im Dekolleté lang und breit für mich in Ohnmacht fallen würde, würde ich mich ja nicht beschweren. Aber, Kell, sie sagen dir nie, wie es wirklich ist. Ich sah einen Kerl, dem sie den Mund abgeschossen hatten. Und er versuchte, mir etwas zu sagen. Und keine Worte.” John nickte. “Ich sag’ dir was, Kell, wenn das Italien wäre, würd’ ich weglaufen und mich irgendwo verstecken. Ich würd’ dich mitnehmen.” Er lächelte. Seine Stimmung hatte sich gewandelt. “Ich würd’ dir so eine hübsche Ragazza finden ... Italienische Mädchen sind lieb. Sie verstehen einen Mann.” Kugeln schlugen in die Wand ein.

      “Weißt du, Kell, ich benehme mich immer, als wäre ich der größte Weiberheld. Das ist nur Gerede. In Wahrheit liebe ich Giovanna.”

      “Setz den Helm auf! Du machst mich verrückt.”

      “Das ist alles. Ich will ein guter Mensch sein. – Kell, ...” Seine Stimme wurde lauter. “Ich verstehe diesen Krieg nicht. Ich glaube nicht, daß ihn irgendeiner versteht. Das letzte Mal kämpfte mein Vater mit den Engländern gegen die Krauts. Er haßt die Krauts. Italiener hassen immer die Krauts. Was soll ich tun, wenn wir mit italienischen Jungs kämpfen müssen? Soll ich auf meinen Cousin schießen? Soll ich sie treten, wie es Metter mit dem Kraut gemacht hat, und sagen: ‚Wo ist dein Bataillon, du dreckiger Itacker?’ Sind denn alle verrückt? Glaubst du, daß es falsch ist, von all diesem Scheiß wegbleiben zu wollen?” Er kroch zum Fenster und schaute vorsichtig hinaus. “Ziemlich gefährlich um diese Ecke ‘rum.”

      John sagte: “Was mich angeht, glaube ich, es wäre falsch. Du weißt, was Churchill sagt: Alles ist besser, als daß die Nazis die Welt regieren. Dieser Hitler ist verrückt und will, daß die ganze Welt sein Sklave wird und ‚Heil Hitler’ ruft.”

      “Ja, mein Cousin hat das auch gesagt, als sie aus Italien schrieben. Sie wollen nicht kämpfen. Sie sagen, Mussolini ist nur ein Clown. Vielleicht sind wir alle Clowns, oder wir würden nicht hier sein und einander töten. Wir Menschen wurden nicht dafür geschaffen. Wir sollen einander lieben. Irgendein dummer Hund versucht, herüberzukommen.” Er hob das Gewehr, um ihm Feuerschutz zu geben.

      “Hey, Imp! Steck deinen verrückten Kopf hier runter.” Er hielt ihm den Helm mit dem Gewehr hin. Impi gab ein kurzes ersticktes Lachen von sich, hielt die Hand aufs Herz und wirbelte herum wie in einem Western. Dann fiel er auf Johns Schoß und stieß die beiden Gewehre und den Helm zu Boden.

      “Hör auf damit!” John gab ihm eins mit dem Ellenbogen. Impi schlitterte hinab und zog John mit sich. Die Lippe verzog sich und hielt ein Lachen zurück, doch dann öffnete sich der Mund geräuschlos. John drückte ihm die Schulter. “Impi!” Er blickte ihn an und schüttelte ihn leicht. Dann legte er den Kopf auf Impis Brust – sein Helm kratzte den groben Stoff – und hörte ein klopfendes Herz. Es war sein eigenes. Impis war weg. Er zog den Mantel zur Seite, schob die Hand unter die Kleider und ließ sie über die Brust, den Magen und den Bauch gleiten, warm wie ein Schoßhündchen, warm und heil. Impi war intakt. Sein Geist wanderte. Seine Finger suchten den Hals ab, und dann pellten sie langsam die Wollkappe auf, lösten den seidenen Bart und legten die Ohren frei. Etwas Warmes krabbelte ihm über die Finger: Impis Blut. Er schob den Bart zurück, zog die Wollkappe wieder über das Kinn, zerrte ihn auf den Tisch und wartete, wartete mit Impis Kopf in der Armbeuge. Er blickte zum Himmel empor und suchte die Wolken nach Zeichen ab, bis ihm der Blick schwamm. Als er wieder nach unten schaute, hatte Impi sich verändert. Christus lag in seinen Händen. Ein riesiges Streichholz entzündete sich neben seinem Ohr und ließ das Haus beben. Er hielt sich mit einer Hand am Tisch fest und stützte den Gefallenen mit dem Arm. Der Tisch sprang ein weiteres Mal, bevor er stillstand. Schwarzer Rauch trieb an den Öffnungen vorbei.

      Die Teile des Puzzles fügten sich zusammen. Nicht nur