würde diese zerbrechliche Welt überleben? Er erhob sich auf die Beine. Die Hand des Priesters blieb in der Luft stehen. Er verneigte sich davor und wankte davon.
Etwas warf ihn auf den Boden. Winzige Lichtpünktchen vollführten einen Wahnsinnstanz. Etwas krabbelte sein Gesicht hinunter. Während er auf der Wache gedöst hatte, war eine Küchenschabe aus der Kombüse geklettert; jetzt lief sie ihm über die Wange. Der Kapitän des Schleppers hatte gesagt, daß er ihn über Bord werfen würde, wenn er noch einmal auf der Wache einschlief. Er gab seinem Kopf einen leichten Schlag. Aus der Dunkelheit kamen Stimmen. Jemand rief ihm ins rechte Ohr. “Festgenagelt!” Er wandte sich um. Die Lichtpünktchen hörten auf, sich zu bewegen. Er blickte in einen dunklen Tunnel, den kleine weiße Meilensteine säumten. Kokis Zähne!
“Die Hunde haben uns festgenagelt.” Kokis Gesicht hing ohne Hals in der Luft. “Beweg dich nicht.” Der Rauch trieb weg und enthüllte Hals und Körper.
John nickte benommen.
“Bist du in Ordnung?” Koki zeigte auf sein Gesicht. “Was ist das?”
“Küchenschabe”, flüsterte er. Koki starrte ihn an; dann wandte er sich um und bewegte sich schlangenhaft davon. Wie war er in dieses Loch gekommen? Auf der anderen Seite kniete ein bärtiger Soldat und murmelte hebräische Gebete, wobei er vor und zurück schaukelte. John schaute sich um. Etwas fuhr an seinem Ohr vorbei. “Dummer Hund!” rief der Soldat. “Runter mit dem Kopf! Die haben den ganzen Park auf der Kimme.” Dann neigte er sich noch tiefer und drückte betend die Fäuste an die Brust.
Zur Rechten stand eine Bank, und daneben prangten rote Blumen. Sie mußten sich im Stadtpark außerhalb von Kreuzbach befinden. Ein grauweißer Kupid mit einem erhobenen Fuß, der Grübchen hatte, tanzte auf dem Rand eines halben Brunnenbeckens. Hinter ihm trieben die Wolken über den grauen Himmel. Ein zerschossener Baum lehnte sich über einen Zierteich. John hob den Kopf.
Wo war Impi? Konnte er durch das seinen Weg hindurchgespaßt haben? Warum war Koki verschwunden? Wie war er hierhergekommen? Er berührte das Kinn, die Nase und die Augenlider, als könnten ihm diese Landmarken des Gesichts helfen, die Orientierung zu finden. Die Uhr sagte ihm, daß seit dem Angriff zwei Stunden vergangen waren. Seine Finger erreichten den Augenwinkel ... und bewegten die steifgewordene Haut. Blut, und keine Küchenschabe. An den Fingerspitzen haftete getrocknetes Blut zusammen mit Spuren von frischem Rot, die Farbe von ein paar Büscheln Geranien, die trotzig auf ihren Stengeln standen. Man hatte ihn gestreift.
“Los, wir gehen hinein!” Metters Gesicht stand gegen den bewegten Himmel ab.
Trappelnd lief er ihm über Kopfsteinpflaster nach, auf das erste graue Haus zu. Das furchtbare Mörser- und Maschinengewehrfeuer fing wieder an. Die Kugeln von Heckenschützen pfiffen an ihnen vorbei. Sie hörten das Zumm-Zumm-Zumm, wie Mörsergranaten in ihr Rohr fielen. Er warf sich gegen die nächste Tür und fand sich in einem Werkzeugschuppen wieder, wo Impi saß und versuchte, einen Bolzen freizukriegen.
“Impi!” Impi blickte ihn unheilvoll an und schien ihn nicht zu erkennen.
“Dieser verdammte Bolzen ...” Er schüttelte wütend die Waffe.
“Was ist los?”
“Irgendein Scheiß...”
“Laß mal sehen.” Impi warf ihm das Gewehr zu. Es war mit trockenem Matsch überkrustet. Wie er sich mit dem Problem beschäftigte, beruhigte sich Johns Geist, und seine Hände wurden sicher. Er kratzte den Bolzen frei. Vor der Tür explodierten Mörsergranaten. Er ließ den Riegel hin- und hergleiten, schaltete den Sicherungshebel und gab die Waffe Impi zurück.
“Bist du verwundet, Kell?”
“Ich bin O.K.” Sie hockten sich hin, unter der Höhe des Fensterbretts.
“Komm, Kell, laß uns den Rest des Kriegs hier verbringen. Ein französisches Mädchen wird uns finden und uns Essen bringen ... und so weiter, et cetera.” Impi zündete sich eine Zigarette an, und Metter stand vor ihnen wie ein Geist, den das Streichholz gerufen hatte.
“Setzt eure Ärsche in Bewegung!” schrie er und war fort. Sie folgten ihm; neben ihnen zermaserten Kugeln die Mauer.
“Von da drüben”, rief Robert. Sie warfen sich auf den Boden und schossen auf die Fenster eines entzückenden, geranienverzierten Puppenhäuschens. Robert rannte hinüber, drückte sich gegen die Wand und zog den Abzieher aus einer Handgranate. Seine Lippen zählten, und er warf. Sie machte einen sanften Bogen, stand über dem Fensterbrett und fiel durch das Glas. Das Haus rumpelte, schüttelte sich und stand wieder still.
Die Tür zwischen den Fensterkästen schwang auf.
“Kamerad.” Ein Deutscher in zerschlissenem Mantel trat über die Schwelle, die Hände hinter dem Hals verschränkt. Aus seinen Zähnen hing ein dreckiges Taschentuch. Die Augen und der Mund versuchten zu lächeln. Metter wandte sich John zu. “Geh mit Robert hinein. Es könnten noch mehr drin sein.” Vorsichtig nach Sprengfallen tastend, führte er Robert durch ein verlassenes Haus, in dem unheimlich die Dielen knarrten und die Vorhänge flatterten. Dann trat er blinzelnd in das Tageslicht und fand Metter, der mit verzerrtem Gesicht über dem zitternden Gefangenen lehnte und ihn schüttelte.
“Sag’s ihm auf Kraut, Koch! Sag ihm, daß ich seine Eier holen werde, wenn er nicht redet. Wir wissen, daß die hier ein SS-Regiment haben. Sage ihm ...” Koch, dessen Gesicht nur Zentimeter von dem des Deutschen entfernt war, sprach rasch etwas. Der Gefangene wimmerte ein paar Worte. Drummond trat aus dem nächsten Haus.
“Er sagt, die Genfer Konvention ...”
“Zum Teufel mit der Genfer Konvention! Schau nach, ob er tätowiert ist!” Sie zogen dem Mann den Mantel, den Pullover und das Hemd aus.
Auf der weichen, weißen Haut standen Blitzzacken wie Peitschenstriemen.
“Schutzstaffel. – Schweinehund!” Metters Hand gab dem zarten rosa Gesicht des Deutschen einen derben Schlag. “Helmut Stein 766712.” Wieder schlug er ihn. Der Kopf machte einen Sprung. Er weinte jetzt.
“In Ordnung, Koch”, sagte Drummond. “Bring ihn zum Verhör ins Bataillonshauptquartier. Sie haben sich im ersten Haus eingerichtet, das wir auf dem Weg herein passiert haben. Helmut wird reden.” Koch hielt die Kleider des Deutschen auf seinem Gewehrlauf hin. John las die Entschuldigung in seinem Blick. Etwas geschah zwischen ihnen. Metter sagte etwas zu Drummond, um sich zu verteidigen: “Die Hunde denken, sie sind die einzigen, die hart sein können.” Koch stieß den kleinen Deutschen mit dem Gewehr an, damit er losmarschiert.
“Hey, Kelly!” rief Blom von einem Fenster im ersten Stock. “Komm und helf mir hier oben. Auf der anderen Straßenseite sind ein paar Leute in der Klemme.” John stapfte die wackelige Treppe hinauf. Vielleicht wäre es im Zimmer wärmer gewesen, doch hatte die Mauer ein großes V-förmiges Loch. Zwischen zwei zerbrochenen Fenstern hatte jemand einen Tisch gegen die Wand geschoben. Auf diesem stand Blom und schoß vorsichtig durch das rechte von den beiden. John schlich zu dem anderen hin und blickte hinaus. In dreißig Metern Entfernung hockte, von Kugeln umpfiffen, ein anderer Trupp der Kompanie Easy. Die Bruchstücke einer zerstörten Mauer waren ihr einziger Schutz. John wies auf ein seltsam intaktes Gebäude, das im Trümmerfeld stand.
“Sind da die Schweine drin?” Blom zuckte mit der Schulter und schoß erst in eines der Fenster, und dann in ein anderes.
“Vielleicht sind sie es im Raum, aber in der Zeit werden sie leerer Raum werden.” John schoß von seiner Seite aus im Uhrzeigersinn in die Fenster. “Das heißt im Klartext, daß sie hinüber sein werden, mein Junge.” Blom schoß gegen den Uhrzeigersinn. Das Feuer verlangsamte sich, ohne aufzuhören.
Der Leutnant, der hinter der Wand hockte, hob den Kopf. Eine Kugel prallte von seinem Helm ab. “Hey, ihr da!” rief er. “Holt ein Panzerfaustteam, um diesen Schurken einzuheizen. Ich hab’ zwei Verwundete hier unten.”
“Ich gehe.” John rannte die schwankenden Stufen hinunter. Am Eingang hielt er an. Wenn er ihn verließ, was sollte dann eine Kugel davon abhalten, ihn zu finden? “Bring deinen Arsch von diesem