konnte ihn keinen unbedarften Trottel nennen, der in seiner Blauäugigkeit ausgezogen war, um einen Drachen zu töten. Wäre Røddreki auf sein Angebot eingegangen, hätte er sein Leben behalten können. Statt von dem Drachen verspeist zu werden, trank der völlig erschöpfte Harald vom warmen Blut des Drachen. Dann passierte etwas sehr Seltsames. Zuvor besaß Harald keinen blassen Schimmer, wo der Drachenhort verborgen sein könnte. Doch nach dem Genuss des Drachenblutes, sah er vor seinem inneren Auge, wo das Drachengold zu finden sei. Doch alles nacheinander…
Harald nahm zuerst den Meteoriten an sich. Denn deshalb war er ja überhaupt an diesen Ort gekommen. Wie von Odin prophezeit, schmiedete Harald aus dem Meteoritenerz sein Schwert. Um diese Waffe noch mächtiger zu machen, löschte er die Klinge im Drachenblut. Dies mein Sohn, ist das Schwert, das von Generation zu Generation, vom Vater an den Sohn, weitergegeben wird. Die Rote Drachenklinge wurde von unserem Urvater Harald eigenhändig aus dem Meteoriten geschmiedet und mit Røddrekis Blut gehärtet. Und da das Opfer des Drachens nicht umsonst gewesen sein sollte, gab Harald dem Schwert die Bezeichnung seines Blutspenders. Ach ja, später plünderte Harald auch dessen Drachenhort. Im Grunde traf es den Richtigen, Harald war der siebte Sohn seines Vaters und alles andere als wohlhabend. Mit dem Erlös des Drachenhortes und dem Ruf eines Drachentöters, zog er viele Krieger in seinen Bann. Sie scharten sich um ihn und mit ihrer Hilfe begann er, Stück für Stück, Land zu erobern. Harald war nicht dumm und durch eine raffinierte Heiratspolitik wurde er noch wesentlich einflussreicher. Aus seinen Nachkommen, den Haraldingern, gingen ebenfalls mutige Krieger hervor, und der jeweils älteste Sohn der direkten Blutlinie, wurde zum Stammesfürsten ernannt. Diese gewannen wiederum durch das Vereinen anderer Stämme noch mehr Einfluss. Und dann kam die Zeit des Aufbruchs. Da wir Nordmänner in einem rauen Klima zuhause sind, das uns nicht ermöglicht, zu säen und zu ernten, rief uns die See, die wie ein verführerisches, nacktes Weib, voller Versprechen auf uns wartete.
»War deine Mutter auch ein nacktes, verheißungsvolles Weib für deinen Vater?«, schmunzelte Agnir. »Das war doch jetzt eine Überleitung zu deinen Eltern? Oder willst du mir den gesamten Stammbaum von Harald Drachentöter bis heute aufzählen?«
»Nein, dazu fehlt mir die Zeit. In der Tat, war das eine Überleitung. Man muss nicht besonders helle sein, um das zu erkennen. Nur noch eins: Wenn du noch einmal so einen ordinären Spruch über deine Oma sagst, setzt es was!«
*
Ach, was für ein Kreuz ist doch die öde Familiensimpelei!
(Oscar Wilde)
»War der getötete Drache die Tragödie, von der du sprachst?«, hakte Agnir nach und ruderte mit den Füßen im kühlen Nass herum. Wir saßen auf dem Badesteg des kleinen Sees und ließen unsere Beine ins Wasser baumeln.
»Nein, obwohl es für den Drachen gewiss so gewesen sein mag. Meine Lebensgeschichte beginnt mit einem Todesfall.
Jemand blies ins Horn. Wenig später legte Skryrmir Thoraldson mit dem großen Langschiff am Steg des heimatlichen Hafens im Reisafjord an. Die Männer waren bester Laune. Sie hatten fette Beute gemacht: Wie die Sonne glänzendes Gold in Form von Münzen, Kelchen, Hostiendosen, Kandelabern und Kleinodien; kostbare, mit Gold durchwirkte Stoffe, aber auch Samt und Seide. Fässer seltenen Weins lagerten vertäut im Bootsrumpf. Wein der vorher als Messwein bestimmt war. Und an Bord befanden sich jede Menge Sklaven mit traurigen und verängstigten Gesichtern, die zukünftig als Arbeitskräfte ihr Leben fristen mussten. Wer nicht während des Überfalls der Nordmänner erschlagen wurde und glücklicherweise mit dem Leben davonkam, fiel ihnen als Lebend-Ware zum Opfer; aus der vertrauten Umgebung gerissen und zum Leibeigenen degradiert. Jetzt hieß es schuften, egal, ob vorher dummer Bauer oder gebildeter Edelmann. Manch einer musste eine weitere Deportation auf sich nehmen. Das bedeutete, weiter im Süden an den Meistbietenden, auf einem der Märkte, verscherbelt zu werden. Frauen jedoch gliederten die Wikinger liebend gern in den Stamm ein – frisches Blut konnte niemals schaden. Britannien galt seit Langem als gelobtes Land. Klöster dienten als bevorzugte Angriffsziele, denn weder Nonnen, noch Mönche galten als schwer bewaffnete und ebenbürtige Gegner. Eine leichte Beute, völlig ohne Risiko. Gewissermaßen flogen den Nordmännern, wie im gepriesenen Schlaraffenland, die gebratenen Hühner direkt ins Maul.
Die Krieger an Bord waren über Gebühr euphorisch, denn die Beute wurde gerecht untereinander aufgeteilt. Die anderen Schiffe, die Skryrmir bei seiner wagemutigen Raubfahrt begleitet hatten, waren bereits längst in die heimischen Häfen eingelaufen. Womöglich feierten die Krieger schon ihren Triumph, betranken sich mit Met und bedeckten dabei ihre Frauen mit Geschmeide und Küssen.
Nur Skryrmirs Mannschaft fuhr stets als erste los und kam als letzte wieder zuhause an. Nicht weil sie etwa unnötig trödelten, sondern weit höher im Norden lebten als alle anderen, was zweifellos den längeren Weg bedeutet. Viele versuchten dem Häuptling schmackhaft zu machen, er solle mit seiner Sippe weiter in den Süden ziehen. Jedoch sträubte sich Skryrmir, der Stammesfürst der Haraldinger, diesen geheiligten Flecken Erde zu verlassen, den einst sein Stammesvater durch Odins Willen für sich und seine Familie eroberte. Stattdessen hatte er mehrere »Filialen« eröffnet, in denen er seine jüngeren Brüder und die Vetternschaft stationierte. Auf gewisse Weise führte er die Vetternwirtschaft ein. Diesen Verwandten war es gerade recht, ihr eigenes kleines Reich zu repräsentieren, womit Skryrmir sie besänftigte und für sich einzunehmen wusste. Somit kamen sie erst gar nicht auf den Gedanken, ihm den Rang streitig zu machen oder gar in den Rücken zu fallen. Die weitest entfernte Zweigstelle befand sich auf der Halbinsel Jütland. Später kam sogar ein Abkömmling eines Seitenzweiges wieder einmal zu Ruhm und Ehre, brachte es sogar bis zum König von Dänemark. Nein, mitnichten Hamlet, obwohl ein paar von den Haraldingern mindestens genauso durchgeknallt waren. Und wieder einmal war es ein Harald, der eine Nase vor der Konkurrenz vorn lag. Einer namens Blauzahn, der augenscheinlich unter einem Dental-Problem litt. Sei´s drum, immerhin lieh er damit der Bluetooth-Technologie seinen Namen.
Wie stets nach der Ankunft, hielt Skryrmir am Steg Ausschau nach seiner geliebten Frau Hildburga und den sechs Kindern. Er selbst, ein Mann, noch recht jung an Jahren, musste früh erlernen, Pflichten und Verantwortung zu übernehmen. Als ältester Sohn des Stammesfürsten Thorald Gunnarsons, wurde er von Anfang an darauf vorbereitet, einmal in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Und dieser Fall trat viel früher ein als ihm lieb war. Thorald Gunnarson, ein Bär von einem Mann, galt in vielerlei Hinsicht als unersättlich. Das nicht nur bei Speis und Trank. Vor allem schöne Frauen hatten es ihm angetan. Eigentlich dachte jeder, mit seiner Konstitution könnte er hundert Jahre alt werden. Eigentlich…
Thoralds Schicksal schlug völlig unerwartet und aus heiterem Himmel zu. Es erwischte ihn während eines Gewitters, bei einem Techtelmechtel, als er genussvoll seine Gespielin im Wachturm begattete. Offenbar beschloss Odin voller Missbilligung, ihn ein wenig mit Gungnir, seinem Blitze sendenden Speer zu kitzeln. Jedenfalls galt es als das letzte amouröse Abenteuer des Stammesfürsten, der ohnehin mehr Frauen sein Eigen nannte, als ein Mann an den Fingern abzählen konnte. So übernahm Skryrmir nicht nur den Familienbetrieb, sondern vertrat die Überzeugung, Odin gefiele es nicht, wenn ein einziger Mann zu viele Furchen verschiedener Weiber beackerte. Damit gab er sich als Verfechter der Monogamie zu erkennen.
Mit einem flauen Gefühl im Magen, verharrte er noch immer auf der Anlegestelle. Nach und nach holten die Frauen, Kinder und Geliebten ihre Krieger ab. Manch einer von ihnen verließ das Langschiff sogar mit neuerworbenem Frischfleisch. Nur Skryrmir blieb allein mit seinem unguten Gefühl, weil niemand ihn in Empfang zu nehmen beabsichtigte, und das, obwohl er nur wenig Verschleißspuren zeigte. Er war sogar, wie versprochen, heil und in einem Stück zuhause eingetroffen. Normalerweise erwartete ihn seine Hildburga bereits voller Ungeduld. Meistens, um ihm voller Stolz das neugeborene Familienmitglied vorzustellen und in den Arm zu drücken.
So sehr es sich der junge Stammesfürst auch ersehnte, war keine Hildburga zugegen. Stattdessen erntete er zwar den gewohnten Respekt, doch unterschwellig warfen ihm die Einheimischen furchtsame, zugleich mitleidige Blicke zu. Bereits wenig später erschien die füllige Gestalt seines Halbbruder Hagbard, alias Hackbart Doppelaxt. Sein kupferroter Schopf war schon von Weitem zu erkennen. Er betrat mit Skryrmirs Kindern den Steg. Die Kleinen kamen auf ihren Vater zu, aufgereiht wie die Orgelpfeifen. Mit