Elke Bulenda

Das Schicksal lacht mit spitzen Zähnen


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Zwillinge Sigurd und Sigrun an den Händen. Svenja ungefähr vier, hatte ihren kleineren Bruder Håkon an die Hand genommen. Und der Onkel Hagbard trug die Jüngste, die kleine Reinhildis, auf dem Arm, die ihn mal wieder freudig, ein Bäuerchen machend, mit Brei bespuckte.

      Bisher gebar Hildburga in schöner Regelmäßigkeit ihrem Gatten Skryrmir jährlich ein Kind. Nur beim letzten ging irgendetwas unsäglich schief. Zuerst blutete seine Gemahlin und anschließend kam viel zu früh, ein totgeborener Sohn auf die Welt. Die Seherin Ylva deutete das als schlechtes Omen. Sie beriet sich mit den Göttern, warf Knochen und beobachtete den Vogelflug. Anschließend empfahl sie dem Häuptling, er solle Odin ein paar ordentliche Blutopfer bringen. Natürlich hielt er sich an Ylvas Rat. Skryrmir verwandelte den Boden des Götterhain in ein wahres Blutbad, bei dem nicht nur Tierblut die heilige Erde durchtränkte. So hofften alle Anwesenden, der Zorn der Götter möge von ihm genommen werden. Denn insgeheim tuschelten etliche hinter vorgehaltener Hand, die Götter zürnten dem Stammesführer, und seine bisherige Glückssträhne sei womöglich unwiederbringlich beendet. Schlimmer noch erging es der armen Hildburga. Sie erholte sich nicht mehr von der Fehlgeburt. Sie kränkelte und jeder Tag ließ sie blasser und magerer erscheinen. Ylva deutete an, irgendetwas fresse die Ärmste von innen heraus auf. Ihre Möglichkeiten seien erschöpft. Nur die Zeit und die Götter könnten der Gemahlin helfen. Als Skryrmir jedoch wieder in See stechen wollte, machte Hildburgas Genesung noch immer keine Fortschritte. Dennoch wollte sie nicht, dass Skryrmir ihretwegen auf die Fahrt verzichtete. Das hätte seine Position als Stammesfürst geschwächt und womöglich Rivalen auf den Plan gerufen. Dankbar liefen Skryrmir und seine Männer gen Westen aus. Um Hildburga eine Freude zu machen, hielt er auf der Insel nach einer Hilfskraft Ausschau, die seiner kränkelnden Gemahlin zur Hand gehen sollte. In einem Kloster fand er sie. Besagte Mathilda war nicht nur eine Nonne, die zu einem seltsamen und schwachen Gott betete. Nein, sie behauptete sogar, ihrem Gott versprochen zu sein. Dieses Kuriosum akzeptierte Skryrmir und verbot seinen Männern, sich an ihr zu vergehen. Die Gottesfrau sprach nicht nur in sächsischer Sprache, sondern beherrschte auch die der Angeln und der Franken, was Skryrmir als vorteilhaft ansah. Es wäre nicht falsch, wenn seine Kinder viele Sprachen sprechen könnten, denn er war ein Visionär und hatte große Pläne. Obendrein verstand diese gebildete Frau viel von der Kräuterheilkunde. Ein Grund mehr, sie in den bestehenden Haushalt einzugliedern.

      Hackbart legte seinem Bruder die fleischige Hand auf die Schulter. »Gut, dich zu sehen, Bruder!« Er roch wieder einmal nach Met und dank der kleinen Reinhildis, nun auch nach saurer Milch.

      »Mir ergeht es ebenso, Bruder. Hildburga? Ist sie...«, brach dem Häuptling die Stimme, trotz seiner Bemühungen.

      »Sie ging vor vierzehn Tagen von uns.«

      »Verdammt, erst hatten wir eine ungünstige Wetterlage, dann gerieten wir in einen Sturm. Zwei Schiffe gingen verloren. Zum Glück konnten wir ein paar Männer wieder aus dem Wasser fischen. Meine Anweisung, dass sie gefälligst alle das Schwimmen lernen sollen, hat ihnen buchstäblich das Leben gerettet. Trotzdem, hätten wir besseres Wetter gehabt, wäre ich vielleicht rechtzeitig eingetroffen!«, machte er sich schwere Vorwürfe.

      »Quäle dich nicht unnütz«, wiegelte Hackbart ab.

      »Es muss schrecklich für sie gewesen sein. Bestimmt rief sie meinen Namen. Erzähl mir alles. Bitte, schone mich nicht.«

      Hackbart machte ein gequältes Gesicht. »Na ja, irgendjemand wird sowieso quatschen. Bis zuletzt fragte sie nach dir. Jedenfalls so lange, bis sie endgültig das Bewusstsein verlor. Wir wollten auf deine Rückkehr warten, nur schritt die Verwesung bei dieser Wärme so schnell voran, dass wir sie so bald wie möglich beisetzen mussten. Das Feuer reinigte ihren kranken Körper, denn die Frauen fürchteten, ihnen könnte das Gleiche widerfahren. Und das, obwohl Ylva nachdrücklich erklärte, ihre Krankheit wäre nicht ansteckend. Indessen glaubten viele, etwas Böses, womöglich ein Geist oder Dämon, hätte sie bei lebendigem Leibe aufgezehrt.«

      … Mein Sohn hob zögerlich die Hand. »Tschuldige, die Störung, Papa. Aber woran starb Hildburga? Hat sich wirklich ein Dämon an ihr gütlich getan?«

      »Natürlich nicht. Ich bin zwar kein Gynäkologe, obwohl deine Mutter stets behauptete, ich hätte Hände wie einer. Nein, ich schätze, sie starb wohl an Unterleibskrebs. Heutzutage werden die jungen Mädchen sogar dagegen geimpft, so jedenfalls deine Schwester Sascha. Ich glaube, gegen das Humane Papillom-Virus, das Gebärmutterhalskrebs auslösen kann.«

      »Okay, erzähl weiter«, sagte Agnir...

      »Gab es ein Totenfest?«, fragte Skryrmir.

       Hackbart streichelte seine ansehnliche Wampe, die in der Zwischenzeit beträchtlich gewachsen war. Er behauptete, er sei noch im Wachstum, und wenn ihn jemand auf seine füllige Figur ansprach, gab er zurück, ein Mann ohne Bauch sei ein Krüppel. »Natürlich. Anschließend veranstalteten wir ihr zu Ehren eine schöne Totenfeier mit großem Festessen. Ihre gesamte, bucklige Verwandtschaft war anwesend. Hildburgas Vater, Runólfur, war über den Tod seiner Tochter sehr verbittert. Hauptsächlich aber nur deshalb, weil er nicht mehr von ihrer hohen Position profitieren konnte. Ich musste ihm als dein Statthalter das Gelöbnis erneuern, dass wir nach wie vor für ihn einstehen, sollten andere Stämme beabsichtigen, die Dolphinger feindlich anzugehen«, berichtete Hackbart seinem Bruder.

       Dieser war nicht wirklich in der Lage, dem Wortschwall Hackbarts zu folgen. Zu tief ergriffen war er von der Trauer. Obgleich ihm Odin im Schlaf die Vision von Hildburgas Tod offenbarte, wollte Skryrmir lange nicht die Hoffnung auf eine spontane Heilung aufgeben. Auf Runólfur angesprochen, platzte es aus ihm heraus: »Ich finde es geschmacklos von meinem Schwiegervater, dass er zuerst an sich denkt, anstatt angemessen um meine geliebte Frau und seine Tochter zu trauern!«

      Hackbart grunzte und spuckte aus. »Zum Glück ist er jetzt dein Ex-Schwäher, diese feige Arschnase!«

       »Oheim Hackbart hat Arschnase gesagt!«, lachte der kleine Håkon. Und obgleich lediglich Skryrmirs dritter Sohn, war Håkon der kleine Sonnenschein und Charmeur in der Familie. Egal was er tat, niemand konnte ihm etwas krummnehmen. Und er tat niemals etwas Bösartiges, jedenfalls nicht mit Absicht, dazu war er viel zu harmoniesüchtig. Wenn die Geschwister stritten, war es grundsätzlich der kleine Håkon, der zu schlichten versuchte, auch wenn er sich im Eifer des Gefechts unbeabsichtigt einen Schlag, Tritt, oder Knuff einfing. Jeder liebte den Kleinen, deshalb nannten sie ihn seltsamerweise auch Balder, so wie Odins Lieblingssohn.

      Auch diesmal verfehlte er seine Wirkung nicht. Auf Skryrmirs besorgtem Gesicht flackerte kurzzeitig ein Lächeln auf. »Ja, er hat deinen Großvater eine Arschnase genannt, und das mit Recht!«, streichelte er seinem kleinen Sohn über die weichen, blonden Haare.

      Und schon vergaß die trauernde Kinderschar Sitte und Anstand. »Hast du uns was mitgebracht?«, bestürmten sie ihren Vater mit Fragen und bedrängten ihn regelrecht.

       »Ja, natürlich, wie könnte ich meine Kinder vergessen!«, öffnete Skryrmir ein Fass mit Äpfeln. Ein Jauchzen erklang, als er das kostbare Obst an die Kleinen verteilte. Beherzt bissen die Racker ins saftige Mitbringsel. Nur die Jüngste, Reinhildis, war damit weitestgehend überfordert, jedoch half Wulfgars Messer. Er schnitt ihren Apfel für sie in gut kaubare Stücke.

       Heutzutage finden Kinder Obst oftmals ziemlich uninteressant. Sie sind es gewohnt, immer welches in Griffweite zu haben. In jedem Supermarkt gibt es unzählige Sorten zu kaufen. Im hohen Norden hingegen, gedeihen keine Äpfel. So waren sie in den Augen der Kinder mehr wert als eine Handvoll Gold. Schließlich kann niemand Gold essen.

       »Kinder, geht doch schon mal nach Hause!«, schlug Hackbart vor. Liebevoll blickte Skryrmir seinen Kindern hinterher, als sie sich trollten und zur Drachenburg taperten.

      Burg klingt jetzt ein wenig hochgestochen. Die Drachenburg war keine Burg im eigentlichen Sinne, wie wir sie heute kennen, sondern eher eine Wurt. Ein nochmals umzäuntes Gebiet innerhalb der Siedlung, das mit einem schweren Tor gesichert werden konnte, welches allerdings für die Siedlungsbewohner offenstand. So durfte jeder zum Stammesfürsten gehen, der einen Rat, oder eine Rechtsprechung benötigte. Die Burg, die auf einer natürlichen Anhöhe stand, ähnelte mehr einer riesigen aus Holz erbauten Halle, zu