Jessica H. Weber

Die Hafenkinder von Pitburg


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bekommt bald ein Kind«. Entsetzt fing Lieselotte ihre Schwester ein und hielt ihr den Mund zu. »Spinnst Du? Wir sind gleich bei den Anderen. Erzähl ja keinem etwas davon!« »Was bekomme ich dafür?«, fragte Trintje genuschelt unter Lieselottes Hand hindurch. »Keine Tracht Prügel, wenn Du mich fragst«, antwortete Lieselotte sauer. »Na gut, du kannst am Sonntag meinen Nachtisch haben«, bot sie jetzt doch versöhnlich an. »Na gut, aber wenn Du ein Kind bekommst, dann weißt Du, woher das kommt. Ich habe Dich vorgewarnt!«, meinte Trintje und rannte zum Lagerfeuer um zu hören, über was der Vater und die anderen Männer sich unterhielten.

      Leicht verwirrt ging Lieselotte in die Küche um der Mutter zu helfen. »Kind, wo warst Du denn?«, fragte die Mutter, »Ich such Dich schon überall. Komm wir wollen doch auch mal fertig werden.« »Ja Mutter«, antwortete Lieselotte nur einsilbig und fing an beim Aufräumen und Abwaschen zu helfen.

      Es wurde spät an diesem Abend und doch fand Lieselotte in dieser Nacht keinen Schlaf. Die Erlebnisse mit Frank und das, was ihre Schwester gesagt hatte, gingen ihr nicht aus dem Kopf. Was war, wenn es doch stimmte, was Trintje erzählte? Frank wollte morgen den elterlichen Hof verlassen. Man durfte doch erst Kinder bekommen, wenn man verheiratet war. Sie wusste genau, was Frauen waren, die ein Kind hatten und nicht verheiratet waren. Man nannte diese `liederliche Frauenzimmer` oder so etwas und zeigte mit dem Finger auf sie. Und heirateten wollte die Frau dann auch kein Mann mehr. Was sollte sie bloß tun? Ob Frank das auch nicht wusste? Oder ob er sie mit Absicht so sehr geküsst hatte? Sie musste Frank einfach ganz schnell heiraten. Dann wäre alles gut. Also musste sie so schnell wie möglich zu Frank und ihn vom Aufbruch abhalten. Es wurde schon Morgen, hoffentlich war er noch nicht weg. Leise kroch Lieselotte aus ihrem Bett und zog sich an. Aus der Küche holte sie sich noch schnell ein Stückchen Brot und einen Apfel und schlich dann aus dem Haus. Sobald sie vom Haus aus nicht mehr zu sehen war, rannte sie so schnell sie nur konnte. Aber als sie fast beim Nachbarhof war, sah sie in der Ferne, wie Frank auf einem Fuhrwerk mitfuhr und sich nicht mehr umdrehte. Sie erinnerte sich, dass er ihr erzählt hatte, dass er in der nächsten Ortschaft mit der Postkutsche weiterfahren wollte. Ab da würde es dann noch schwieriger, den Reisenden abzufangen.

      In ihrem Kopf war nur noch der Gedanke, »Ich muss hinterher!«. Und so rannte und lief sie abwechselnd so lange sie nur laufen konnte. Wenn sie Leute oder Fuhrwerke sah, dann versteckte sie sich schnell hinter Büschen und Sträuchern, denn ihr war plötzlich bewusstgeworden, dass sie gerade dabei war von Zuhause wegzulaufen. Nie hätte sie gedacht, dass sie das einmal machen würde. Aber jetzt war der Entschluss gefasst und sie wollte auf keinen Fall umkehren. Gegen Mittag traf sie auf eine größere Straße, auf der viele Fuhrwerke unterwegs waren. Dort achtete auch niemand mehr auf ein junges Mädchen, das allein unterwegs war. Trotzdem wurde es Lieselotte mulmig zumute. An einer Kurve hatte sie Glück. Ein Fuhrwerk hatte dort angehalten und der Fuhrmann gab seinen Pferden etwas zu trinken. Unter einer Plane transportierte er wohl Stoffballen. Das würde doch bestimmt zu einer großen Stadt gebracht werden. Bestimmt nach Pitburg. Zumindest hoffte Lieselotte das und kletterte vorsichtig und leise unter die Plane und quetschte sich zwischen die Ballen. Eng, aber gemütlich dachte sie. Und zumindest war sie gut gepolstert und so bekam sie vielleicht nicht so viele blaue Flecken von der unebenen Straße. Als die Fahrt weiterging fielen ihr schon bald die Augen zu, bei dem gleichmäßigen Gerumpel und der Dunkelheit.

      Doch bald schon wurde es stickig und heiß unter der Plane. Lieselotte fing an zu überlegen, was sie da bloß gemacht hatte. Sie überlegte, ob sie nicht doch wieder herunter klettern sollte, um nach Hause zu gehen. Andererseits träumte sie von ihrem Frank. Jetzt im Sommer waren seine strohblonden Haare noch heller geworden, fast schon weiß und er hatte so ein umwerfendes Lächeln. Eigentlich hätte er doch bestimmt jedes Mädchen haben können. Aber nein, er hat gesagt, dass ich das hübscheste Mädchen wäre, dachte Lieselotte mit Nachdruck. Das Mädchen war von ihren Gefühlen und ihren Gedanken hin und her gerissen. Auch wenn sie unverheiratet ein Kind bekommen würde, ihre Familie würde sie doch nie verstoßen und der kleinen Schwester hat man doch nur Märchen erzählt. Sie fing schon an ganz vorsichtig nach hinten zu rutschen, um doch runterzuspringen und Heim zu gehen.

      Doch plötzlich hörte sie den Fuhrmann laut fluchen. Sie schreckte zusammen und fürchtete schon, dass der Mann sie entdeckt hätte, doch jetzt verstand sie etwas von dem was er rief, »Du Hornochse, mach den Weg frei, deine Ochsen sind ja so lahm, dass du von Schnecken überholt wirst!« Erleichtert seufzte sie, das konnte nicht ihr gelten. Jetzt hörte sie auch noch einen anderen Mann genauso unfreundlich zurückrufen. Was der andere Mann rief konnte sie nicht verstehen, aber was sie von ihrem Fuhrmann hörte, das war schon heftig. Solche Ausdrücke hatte sie noch nie gehört. Ihr Vater und auch die Knechte Zuhause schimpften ja auch mal, aber so? Ihr wurde noch mehr angst und bange, wenn das überhaupt noch möglich war. Es wurde immer wärmer unter der stickigen Plane. Sie beschloss so schnell wie möglich den Wagen zu verlassen. Sie hatte gerade wieder begonnen sich weiter zum Wagenende vorzukämpfen, als es einen Ruck gab und die Pferde offenbar eine schnellere Gangart eingeschlagen hatte. Der Bauer mit dem Ochsenkarren musste entweder abgebogen sein oder er hatte Platz gemacht. Ganz vorsichtig linste sie aus ihrem Versteck heraus und sah, dass der Bauer einen anderen Weg eingeschlagen hatte. Erstaunlicherweise sah er aber gar nicht ärgerlich aus, sondern winkte dem Fuhrmann noch zum Abschied.

      Viel Zeit zum wundern hatte Lieselotte aber nicht, denn jetzt rumpelte der Wagen hin und her und versetzte ihr bei den vielen Schlaglöchern einen Stoß nach dem anderen. Kaum machte die Straße eine Kurve, da wurde das Fuhrwerk wieder langsamer. Offenbar wollte der Fuhrmann dem Bauern nur zeigen, wie eilig er es hatte. Jetzt stimmte er sogar ein fröhliches Lied an. War sie jetzt an einen bösen Mann geraten, oder war das Geschimpfe gerade nur gespielt? Sicherheitshalber wollte sie doch den Wagen verlassen, als sie ein heftiges Donnern vernahm und die Pferde ängstlich wieherten. In der nächsten Minute regnete es, als wenn es ein Weltuntergang wäre. Es kühlte unter der Plane merklich ab, aber es war trocken und so blieb Lieselotte wo sie war.

      Schon bald hatte sich die staubtrockene Landstraße in Matsch verwandelt und die Pferde hatten Mühe überhaupt voran zu kommen. Plötzlich hielt der Wagen und mehrere Stimmen waren zu hören. Offenbar waren sie an einem Gasthof angelangt. Kurzerhand wurde der ganze Fuhrwagen in eine Scheune gebracht, wo dann die nassen verängstigten Pferde losgeschirrt wurden. Als Lieselotte vorsichtig hinausspähte, sah sie gerade noch, wie der Fuhrmann die Scheune verließ. Aber noch war ein Knecht mit den Pferden beschäftigt und so wagte sie sich noch nicht heraus. Als die Pferde ihre Ration Hafer und Möhren erhalten hatten und der Knecht nicht mehr zu sehen war, hüpfte sie herunter. Hoffentlich fand sie hier auch etwas zu essen. Außer dem kargen Frühstück heute Morgen hatte sie noch nichts gegessen. Ein paar Möhren würden ja schon reichen und tatsächlich hatte sie Glück. In einer Ecke fand sie einen großen Sack Möhren und daneben auch noch eine Kiste Äpfel. Sie nahm sich etwas und sah sich jetzt erst einmal um. Vielleicht hatte ja die Postkutsche auch hier Halt gemacht, aber enttäuscht stellte sie fest, dass das wohl nicht der Fall war.

      Nachdem sie sich gestärkt hatte, schaute sie nach den zwei Pferden. Eigentlich sahen sie nicht danach aus, als wenn sie zusammen einen Wagen ziehen würden. Das eine Pferd war hellgrau mit dunkelgrauen Flecken und das andere war braun mit einer schwarzen Mähne und ein ganzes Stück größer. Die Tiere schauten sie neugierig an. Sie dampften und waren nach dem Gewitterregen noch richtig nass. Der Knecht hatte sich nicht die Mühe gemacht die Tiere trocken zu reiben. Lieselotte nahm beherzt einen Strohhaufen und trocknete beide Pferde ab. Danach suchte sie sich auf dem Heuboden ein gemütliches Plätzchen und war auch bald eingeschlafen.

      Am nächsten Morgen erwachte sie mit dem ersten Hahnenschrei und war auch gleich munter. Lieselotte hatte einen Entschluss gefasst. Sie war schon so weit gekommen und jetzt wollte sie auch nach Pitburg gelangen. Im Gasthof schliefen noch alle, deshalb schlich sie sich vorsichtig aus der Scheune und machte sich auf den nächsten Teil ihrer Wanderung. Sich direkt wieder im Fuhrwagen zu verstecken, das traute sie sich nicht. Der Mann kontrollierte bestimmt seine Ware, bevor er weiterfuhr. Lieselotte war sicher, dass es ein schöner Tag werden würde. Der Tau glitzerte wie tausend Perlen im ersten Sonnenschein. Und das Mädchen begann fröhlich zu pfeifen und übermütig zu hüpfen.

      Später am Vormittag bot sich wieder eine versteckte