Jessica H. Weber

Die Hafenkinder von Pitburg


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gekommen. Tut mir leid mein Fräulein, Ihr Bruder scheint sich zu verspäten. Vielleicht ist er ja zumindest im Seemannsheim abgestiegen und hat die Reise nicht so gut verkraftet, fragen Sie doch einmal dort nach.«

      Damit hatte Lieselotte nun gar nicht gerechnet. Fragend schaute sie von dem Herrn hinterm Schalter zu ihrem neuen Bekannten Kuno Mayer und zurück. »Oh, danke«, übernahm jetzt Kuno das Gespräch und führte die verdutzte Lieselotte wieder hinaus. Die Herberge für Seemänner ohne Anstellung und Schüler war gleich neben der Schule. Aber auch dort hatten sie kein Glück. Frank war an seinem Reiseziel nicht angekommen.

      Die große Stadt

      Frank war an seinem Reiseziel nicht angekommen. Ratlos stand Lieselotte vor der Seefahrerherberge. Was sollte sie jetzt nur machen. Über die Möglichkeit, dass sie Frank nicht fand hatte sie gar nicht nachgedacht. »Ja, dann danke ich Ihnen für Ihre Unterstützung, Herr Meier. Ich komme dann jetzt wieder allein zurecht.«, meinte Lieselotte und wollte schon Richtung Stadt gehen und überlegte dabei, dass sie sich überhaupt nicht auskannte und keinen Pfennig in der Tasche hatte. Sie hatte heute Morgen nur einen Apfel gegessen und keine Ahnung wo sie die Nacht verbringen sollte.

      »Gut, dann gute Nacht, Fräulein Mayer.«, erwiderte Kuno Mayer und ging wie zufällig in die gleiche Richtung. »Oh, scheinbar haben wir den gleichen Weg. Da bin ich aber froh, dass ich nicht allein gehen muss. Sie wissen ja sicher, dass es hier am Abend immer von Betrunkenen wimmelt. Die haben oft nichts Besseres zu tun, als mich auf meinem Heimweg zu ärgern. In welcher Herberge haben Sie sich denn ein Zimmer gemietet? Ach ja, wahrscheinlich in der Poststation, damit Sie morgen früh gleich mal fragen können, ob Ihr 'Bruder' zumindest in der Stadt angekommen ist, oder?« »Ja, genau. In der Poststation habe ich mir ein schönes Zimmer gemietet und dort ist auch schon mein ganzes Gepäck.«, bestätigte Lieselotte, die gerade überlegte, was der junge Offiziersanwärter der Handelsmarine wohl von ihr denken mochte. Ein junges Mädchen, was Mutterseelenallein einem jungen Mann hinterher reist und dabei eine wilde Geschichte von einem angeblichen Unfall erzählt und vorgibt ihren Bruder zu suchen. Oh Mann, hätte sie bloß nicht so spontan ihren Nachnamen preisgegeben, aber es war ja auch ein zu ulkiger Zufall gewesen, dass sie beide Meier hießen. Im Moment fiel ihr keine Möglichkeit ein, ihren Begleiter los zu werden und wenn wirklich so viele Betrunkene unterwegs waren, dann war ein Beschützer vielleicht doch gar nicht so schlecht.

      So gingen sie den Uferweg in Richtung der Innenstadt entlang. Zum Glück waren die Abende im August jetzt noch recht lange hell und die Luft war angenehm mild. Es hätte ein richtig schöner Abendspaziergang sein können, wenn Lieselotte nicht so voller Sorgen gewesen wäre. Sehr weit waren sie noch nicht gekommen, als sie tatsächlich von einem Betrunkenen angesprochen wurden: »Hey Kleine, was willst Du denn mit der halben Portion? Komm lieber mit mir. Dann zeige ich Dir was ein richtiger Kerl ist«, rief der Betrunkene viel zu laut und stupste lachend seinen Kumpel an. Vor Schreck versteckte sich Lieselotte halb hinter Kuno Mayer und hielt sich bei ihm am Arm fest. Mit der anderen Hand wollte sie schon nach dem Strick mit dem dicken Knoten in ihrer Schürze greifen, als Kuno ganz forsch antwortete: »Hey Seemann, meinst Du nicht, dass so ein richtiger Mann wie Du auch eine richtige Frau braucht? Schau Dir doch meine kleine Cousine an, die ist doch auch noch ein Küken. Und was soll ich meiner Tante sagen, wenn ich die Kleine nicht wohlbehalten nach Hause bringe? Geht doch diesen Weg weiter und geht dort vorne gleich rechts. Da gibt es gestandene Frauen, die nur auf solche ganzen Kerle wie Euch warten. Und da gibt es auch für jeden von Euch eine, das wäre doch besser, oder?« Dabei lachte Kuno ganz verschwörerisch und kumpelhaft zwinkerte er noch mit einem Auge. »Hey Hannes, wo er Recht hat, da hat er Recht«, lallte der zweite Betrunkene und zog seinen Kumpel weiter.

      Erleichtert und mit schnellen Schritten gingen die beiden jungen Leute weiter. Bei dieser Begegnung war Lieselotte ganz blass geworden und hielt sich jetzt nur noch still am Arm ihres Beschützers fest. »Dort drüben ist doch die Reeperbahn. Wieso sind dort denn Frauen?«, fragte Lieselotte verdutzt. Und ebenso verdutzt schaute Kuno Lieselotte an: »Woher kennen Sie den die Reeperbahn?«. Kuno überlegte, wenn man vom Stadttor direkt zur Seefahrtsschule ging, dann kam man dort auf keinen Fall vorbei. »Warum? Dort werden doch nur die Seile für die Schiffe hergestellt und wenn nochmal so dumme Kerle auftauchen, dann habe ich hier noch eine schöne Überraschung für die Männer!«, und damit holte Lieselotte ihr Seil heraus und probierte es gleich als Peitsche bei Kuno aus. »Ho, ho, also wirklich«, rief Kuno erstaunt, aber er war so flink, dass er das Seil sofort gegriffen hatte, bevor Lieselotte überhaupt zuschlagen konnte. Blitzschnell hatte er ihr das Seil entwunden und betrachtete es genau. »Wo haben Sie das denn her?«, fragte er. »Von Hinderk, dem Seiler«, war Ihre Antwort, die klang, als ob es das normalste auf der Welt wäre. »Ach so«, war alles was Kuno nur noch einfiel und gab ihr das Seil zurück. Plötzlich war ein lautes Grummeln zu hören. Verdutzt sah Kuno nach seiner Begleiterin. »Ups, was war das denn, da hat jemand aber einen mächtigen Hunger.«, meinte er, »Also ich stehe jetzt vor meinem Zuhause und unsere Haushälterin ist die beste Köchin der Welt. Darf ich Sie zu einem Essen einladen?« Peinlich hielt Lieselotte ihren Magen, aber was sollte sie jetzt bloß tun? Sie konnte doch nicht einfach mit einem fremden Mann mitgehen, auch wenn er den gleichen Nachnamen hatte. Aber sie merkte auch, dass sie am Ende ihrer Kräfte war und die Aussicht auf ein Abendessen war schon sehr verlockend. Unschlüssig blickte sie sich um. Sie standen praktisch zwischen zwei Häusern. Links von ihnen war ein Haus direkt am Gehweg gebaut. Über der Tür war ein Schild angebracht, offenbar war es ein Geschäft. Das Haus rechts war etwa zwei Meter von der Straße entfernt und hatte einen kleinen Vorgarten. Zwischen den Häusern war eine schmiedeeiserne Tür mit einem Namensschild. »Ich dachte Du heißt Meier? Dort steht aber nicht Meier. Ich war zwar nicht lange in der Schule aber meinen Namen kann ich lesen. Du bist also auch nur ein Angeber und Lügner!«, kam es plötzlich heftig aus Lieselotte heraus. Verdutzt schaute Kuno vom Namensschild zu Lieselotte und zurück und fing dann zu lachen an. Neben dem Gehweg war ein schmaler unbefestigter Streifen. Dort hinter war ein kleiner Metallzaun, hinter dem einige Büsche wuchsen. Unbekümmert brach Kuno einen Zweig ab und gab ihn Lieselotte, die schon fast dabei war weg zu laufen. »Halt, warte mal, schreib mir doch bitte mal Deinen Namen hier in den Sand, b i t t e«, hielt Kuno sie auf. »Hmm, na gut. Aber nur, weil du mir bei dem Betrunkenen geholfen hast.«, meinte Lieselotte. Dass sie dabei vom `Sie` auf das `Du` gewechselt waren, war ihnen dabei gar nicht aufgefallen. Das Mädchen glättete einen Streifen und begann ungelenk und angestrengt den Namen »Meier« zu schreiben. Dabei sagte sie jeden Buchstaben vor sich her: »Emmmm, eh, ih, eh, errr ...«. Danach nahm Kuno ihr denn Stock ab, glättete einen Streifen und schrieb »Mayer«. Dabei las er ebenfalls jeden Buchstaben vor: »Emmmm, ah, Ypsilon, eh, errr!«. Dann kratzte er sich am Hinterkopf und verglich die beiden Wörter und schüttelte dann denn Kopf, »Schade«, meinte er, »dann bist Du wohl doch nicht meine Cousine!« Dann mussten beide lachen. »Hunger auf eine leckere warme Fischsuppe mit lecker duftenden Brot? Fräulein Meier mit 'e', 'i'?«, fragte Kuno jetzt und wischte mit einem Fuß die zwei Namen fort. Der Magen von Lieselotte fing wieder verräterisch an zu Knurren, »Na gut, ich habe sehr großen Hunger, Herr Mayer mit 'a', 'y'!«, gab sie jetzt auf.

      Kuno holte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und schloss das Eisentor auf. Lieselotte wunderte sich etwas, warum er nicht den Haupteingang benutzte. Zwischen den zwei Häusern wurde eine schmale, etwa 1,50 Meter breite, dunkle Gasse sichtbar. Sollte sie wirklich dort hineingehen? Als Kuno ihr Zögern bemerkte sagte er: »Siehst Du die Tür mit dem beleuchteten Fenster dort vorne? Da sind wir direkt in der Küche! Mein Ehrenwort, ich bin ein selbstloser Ritter und helfe nur.« Dabei legte er seinen Kopf etwas schief und sah eher wie ein Lausbube aus, dachte Lieselotte. Na gut, das Fenster in der Tür ist beleuchtet und es sind nur zwei Meter bis dahin. Also ging sie entschlossen auf die Tür zu. In der Zeit schloss Kuno das Tor hinter ihnen wieder zu. Kurz darauf standen sie wirklich in einer gemütlichen Küche und Kuno fing plötzlich an zu rufen, »M A G D A, Magdalein!?«. Im hinteren Teil des Raumes kam eine Treppe von oben herunter und kurz darauf hörte man von dort: »Oh, nein! NEIN und nochmals Nein! Herr Kuno, ich brauche weder noch einen dreibeinigen Hund und auch keine blinde Katze!« Eine streng aussehende Frau die wohl etwas älter als Lieselottes Mutter war kam mit energischen Schritten die Treppe hinunter. Vor Schreck versteckte sich Lieselotte wieder halb hinter