Claus Beese

Voll voraus, DODI!


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überall angebrachten schwarzen Knöpfe drücken und damit den Schleusungsvorgang einleiten. Aber wer sollte das tun? Per Blickkontakt einigte man sich auf die nervös wirkende Bordfrau der zuletzt eingelaufenen Waterland und schon trompetete irgendjemand los: »Määänsch! KOSTFASTNIX, nun drück doch schon den Knopf! Ihr seid doch am nächsten dran!«

      Die Bordfrau der KOSTFASTNIX reagierte prompt aber nervös und verrenkte sich fast den Hals, als sie nach dem Knopf Ausschau hielt.

      »Meine Güte, Gerda! Direkt über dir, nu hau schon drauf!«, blaffte sie jetzt auch ihr Skipper an. Gerdas Blick hob sich, schweifte über das rote Gestein des Mauerwerkes und blieb an einem Knopf hängen. Sie hob den Bootshaken und noch bevor das im Chor erklingende »Den nicht!« sie erreichte, hieb sie den roten Knopf bis zum Anschlag in seine Fassung. Erst danach sah sie das leuchtend gelbe Schild mit der Aufschrift »NOTAUS«, das wohl andeuten sollte, dass irgendetwas im Notfalle hiermit zu stoppen sei.

      Das, was man mit einem Druck auf diesen Knopf stoppen konnte, war eben der erwünschte Schleusungsvorgang, der noch nicht einmal eingeleitet worden war. Gerda versuchte, ihr Missgeschick durch nunmehr verzweifeltes Drücken des richtigen schwarzen Knopfes zu korrigieren aber die Maschinen, die das Schleusentor herunterfahren sollten, schwiegen beharrlich und das Tor rührte sich keinen Millimeter.

      Ein Blick sagte mir, dass meine Crew alles im Griff hatte und ich enterte über die Stahlleiter auf. Am verschlossenen Schleusenwärterhäuschen prangte ein Schild mit der Bedienungsanleitung und ich las so laut vor, dass alle es hören konnten:

      »Beim Drücken des NOTAUS-Schalters wird der Schleusenvorgang automatisch abgebrochen. Alle weiteren Vorgänge sind damit blockiert, bis die Anlage vom Schleusenpersonal wieder frei geschaltet wird. Im Notfall sind zu benachrichtigen: …!«

      Es folgte der Name der Dienststelle und deren Telefonnummer in Stade.

      Ein Skipper schwenkte sein Handy und ich las ihm die Nummer laut vor.

      »…leider rufen Sie außerhalb unserer Dienstzeiten an. Sie erreichen uns von Montag bis Freitag in der Zeit von….«, belehrte uns der automatische Anrufbeantworter.

      Fassungslosigkeit machte sich breit. Heute war Samstag und niemand hatte wirklich Spaß daran, das ganze Wochenende bei sengender Hitze in dem Wassertrog in Lintig zu verbringen.

      »…in Notfällen wählen Sie bitte folgende Rufnummer….«

      »Schnell, was zu schreiben!«, verlangte der Handyskipper, aber wer hat in einer Schleuse schon Bleistift und Papier parat? Als man es ihm brachte, war die Ansage zu Ende und leises Tüten drang aus dem Hörer.

      »Nummer!«, verlangte er mühsam beherrscht und ich holte tief Luft um sie nochmals vorzulesen.

      »Drück doch den Knopf für Wahlwiederholung«, wollte der Skipper der KOSTFASTNIX helfen, aber er erntete lediglich einen vernichtenden Blick von allen Booten.

      »Erklär du lieber deiner Frau, welchen Knopf sie zu drücken hat! Meine Knöpfe drücke ich schon selber!«, tönte es durch die Schleusenkammer und KOSTFASTNIX zog ruckartig den Kopf ein. Hastig kritzelte der Skipper die Notfallnummer auf das Papier, unterbrach die Verbindung und wählte neu.

      »Mami! Mir ist heiß!«, tönte es auf einem der Boote.

      »Und ich habe Durst!«, meldete sich auch mein weiblicher Leichtmatrose zu Wort.

      »Und ich muss mal!«, erklärte meine Bestfrau leise, aber schon mit deutlich verkniffenem Gesicht.

      »Leinen belegen!«, ordnete ich an und entließ meine Crew damit in die Freiwache, und während Claudia über den Kühlschrank herfiel, kletterte mein holdes Eheweib gewandt wie ein Affe die Leiter empor und entschwand in Richtung Toiletten. Irgendwie musste das ein geheimes Zeichen gewesen sein, denn alle Kinder stürzten sich nun auf die Kühlschränke und ließen gluckernd kühlende Cola oder ähnliches durch die Kehlen rinnen, während ein Treck von Frauen in Richtung der Sanitärräume davonzog. Nur Gerda mochte sich nicht anschließen, man sah ihr das schlechte Gewissen förmlich an, wenn sie verschämt den Kopf kurzzeitig aus dem Schiff streckte.

      Unterdessen meldete sich eine keuchende Frauenstimme am anderen Ende der Telefonleitung und der Handyskipper erklärte kurz unsere Lage.

      »Tja, mein Mann is mit’n Rrrad nach’n Angeln gefaaahrn und ich hab grrroße Wäsche. Ich werd sie nich helfen können!«

      Mit eindringlichen Worten machte der Handyskipper der Frau klar, wie prekär unsere Lage war und sie hatte Verständnis dafür, dass wir das Wochenende nicht in der Lintiger Schleuse zubringen mochten.

      »Mir ist heiß! Darf ich ins Wasser?«, krähte ein Junge von einem der Boote und sofort wurde die Idee auf allen Schiffen mit Kindern freudig aufgenommen. Die Boote kamen gewaltig ins schaukeln, als im Handumdrehen sechs Skipperkinder in das ruhige Wasser der Schleuse sprangen, während sich unser selbsternannter Nachrichten- und Verbindungsmaat eine weitere Telefonnummer notierte, die einem der Gehilfen des Schleusenmeisters gehören sollte.

      Während das Freizeichen des gewählten Anschlusses eintönig aus dem Hörer tutete, weil am anderen Ende niemand abnahm, fing es in der Schleuse an nach Spiegeleiern mit Speck zu duften. Nun, das durfte einen auch nicht verwundern, denn schließlich war es gegen Mittag und der Gewohnheit folgend, meldeten sich alle leeren Mägen mit mehr oder minder lautem Knurren. Einer der Skipper kramte aus seiner Backskiste einen Grill und einen Sack Holzkohle, stellte das Ganze neben der Schleuse auf und alsbald trugen die Skipperfrauen ganze Wurst- und Fleischberge zu dem Grillmeister. Auf den Booten wurden jetzt die Sonnenschirme aufgepflanzt, das sah zwar nicht sehr maritim aus und hatte auch mit guter Seemannschaft nicht wirklich etwas zu tun, aber es half ein wenig gegen die Sonne, die mittlerweile ihre sengenden Strahlen unbarmherzig vom Himmel sandte.

      Zu dem Grill gesellten sich alsbald auch Tische, Stühle und weitere Sonnenschirme und da der Meister der Holzkohle sein Handwerk verstand, schmausten alle vergnügt das leckere Grillgut.

      Alle?

      Nun, es gab da am Ende der Schleusenkammer ein kleines verschlafenes Bötchen, dessen Besatzung den heranziehenden Düften von gegrilltem Fleisch tapfer Widerstand leistete. Dieser Skipper und seine Frau schienen allen Ernstes zu befürchten, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen würde, wenn sie nur an Deck erschienen. Erst als eine Abordnung der in der Schleuse gestrandeten Besatzungen mit einigen Gläsern Sherry an Bord der KOSTFASTNIX geschickt wurde und die unglückliche Gerda und ihren Skipper davon überzeugte, dass man ihnen nicht ernsthaft böse war, trauten auch diese beiden sich wieder unter die Leute.

      Irgendwann kam eine der besorgten Mütter auf die Idee, die Erwachsenen sollten doch die Limonaden und Brausen, Säfte und Mineralwässer lieber den Kindern überlassen, man wisse ja nicht, wie lange man tatsächlich hier noch zubringen müsste. Dieser Vorschlag wurde begeistert angenommen und die Skipper begannen, ihre Bilgen nach Bierdosen, Wein und Sekt zu durchsuchen. Es war erstaunlich, welche Mengen an Alkohol so ein Familiendampfer bunkern konnte und man fragte sich, ob die vielen Flaschen und Dosen nicht beim Schlafen unter den Polstern unangenehm drückten.

Bild 175462 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.

      Mittlerweile hatten sich auch alle an das Hupkonzert der vor den Schleusentoren wartenden, neu hinzugekommenen Schiffe gewöhnt und man lud einfach alle ein, sich an dem fröhlichen, wenn auch nicht geplanten Schleusenfest zu beteiligen. Der Grillmeister hatte zum wiederholten Mal Kohle auf den Grill gekippt, denn viele der Neuankömmlinge hatten noch einen großen Vorrat an Würsten und Fleisch dabei, als unser Notruf-Melder mit hochrotem Kopf und heiserer Stimme verkündete, dass er die fleißige Wäscherin davon hatte überzeugen können, sich auf das nächstbeste Rad zu schwingen und ihren angelnden Mann zu suchen.

      Das hatte sie sogar geschafft und der verhinderte Petrijünger hatte versprochen sich auf den Weg von Stade hierher zu machen. Sein Eintreffen würde allerdings wohl noch eine Stunde auf sich warten lassen. Als so gar niemand ob dieser Meldung applaudieren wollte, ließ er enttäuscht sein Handy sinken. Der Ärmste hatte sich die Ohren und Finger wund telefoniert,