Claus Beese

Voll voraus, DODI!


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Ganz im Gegenteil: Man würde sogar handfesten Widerstand leisten, wenn es denn sein musste. Freiwillig würde man die Schleusenkammer nicht räumen!

      Tatsächlich erschien nach einer guten Stunde ein schlüsselgewaltiger Staatsdiener und bekam große Augen als er das muntere Treiben sah. Oben auf der Schleusenmauer wurde inzwischen zu den Klängen einer Mini-Stereo-Anlage gerockt und gerollt, der Grill qualmte noch immer und die Kinder trauten sich auch schon von der Schleusenmauer in das kühle Nass zu hüpfen.

      »Die Schleuse ist wieder frei, ihr könnt also....! Hallo, würdet ihr mal bitte...?! Ey! Ihr könnt jetzt die Kammer räumen! Verdammte Bagage, raus mit euren Eimern aus der Schleuse!!!«

      Der Schleusenmeister kratzte sich am Kopf. So etwas war ihm noch nicht untergekommen. Eine hübsche Bikini-Fee reichte ihm ein kühles Bier und zog ihn mit auf die improvisierte Tanzfläche. Na gut, wenn er heute schon keinen Fisch bekam, dann wenigstens ein Bier. Und getanzt hatte seine Agathe schon seit der Silberhochzeit nicht mehr mit ihm. Und, Junge, Junge, hatte er einen Kohldampf. So ein Holzfäller-Steak, ja, das wäre schon was. Der Grillmeister hatte den hungrigen Blick nicht übersehen und im Nu war der arme geplagte Mann mit einem dampfenden Stück Fleisch versehen.

      Irgendwo aus den Tiefen der Schleusenkammer, ertönte ein immer aufdringlicheres, weil ständig lauter werdendes Geheul.

      »Uäääh! Papa hat es mir aber versprochen! Und ich will mein Eis mit Sahne und Früchten! Nein, nicht morgen! Heute, hat er gesagt!«

      Beinahe schlagartig wurde es ruhiger. Die Bootscrews schauten sich bezeichnend an, denn zumindest die, die eigenen Nachwuchs an Bord hatten, wussten was jetzt zwangsläufig geschehen würde. Wie ein extrem gefährlicher Virus würde sich dieses Wort von Boot zu Boot verbreiten, sich in den Gehörgängen der Kinder festsetzen und von dort einen siegreichen Feldzug vom Magen bis zum Gehirn beginnen. Und das alles in Rekordzeit.

      »Wenn Markus ein Eis kriegt, will ich auch eins!«, tönte es bereits vom Nachbarschiff, und oben auf der Schleusenmauer warf ein anderer Bengel seine Angelrute aus der Hand und sprang auf.

      »Ich auch, aber mit Schokosoße«, forderte eine andere Stimme und nur Sekunden später halte es schaurig durch den Schleusenkessel: »Eis! Eis! Eis!«

      Das eben noch in partymäßigen Small Talk vertiefte Boots-Völkchen ergab sich kampflos und begann, die inzwischen über das ganze Schleusengelände verstreuten Spielsachen, Stühle, Tische, Gläser, Becher usw. wieder einzusammeln und zu sortieren. Einige Dinge wurden hin und her gereicht, weil der wirkliche Besitzer scheinbar nicht so ohne weiteres zu ermitteln war.

      »Der Skipper hier ist deiner! Ich hatte einen mit weniger Haaren!«

      »Nein, das kann nicht meiner sein, der hier ist ja ganz rot und ich weiß genau, dass meiner viel käsiger im Gesicht war.«

      »Sagt mal, weiß denn jemand, wem dieser Bengel gehört? Ich habe ihn gerade dabei erwischt, wie er unserem Bordhund das Tauchen beibringen wollte!«

      »Geeerdaaa! Du lässt jetzt sofort den Schleusenmeister los und kommst an Bord! Gerdaaa!! Hast du gehört? Sofort!«

      Grummelnd und schwarze Wölkchen paffend sprangen die ersten Diesel an, Leinen klatschten ins Wasser und einige Boote versuchten sich aus dem Päckchen mittels drücken und schieben zu lösen. Fassungslos stand ein einsamer Mann auf der Schleusenmauer und schaute kopfschüttelnd hinter den in Richtung Bederkesa entschwindenden Booten her. Jetzt hatte der Gegenverkehr freie Einfahrt und weil sie so lange darauf hatten warten müssen, wollte natürlich jeder der Erste sein, der auf der anderen Seite seine Fahrt fortsetzen konnte. Knirschend verkeilten sich eine Stahljacht und ein Kunststoffboot in der Schleuseneinfahrt, wobei das Letztere ein wenig an Breite einbüßte, dafür aber den Stahlbottich so festklemmte, dass beide nicht vor und zurück konnten.

      Der noch immer kopfschüttelnde Schleusenmeister ahnte, dass sein Wochenende gelaufen war. Bis er die Schleuse endgültig geräumt und wieder befahrbar haben würde, wäre seine Agathe wahrscheinlich mit dem Weißen Riesen durchgebrannt. Seufzend ging er in sein Häuschen, griff zum Telefon und benachrichtigte nacheinander die Wasserschutzpolizei, die Feuerwehr, den Katastrophenschutz, einen Scheidungs-Anwalt und seinen Psychiater.

      Drei Kilometer weiter schloss gerade der Hafenmeister von Bederkesa sein Hafenbüro um den wohlverdienten Feierabend zu genießen, als um die Kanalbiegung eine ganze Flotte von Sportbooten heran nahte. Täuschte er sich oder grölten wirklich alle Besatzungen der Boote vergnügt Seemannslieder? Wenn sie sich doch wenigstens auf eines hätten einigen können, schoss es dem Meister über alle Liegeplätze durch den Kopf, denn in der Tat klang es so, als würde auf jedem Boot ein anderer Shanty lautstark dargeboten.

      Ein kurzes Getümmel gab es, als die Boote mit Nachwuchs-Matrosen an Bord sich um die Liegeplätze rangelten, die in unmittelbarer Nähe des Seerestaurants Dobbendeel lagen. Wer Bederkesa kennt, der weiß, dass es dort die besten Eisbecher gibt. Alle anderen Boote lösten sich aus dem Gewusel und fuhren freiwillig ein kleines Stück weiter um die etwas entfernteren Liegeplätze zu belegen. Hafenmeister Willy sprang auf sein Rad und spurtete zur Kanalbrücke, wo es wegen der engen Durchfahrt und den eisnahen Plätze zu einer Pulkbildung gekommen war.

      »Zum Donnerwetter! Kann mir mal jemand sagen, was hier eigentlich los ist?«, donnerte er stimmgewaltig über den Kanal, sprang vom Drahtesel und lief den Deich hinab.

      »Wir wollen Eis!«, jubelte mein eigen Fleisch und Blut ihm zu. »Hier, Onkel Willy! Halt mal!«

      Mit diesen Worten warf sie ihm die Heckleine zu, die sie eigentlich am Steg ordentlich zu belegen hatte und rannte davon. Wozu am Poller festbinden, wenn auch der Hafenkapitän das Boot festhalten konnte? Im Laufen drehte sie sich nochmals kurz um und rief uns zu, dass wir sie im Dobbendeel finden könnten. Johlend stob eine ganze Horde Kinder hinter ihr her, während auf dem Steg ein verstörter Hafenmeister mit einem Tampen in der Hand stand und langsam dunkelrot anlief.

      »Neptun!«, presste er zwischen den Zähnen hervor und war bemüht ruhig zu bleiben. »Was habe ich dir getan, dass du mich wieder einmal mit der DODI strafst? Bederkesa ist ein so netter kleiner Hafen bis zu dem Moment, wo dieses Boot auftaucht. Bitte schick diesem Katastrophenskipper eine Million, damit er sich einen so großen Dampfer kaufen kann, der nicht mehr durch den Kanal passt. Danke, Neptun!«

      Ich hatte inzwischen den Diesel abgestellt und war auf den Steg gesprungen. Lachend ging ich zu dem bebenden Mann in Weiß und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

      »Hallo, Willy! DODI ist mal wieder im Lande. Sag mal, warum bindest du nicht einfach den Tampen irgendwo fest? Bis mein Töchterlein wiederkommt willst du ihn doch wohl nicht festhalten, was?«

      Schluchzend ließ der Hafenkapitän den Tampen fallen, wandte sich um und wankte mit zuckenden Schultern davon. Betroffen schaute ich ihm nach und winkte meine Bestfrau heran.

      »Schau mal, Dodi, wie Willy sich freut uns wiederzusehen. Der weint ja richtig vor Freude! Also, ich kenne wirklich keinen anderen Hafen, in dem wir so herzlich begrüßt werden, wie hier.«

      Die Leiche im Kanal

      Es schepperte leise, als mein mir angetrautes Eheweib, Mutter meiner Tochter, Hüterin meines Hausstandes und bester Bestmann auf meinem Boot den Wasserkessel wieder im Schrank verstaute. Mit leisem Gurgeln lief das Abwaschwasser aus dem Becken und mit ein paar schnellen und geübten Wischbewegungen mit dem Abwaschlappen war die Pantry wieder sauber und trocken. Ich bewunderte sie für ihre Fingerfertigkeit in solchen Dingen, denn bei mir dauerte das Aufklaren immer deutlich länger und brachte auch genau so deutlich nicht denselben Effekt.

      Ich möchte es mal so ausdrücken: Der von mir erzeugte Glanz in der Pantry beschränkte sich nach meiner Backschaft stets auf meine schweißglänzende Stirn. Aber ich bin durchaus in der Lage anzuerkennen, wenn jemand ein Fachmann auf seinem Gebiet ist und in solchen Fällen bemühe ich mich auch darum, es ihm erst gar nicht nachmachen zu wollen. Neidlos sehe ich ein, dass diese dilettantischen Versuche eines Nachahmens sowieso niemals von Erfolg gekrönt sein würden. Außerdem ist das gedehnte »Hmmm!« meiner Kombüsenfee, ihr Griff zum