null winterschlaefer

Der gepuderte Pfau


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Haar, auch wenn sie ihn gelegentlich bedauerte und seinen Verfall allein dem Einfluss dieser Mutter zuschrieb. Sie habe ihn nur benutzt und seine Talente unterdrückt; mit einer anderen und dem rechten Einfluss wäre sicher mehr aus ihm geworden. Ich hätte vieles von ihr, weshalb ich trotz meines unschuldigen Gesichts einmal ebenso enden würde. Allein mit Äußerlichkeiten könne man auf Dauer nicht bestehen; das Leben verlange Taten, darum bliebe ich ein Schafskopf, gleichviel, wie ich mich auch gäbe.

      Warum sie mir das ständig vorhielt und mich dabei so komisch ansah, wusste ich nicht, ahnte aber, dass sie etwas an mir störte, ja ängstigte, und das nicht erst, seitdem sie sich verbat, in Unterwäsche vor ihr herumzulaufen.

      Ihre stets unaufgeräumte Wohnung in der vierten Etage eines heruntergekommenen Mietshauses hatte dunkle Wänden und knarrende Dielen, und das kleine Zimmer, was ich neben der Küche bewohnte, war nicht mehr als eine Abstellkammer. Mir war es hier immer unheimlich, zumal die Fenster meist geschlossen waren und nur wenig Licht durch die schweren Gardinen drang. Ich habe nie erfahren können, was sie trieb und wovon sie lebte. Wenn ich danach fragte, hieß es nur: „Geht dich nichts an, tue lieber, was dir gesagt wird und sieh zu, dass was Anständiges aus dir wird“. Ständig in Hast, verließ sie mehrmals am Tag das Haus, um erst spät zurückzukehren. Manchmal musterte sie mich vorwurfsvoll, und wenn ich ihre Fragen nicht zu ihrer Zufriedenheit beantwortete, witterte sie irgendeine Schandtat. Dann sperrte sie mich in meine Kammer, bis ich ihr gestand, was sie hören wollte. Nun kam sie erst recht ins Toben, nahm eine Rute und legte mich übers Knie. Doch seltsam - in solchen Momenten, da ich ihr völlig verängstigt ausgeliefert war; da ich vor lauter Scham am liebsten im Boden versunken wäre, erwachte in mir neben Angst und Verbitterung zugleich auch eine Art Wonnerausch, der mich dazu brachte, ihre Streiche reglos zu erdulden. Ja mehr noch; von einer absonderlichen Faszination getrieben, meinte ich plötzlich die mir zugefügten Schmerzen in ungekannter Süße zu erleben. Nicht selten befielen mich dabei die absurdesten Vorstellungen von Dingen, welche zu nennen sich jeder anstände Mensch schämen würde. Dennoch empfand ich so.

      Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre ohne Susanne. Die Tante hatte keine leiblichen Kinder, und Susanne, die drei Jahre älter war als ich, kam mehrmals die Woche zur Verrichtung des Haushaltes. Wie sie zu ihr gekommen war, bzw. in welchem Verhältnis sie zueinander standen, ließ sich nie genau feststellen. Mal hieß es, sie sei ihr Patenkind, dann wieder, sie sei Tochter einer Bekannten, einer unanständigen Person, die sich lange Zeit herumgetrieben habe und schließlich bei einem Autounfall ums Leben kam. Ich wagte niemals näher nachzufragen, aus Angst, sie zu verletzen und glaube, dass sie darüber auch dankbar war.

      Sie war ganz anders, lachte viel und hatte dann immer solche Grübchen in den Wangen. Ich mochte sie wie eine große Schwester, deren Lockerheit gegenüber der Tante mir ungemein imponierte. Hielt ich doch ihren Eigensinn für Mut und ihre Disziplinlosigkeit für Charakter. Oft nahm sie mich vor ihr in Schutz, tadelte mich aber auch, sobald ich auf sie schimpfte.

      „So darfst du nicht reden Die Tante meint es nicht so. Immerhin sorgt sie für dich, und das ist bestimmt nicht einfach, schon deshalb, weil du nicht einfach bist ... Ach, nun guck nicht so; du weißt schon, was ich damit sagen will. Außerdem hat deine Mutter es so gewollt. Und wenn eine Mutter etwas will, ist es nur das Beste für ihr Kind. Also beklage dich nicht.“

      Wiederholt nannte sie mich hübsch, während sie sich selber nicht besonders anziehend fand. Das weckte mein Mitgefühl. Doch das lehnte sie ab. Manchmal weinte sie, und da ich sie nicht besser zu trösten wusste, weinte ich mit. Sie stieß mich jedoch fort und nannte mich einen Trottel. Was sollte man davon halten? War es der Versuch, sich mit etwas Rätselhaftem zu umgeben? Sollte mir ihr Stolz ihre Unerreichbarkeit signalisieren, oder war es am Ende nur ein qualvolles Selbstbedauern? Das soll bei launischen Frauen vorkommen, und launisch war sie. So konnte sie aus tiefstem Ärger toben und im selben Moment herzerfrischend lachen. Überhaupt schien sie in Gedanken oft woanders und redete dann nur beiläufig mit mir.

      Zuweilen schaute ich sie mir heimlich gerne an, wenn sie sich, nur leicht bekleidet, lasziv vor mir rekelte. Versuchte ich sie aber zu erhaschen, entwand sie sich geschmeidig wie eine Katze. Ganz von selbst regte sich dann etwas in mir, das nicht zu beherrschen und schon gar nicht zu steuern war. Es war ein plötzliches Verlangen, sie zu besitzen, sie zu lieben und zu quälen, ganz wie es mir gefiele, koste es, was es wolle.

      Oh, diese Teufelin! Sie wusste das! Von Statur her groß und schlank, verfügte sie über einen festen Knochenbau, dazu ein kindliches Gesicht mit brünettem, mittig gescheiteltem Haar, das ihr bis auf die Schulter fiel. Ihre dunklen, unergründlichen Augen schauten oftmals gedankenverlorenen drein, um mich gleich darauf wieder stechend zu fixieren. Ihre Stirn war hoch und schmal, ihr Mund sinnlich, ihre Lippen voll. Wenn sie lachte, blitzten ihre Zähne wie Perlen, auch wenn ihr Lachen manchmal ein wenig zu glatt geriet. Ich weiß das jetzt nicht besser auszudrücken, aber es war ein Lachen, das ängstigen konnte. Dabei hätte man sie fast attraktiv nennen können, wäre da nicht etwas Hartes in ihren Zügen gewesen, das im Gegensatz zu ihrer sonstigen Ungezwungenheit stand.

      Ausgelassen waren wir und tollten, wenn die Tante nicht da war. Danach war sie immer sehr aufgelöst und warf sich in den Sessel. Und ich war glücklich, weil sie glücklich war, obgleich mir jedes Mal eine unerklärliche Röte ins Gesicht stieg, wenn sie mich so ansah.

      Das war der Anfang.

      Wenn ich mich meiner ersten Erfahrungen erinnere, muss ich immer an ihr langes Haar denken, das ihr vorüber fiel, wenn sie mit Erstaunen meine noch immer vorhandene Bereitschaft bewunderte. Dieses Kitzeln auf der Brust brachte mich erneut hoch, so dass ich in dauerhafter Erregung blieb. Das wiederum steigerte ihre Lust bis ins Extrem, wobei all die Instinkte einer erregbaren Frau in unerhörter Heftigkeit hervorbrachen und ihren Körper in langanhaltenden Schauern durchtobten. Nichts mehr war dann wie zuvor. Alles vibrierte, raste, taumelte. Es war, als habe sich ihr Körper von innen erleuchtet, als würde sie regelrecht verbrennen, wobei sich ihre Leidenschaft in biegenden und windenden Bewegungen entlud. Nie wieder danach ist mir eine Frau mit solchem Feuer begegnet. Ihre Küsse, ihr Schluchzen und Stöhnen, ihre weichen und brutalen Liebkosungen wurden für mich zur Sucht und Qual zugleich und füllten die gewohnte dumpfe Leere in mir aus. Kein Wunder, dass ich ihr verfiel.

      Ich verfüge über seltene Talente, meinte sie und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. Konnte ich denn ahnen, dass bereits da dieser Gedanke in ihr reifte?

      Heute weiß ich, dass es ein Verhängnis war, doch damals .... Sie riet mir, mehr daraus zu machen. Eigentlich wäre nichts dabei, weil man nur täte, was alle anderen auch tun. Hinzu käme, dass Frauen in solchen Dingen anders ticken. Sie wären zurückhaltender; liebten mehr mit dem Kopf als dem Körper; daraus ergäben sich Chancen, die meinem Talent entgegenkämen. Meist genüge es, nur nett zu sein, der Rest ergäbe sich von selbst. Besonderes Wissen sei nicht vonnöten; man müsse nur zuhören können und durch Schweigen gefallen. Im Grunde wäre es eine Dienstleistung wie jede andere, und wie alle Dienste lebe sie von der Zufriedenheit ihrer Kunden.

      Aber kann man das? Ich meine, wie viel Skrupellosigkeit steckt in solchen Gedanken? Verschweigen sie doch das Wichtigste, dass eine leidenschaftliche Zuwendung als Voraussetzung für einen solchen Kontakt, dabei unmöglich wird. Wie auch, zumal nichts da ist, wovon sie zehren könnte. Und außerdem - ist es die Aufgabe des Edelsten wert, was man in sich trägt, um daraus Kapital zu schlagen? Diese Frage quälte mich schon damals, wagte sie aber nicht zu stellen.

      Seither verachte ich mich, verdränge es aber. Um mich war sie immer sehr besorgt, badete und pedikürte mich, band mir die Krawatte und tönte mir das Haar. Ich fand das drollig, und wenn sie mich zum Abschied küsste, hatte sie immer ein kleines Lächeln auf den Lippen, so ein trauriges. Man kann auch traurig lächeln, besonders Frauen. Ich habe das oft beobachtet. In geschäftlichen Dingen hatte sie immer ein gutes Gespür, wusste, was für mich das Beste ist, angefangen von der Kleidung, der Sorte des Aftershaves, bis hin zum Mundwasser. Sie wählte auch meine Klientel aus. Wonach sie dabei ging, weiß ich nicht, traf es aber eigentlich immer gut. Ich bin überzeugt, dass nur Frauen hier zum Manager taugen.

      Genau genommen war sie der einzige Mensch, der ehrlich zu mir war, auch wenn sie mich damit oft verletzte. Aber gerade das nenne ich Liebe. Vielleicht wollte sie deshalb