null winterschlaefer

Der gepuderte Pfau


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sehr viel Idealismus dazu, so zu tun, als sei etwas normal, was nicht normal ist. Frauen sind da viel empfindsamer. Und wenn sie es dennoch tat und ihre Liebe zu mir mit anderen teilte, dann aus noch viel größerer Liebe. Ich habe mir mal sagen lassen, dass Frauen am intensivsten lieben, wenn sie leiden, und das größte Leiden liegt wohl im bewussten Verzicht. Es mag seltsam klingen, aber Geld spielte niemals eine Rolle, jedenfalls nicht für mich. Deshalb habe ich es nie für Geld getan, auch wenn es so erscheinen mag. Vielmehr habe ich ein Honorar als Beleidigung empfunden, und wenn ich es dennoch nahm, dann aus Rache, jawohl! Beim ersten Mal glaubte ich noch, etwas zu geben, um dafür etwas Gleichwertiges zu bekommen. Ich glaubte tatsächlich an etwas Dauerhaftes, weil es edel war. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass etwas Edles schmutzig sein konnte. Wie hätte ich das auch glauben sollen, da ich doch fühlte, was ich gab. Ein Mann muss fühlen, um zu können, hingegen eine Frau auch ohne Gefühl kann. Es verlangt eine andere, intensivere Einstellung zur Sache, denn wie sollte man dieses Können sonst erzwingen?

      Wie auch immer, am Ende folgte stets die gleiche trockene Ernüchterung ob eines unwürdigen Spiels, in welchem ich benutzt und weggeworfen wurde gleich einem alten Lappen. War es da nicht verständlich, dass man mit Freuden lügt und mit Genuss betrügt? Steht nur die Frage, ob so etwas auf Dauer schadlos bleibt, und es wäre sicher zu einfach, darauf ohne tiefere Analyse zu antworten. Deshalb noch mal dorthin zurück, wie es dazu kam, dass ich meine Hemmungen verlor und zu dem wurde, was ich heute bin.

      ****

       Die Einführung

      Nach dem Tod meiner Tante erbte ich ihre wenige Habe. Zwar hatte sie testamentarisch verfügt, mich nach ihrem Ableben in ein betreutes Wohnen zu geben, um mich von dieser ‘unlauteren Person‘, wie sie Susanne zuletzt nannte, fern zu halten. Doch da ich inzwischen volljährig war und man mir eine ‘beschränkte Geschäftsfähigkeit‘ bescheinigte, konnte ich diese Entscheidung erfolgreich anfechten. Also behielt ich meine Kammer und holte Susanne zu mir. Über einen Anwalt wurde sie zu meinem Betreuer bestimmt, da ich, wie es in dem amtlichen Schreiben hieß, ’nur bedingt geschäftsfähig sei und die Gefahr krankheitsbedingter, nicht zu überblickender Entscheidungen nicht ausgeschlossen werden könne.’

      Ich hatte damals vom Arbeitsamt eine Stelle als Paketzusteller zugewiesen bekommen, eine Knochenarbeit, während Susanne allein mit meiner Betreuung beschäftigt war. Das verdiente Geld gab ich zu Hause ab. So lief auch alles recht gut, und eigentlich gab es nichts zu beanstanden, zumal sie mich mit aller nur erdenklichen Großzügigkeit bedachte. So brauchte ich niemals meinen Teller abzuspülen und durfte sogar unbegrenzt fernsehen. Auch der für mich immer so qualvolle Waschgang entfiel, bei dem ich bereits vier Tage im Voraus die Wäsche in einen großen Kessel einweichen musste, um sie danach auf einer quer durch den Flur gespannten Leine aufzuhängen (eine Waschmaschine konnten wir uns nicht leisten). Vielmehr lüftete sie nur noch aus. Sie hielt das für effektiver und schone zudem die Haushaltskasse. Nur das Nötigste, wie die Unterwäsche, wurde in kürzeren Intervallen gewaschen, wegen der Hygiene und so. Auch war es mit der allgemeinen Stille bald vorbei, worauf die Tante stets Wert legte. Nicht selten drehte sie das Radio bis zum Anschlag auf, ungeachtet des Gezeters der Nachbarn. Dann steppte sie vor Vergnügen, schwang ihre Hüften und reckte grazil die Arme in die Höhe, während ich dazu begeistert klatschte. Niemals sagte sie ein böses Wort, auch nicht, wenn es mal nötig gewesen wäre. Oder gibt es ein größeres Zeichen von Toleranz, als einen Kuss für eine Torheit oder einen Klaps für ein Versäumnis? Mochte man mich auch dumm nennen und mit Spott überziehen - Susanne verteidigte mich nach Kräften.

      Gern erinnere ich mich der Sache mit der dicken Fleischerfrau von unten, die mich mal wegen eines Gerüchtes attackierte. Freilich hätte ich widersprechen müssen, zumal das Ganze völlig haltlos war. Doch aus irgendeinem Grunde tat ich es nicht und ertrug geduldig ihre Vorwürfe, wobei sie mich wiederholt einen Vollidioten nannte. Da hätte man Susanne erleben sollen. Unten im Flur war’s, und das ganze Haus hörte mit. Das hatte ich ihr gar nicht zugetraut, und ich schwöre, wäre die andere nicht auf der Stelle still gewesen, sie hätte ihr die Augen ausgekratzt.

      Kein Wunder, dass sich meiner ein zunehmendes Glücks- oder besser Kraftgefühl bemächtigte mitsamt einer Begeisterung zu allem, was sie sagte und tat. Hinzu kam das Bewusstsein, ihr auch noch in anderer Hinsicht etwas zu bedeuten. Warum sonst ihre auffallende Garderobe? Dafür benötigte sie natürlich viele Dinge, die trotz unserer knappen Haushaltskasse immer reichlich vorhanden war. Voller Begeisterung zeigte sie mir den neuesten Nagellack und erläuterte mir die Vorzüge und Nachteile verschiedenster Kollektionen, obgleich ich davon nichts verstand. Aber das schien ihr nicht wichtig.

      In der Tat war ihr Geschmack in vielen Dingen recht ausgefallen. So war es ein Fest, sie in knallengen Jeans vor dem Spiegel posieren zu sehen, dabei die große Dame mimend, die sie irgendwann einmal sein wollte. Zwar hielt sie manchmal inne und sah mich, wie mir schien, recht zweifelnd an; doch spätestens, wenn sie meine naive Verwunderung bemerkte, kehrte ihr spöttisches Lächeln zurück, das doch sehr verletzen konnte. Nicht, dass sie es absichtlich tat, Gott bewahre, denn kaum hatte sie meinen Kummer bemerkt, nahm sie mein Gesicht in die Hände und schmiegte es an ihre Brust, während ich mich nicht zu rühren wagte, aus Angst diesen wundervollen Anflug vorschnell zu zerstören. Wollte ich dennoch mal aufschauen, drückte sie mich nur noch fester an sich, um ihre Tränen zu verbergen, die ich längst bemerkt hatte. Jene Momente, in denen wir so eng umschlungen schweigend beieinander verharrten und ich mich beschützt und glücklich wähnte; in denen unser Verstehen keiner Worte bedurfte und mein gequältes Wesen allmählich zur Ruhe kam, waren für mich die glücklichsten. Viel zu früh holte sie mich in die Wirklichkeit zurück, wenn sie beklagte, dass sich in letzter Zeit vieles verändert habe. Das Leben sei schwerer geworden, um im selben Atemzug das Beispiel von Leuten anzuführen, die ihre Sorgen einfach ignorierten. Deshalb seien Hopfen und Malz aber noch nicht verloren, manchmal geschähen noch Wunder. Dazu lachte sie, doch jetzt anders, geradezu hysterisch, als wolle sie sich selbst verspotten. „Du glaubst mir nicht? Besser kann ich es dir nicht erklären. Mir genügt kein Mittelmaß, ich lebe jetzt und hier und möchte auf nichts verzichten.“

      Ich war über diesen Vorwurf erschrocken. Sie bemerkte meine Verwirrung und wurde gleich wieder sanft. „Ach, du Dummchen. Wann begreifst du endlich, dass vieles von dem, was ich sage, nur an meinen überreizten Nerven liegt. Mal denke ich so, dann wieder so, aber so bin ich halt.“ Und dann brach sie in Tränen aus und bekannte; ich hätte ja recht, tausendmal und sei das Beste, was ihr begegnet wäre; eigentlich hätte sie mich gar nicht verdient; nur müsse ich Geduld haben - alles wäre noch so neu, so fremd, aber gemeinsam würden wir es schaffen. (Damit meinte sie ihren Traum, 100.000 DM und ein Häuschen im Grünen). Dann raufte sie mir das Haar und bat mich, wieder lieb zu sein.

      Doch diese Reue war nur von kurzer Dauer. Spätestens nachdem unser letztes Geld verbraucht war, begann alles von neuem. Voller Unruhe lief sie hin und her, redete vor sich hin und starrte mich vorwurfsvoll an. Man sah, wie sie nach Lösungen suchte. Doch was ihr auch einkam erwies sich als unbrauchbar. Und als der Pfänder Vollbrecht bei uns auftauchte, ein vierschrötiger, feister Kerl, mit Bierbauch und Glatze, muss sie völlig den Verstand verloren haben. Die Sache war die, dass schon am nächsten Tag die Kommode wieder dastand, die er tags zuvor erst mitgenommen hatte. Wie das von statten ging, blieb mir ein Rätsel, doch die Art, wie sie sich danach gab, diese scheuen, ausweichenden Blicke, dieses aufgesetzte, verstörte Lächeln, ließen mich Schlimmes ahnen.

      Längst hatte ich bemerkt, dass sie mir etwas verheimlichte. Wiederholt, meistens dienstags, hatte ich in ihrem Zimmer einen absonderlichen Geruch vernommen - einen Geruch von abgestandenem Rauch. Aus irgendeinem Grunde hatte ich niemals nachgefragt, redete mir ein, mich zu irren und glaubte am Ende sogar daran. Doch jetzt wurde es offenbar. Als dieser Gedanke in meiner Vorstellung Gestalt annahm, bekam ich keine Luft mehr. Da packte ich sie, riss sie herum. Sie aber verstand sofort und lächelte nur still, bereit, selbst das Schlimmste zu ertragen, wenn ich ihr nur verzieh. Da sank meine Hand herab, und ich schämte mich meiner Unbesonnenheit, die ohnehin nichts mehr hätte ändern können. Oh, ich schwöre; nur einmal, ein einziges Mal war ich schwach geworden. Danach hatte ich mich in der Gewalt.

      Eines Abends kamen Leute zu uns, die ich nie zuvor gesehen und von