null winterschlaefer

Der gepuderte Pfau


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Unschuld überzeugt.

      Am nächsten Morgen fand ich Susanne völlig verändert, ja geradezu verstört vor. Sie wich mir aus, wirkte scheu und verlegen, wobei sie diesen Eindruck durch übertriebene Lässigkeit zu überspielen suchte. In ihren Bewegungen blieb sie fahrig und aufgekratzt, wie immer, wenn sie mit etwas unzufrieden war. Ich wusste längst, dass sie eine Erklärung erwartete und mein Schweigen sie quälte.

      „Was ist? Nun sag was!“, fuhr sie mich an, schlug dann aber die Augen nieder und wurde ganz leise: „Ich weiß, dass ich dir das nicht aufzwingen kann, und wenn du mich jetzt verachtest, muss ich damit leben.“

      „Aber warum, ich meine, warum sollte ich dich verachten?“ antwortete ich verwundert. „Ohne dich hätte ich es nie begriffen.“

      „Was begriffen, was meinst du?“

      „Na das ...“ Ich reckte ihr den Schoß entgegen. „Bisher dachte ich immer, es sei nur so, das hätte mich enttäuscht. Doch dann fiel mir ein, wie du mich gegen die anderen verteidigt hast und mir wurde klar, dass ich dafür etwas tun muss. Da kam sie mir grade recht. Sie hat bestimmt gedacht, es sei echt, ich meine, so richtig mit dem Herzen, um dich zu kränken. Aber das war es nicht, nicht eine Sekunde. Ist das nicht komisch? Und wenn ich mich jetzt schäme, dann nur, weil ich darüber nicht mal traurig bin, was ich doch eigentlich sein sollte, oder?“

      Da legte sie die Fäuste an die Schläfen und schrie mich an, endlich den Mund zu halten, das wäre doch nicht normal! Ich aber versicherte ihr sogleich, völlig normal zu sein, und wenn sich jemand schäme müsse, dann wohl ich.

      Da brach sie in Tränen aus, umschlang mich und erstickte mich mit Küssen. An diesem Tag ging ich nicht zur Arbeit, und wir verbrachten die ganze Zeit im Bett. Und obgleich sie sich bemühte, wie immer zu sein, konnte sie ihre Nervosität nicht unterdrücken. Wiederholt versicherte sie mir, dass ab morgen alles anders würde - sie wolle ihr Leben von Grund auf ändern, wolle arbeiten und selbst auf teure Make-ups verzichten. Doch als sie versuchte, ihren Nagellack in die Toilette zu werfen, hielt ich sie zurück. Oh, wie zappelte sie in meinen Armen, dass ich alle Mühe hatte, sie zur Vernunft zu bringen. Erst als ich sie an ihren Traum vom Glück erinnerte, den wir gemeinsam erleben wollten, erlahmte sie.

      Ich weiß, dass ich manchmal etwas blockiert bin, doch nun wurde mir alles klar. Sie war nur deshalb so, weil ich sie nicht anders ließ. Zweifellos hatten meine Passivität und duldende Genügsamkeit ihre Verwirrung nur befördert. Sie wollte mich nicht wirklich opfern, sondern nur glücklich sehen. So etwas ist ohne tiefere Gefühle nicht möglich. Demnach bedeute ihr Verhalten keine Gleichgültigkeit oder gar Missachtung, sondern war nichts weiter als ein Akt der Ohnmacht und Verzweiflung. Dieser Gedanke beschämte mich. Dabei war ich die ganze Zeit blind gewesen, wollte diese Flecken an ihrem Hals nicht sehen, dazu das geschwollene Gesicht. Dieser Kerl, der dienstags immer kam, war brutal. So einer zahlt dafür, und das nicht schlecht. Und ich Jämmerling wollte die unterdrückten Schreie nicht hören, lauschte statt dessen an der Wand, jede Minute das Ende ersehnend, während sie es tapfer ertrug. Ich stand tief in ihrer Schuld. Spätestens jetzt stand fest, - 100.000 und ein Häuschen im Grünen, das war sie mir wert, koste es, was es wolle.

       Die ersten Kunden

      Schon am nächsten Tag suchte ich Kurtchen in seiner Wohnung auf, was mir insofern unangenehm war, als ich unangemeldet kam. Doch er war mir nicht böse; im Gegenteil, er schickte sogleich das Mädchen fort - ein ziemlich junges Dingelchen, vermutlich aus Osteuropa. Dann warf er sich seinen Pyjama über und bot mir eine seiner widerlichen Zigarillos an. Als ich ablehnte, lachte er nur, nannte das aber konsequent und kam auch gleich zur Sache. Den Arm um meine Schulter gelegt, nötigte er mich neben sich auf die Couch. Dann begann er sich über alles Mögliche zu ereifern, das allgemeine Lotterleben, den Müßiggang in der heutigen Zeit und die Notwendigkeit, ‘ordentliche Kohle‘ zu machen. Doch die Situation würde immer schwieriger, die Kunden anspruchsvoller; zudem wären geeignete Talente rar. Nun aber sei meine Chance gekommen, und es wäre an mir usw. usf.

      Abschließend nannte er meinen Entschluss vernünftig und versicherte mir faire Konditionen zu, vorausgesetzt, ich hielte mich an die Abmachungen. Was er damit meinte, ließ er allerdings offen. Vielmehr quittierte er meine diesbezügliche Frage mit vieldeutigem Grinsen, was wohl heißen sollte: ‚siehe her, du Esel, dann weißt du, wie weit man es bringen kann‘. Zweifellos gefiel ihm meine Naivität und kam seiner Rolle als fürsorglichen Mentor entgegen, denn er nannte mich mehrmals ‘interessant‘ und ‘drollig‘, eine ideale Kombination. Ob ich Angst hätte, wollte er wissen, was ich aber verneinte. Das wäre auch gut so, anderenfalls könnte ich nicht arbeiten. Dann aber begann er meine Befindlichkeit zu testen, indem er die Dinge beim Namen nannte und mir einige zum Teil recht schlüpfrige bis abstoßende Details meiner künftigen Praxis offerierte und das auch noch so schamlos, dass mir richtiggehend schlecht wurde. Scheute er doch nicht davor zurück, alle nur denkbaren Perversionen anzuführen, dazu die vielfältigen, zum Teil makabren bis sadistischen Varianten ihrer Befriedung, wobei nur eines zähle - der Wunsch des Kunden, wie abartig er auch sein möge.

      Das schockierte mich, denn so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Wo blieb die Menschlichkeit, das Herz? Immerhin war man doch kein Automat, der Gefühle nach Belieben produzieren kann. Hinzu kamen seine schmutzigen Phantasien, die seine ganze niedere Denkart bezeigten. Da halfen auch seine Lacoste-Hemden nichts. Er war durch und durch verkommen, ein Stück Dreck im Seidenmantel, das zum Himmel stank; das sah ich jetzt klar und guckte ihn, glaube ich, auch so an.

      Mein Widerwillen blieb ihm nicht verborgen und reizte ihn. Dann aber winkte er ab und nannte mich einen Idioten; nur weil er die Dinge ‘praktisch‘ sähe, wäre er noch lange nicht herzlos; außerdem käme es darauf nicht an. Schließlich habe er auch mal angefangen, damals noch als Türsteher; ein Knochenjob, der ihm neben mehreren Nasenbrüchen auch einige Messerstiche eingebracht hätte. Dazu öffnete er seinen Pyjama und verwies stolz auf einige Narben als Zeichen seiner Konsequenz. „Gefühle sind in diesem Geschäft hinderlich. Im Augenblick der Zusammenkunft erfüllt man einem Vertrag, wobei jede Seite Anspruch auf Zufriedenheit erhebt. Deshalb gibt es auch kein Recht zum Klagen, ausgenommen, die geforderten Leistungen werden nicht erbracht“, resümierte er. „Und jetzt guck nicht so. Der Mensch lebt nun mal nach seinen Trieben, und genau das ist der Punkt. Selbst die biedersten Leute haben welche, mitunter sogar die dreckigsten. Würdest staunen, wer alles zu meinen Kunden zählt. Alle predigen Wasser und trinken Wein. Aber wen interessiert das? Das Wichtigste ist ihre Zufriedenheit; nur so kommt man weiter. Deshalb werde ich einen Teufel tun und an ihre Moral appellieren. Ich kann sie mir nicht leisten, verstehst du.“ Er zündete sich eine neue Zigarillo an und inhalierte tief den bitteren Rauch. „Meine Mutter daheim im Fränkischen hielt mich immer für einen Versager; aus mir würde ja doch nichts, meinte sie und verglich mich mit dem Vater, den ich übrigens nie kannte. Ihr stilles Lächeln war kränkend, ohne dass ich sagen könnte, warum. Da habe ich mir geschworen, sie soll mich nie wieder so anlächeln. Und seither tut sie es auch nicht mehr. Denn wenn ich mit meiner Corvette, im weißen Anzug dort vorfahre, bin ich nicht mehr Kurtchen, sondern Herr Meyer, jawohl! Dann küssen sie mir den Arsch. Mutter denkt, ich bin Unternehmer und hat es überall erzählt. Nun ja, bin ich ja auch, und für den Herrn Pfarrer habe ich immer eine kleine Spende parat. Seither stiften sie einmal im Jahr dort einen Kranz für mich. Kannst du dir das vorstellen?“

      Bei diesen letzten Worten leuchteten seine Augen sonderbar.

      Plötzlich kam ihm eine Idee. Er wolle mir etwas zeigen, etwas Besonderes, wobei er meinen Einwand auf Zeitmangel völlig ignorierte. Von dieser Idee ergriffen, führte er mich aus dem Haus. Unten stiegen wir in seine Corvette und fuhren nach Neukölln. In einer kleinen Seitenstraße, in der Nähe vom ‚Kotti‘, parkten wir neben einer Einfahrt, durchquerten den Torbogen eines heruntergekommenen Altbaus und gelangten in einen dunklen Hausflur. Schnaufend polterte er die Treppe voran, während ich ihm ängstlich folgte. Am Etagenfenster des dritten Obergeschosses hielt er inne, zog ein Fernglas aus seiner Tasche und visierte das Haus gegenüber. Es war sorgsam renoviert mit Dachterrasse und schneeweißer Fassade und vermittelte einen Hauch von Noblesse in dieser ansonsten überaus tristen Gegend.

      „Sieh