null winterschlaefer

Der gepuderte Pfau


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wert, und der Kristallspiegel - nein, wie sie das nur macht ... Sogar ‘ne Putze kann sie sich leisten.“ Dann drückte er mir das Glas in die Hand, um mich selbst davon zu überzeugen. Doch während er unablässig weiterschwatzte und dabei etwas von Teilhabe und Szenenehre erwähnte, konnte ich nichts erkennen, glich ein Fenster dem anderen, ohne das daran etwas Besonderes wäre.

      „Früher hieß sie Huschenbett“, fuhr er eifrig fort. „Irina Huschenbett, - komisch, nicht wahr? Jetzt heißt sie Stolzenfels, ausgerechnet. Auch ihren Vornamen hat sie geändert, hat wohl an alles gedacht ... Übrigens, der silbergraue SLK dort unten gehört ihrem Mann, ein hohes Tier in irgendeiner Behörde, wie man sagt. Toller Wagen ... Oh, sieh doch nur, jetzt steigt er ein. Dabei hätte ich schwören können ... Könnte wetten, dass ihn einiges zu seiner Gattin interessieren würde ... Komm, ich stell sie dir vor. Sie freut sich immer über meinen Besuch.“

      Schon packte er meinen Arm und zerrte mich die Treppe hinab. Dabei redete er betont laut und lachte nervös zu den eigenen Bemerkungen, als wollte er mit Absicht Aufsehen erregen. Mir war das insofern peinlich, da es sich um ein ordentliches Haus handelte und es keine Veranlassung zu einer solchen Szene gab. Die Wände waren hell und freundlich gestrichen, mit Ornamenten und Bordüren versehen und der Fußboden gebohnert. An den Türen hingen goldene verzierte Namensschilder und auf jeder Etage standen Blumen in den Fenstern. Oben angekommen, wollte er klingeln. Ich aber machte ihn darauf aufmerksam, dass dort ’Jäger’ stand und nicht ’Stolzenfels’, wie er sagte.

      Doch er winkte ab und meinte, das ginge schon in Ordnung. Dann drückte er die Klingel. Kurz darauf öffnete sich die Tür, und vor uns stand ein ziemlich junges Mädchen mit Gummihandschuhen und Schürze, offenbar die Putze. Nachdem Kurtchen etwas umständlich erklärte, die Hausherrin sprechen zu wollen, erwiderte sie kurzerhand, Frau Jäger sei nicht zu Hause, und sie wisse auch nicht, wann sie zurückkäme. Das klang freilich wie einstudiert, worauf sich Kurtchen ziemlich ruppig wiederholte und ihr dabei allein durch seine Pose (er lehnte den Arm gegen die Wand und machte mit dem Daumen eine lässige wie unmissverständliche Geste) signalisierte, nicht eher zu gehen, bis sich die Hausherrin blicken ließe.

      „Na, hören Sie mal“, empörte sich das Mädchen und wollte schon die Tür zudrücken. Doch Kurtchen stellte sogleich den Fuß zwischen. Wer weiß, was geschehen wäre, wäre nicht in diesem Moment eine Frau von hinten hinzugekommen. Das war eine verlebte Endvierzigerin, etwas dicklich und mit Brille, die sich offenbar eilig den Morgenrock übergeworfen hatte und noch schnell zuband. Zweifellos vom Lärm beunruhigt, trat sie heran und fragte mit bebender Stimme, was wir wünschen.

      „Oh, mein Name ist Kurt Meier, Gnädigste, und das ist ein guter Freund.“ Augenblicklich nahm er den Fuß aus der Tür und verbesserte seine Haltung. „Bin ich hier richtig bei Huschenbett, Irina Huschenbett?“

      Die Frau schaute erst ihn, dann mich ganz entgeistert an und antwortete: „Nein, hier wohnt Familie Jäger. Sie müssen sich irren.“

      „Hm, das ist aber seltsam. Dabei hätte ich schwören können ... Wissen Sie, Irina und ich sind alte Freunde, genauer gesagt, sie hat mal für mich gearbeitet, sich dann aber aus dem Staub gemacht, einfach so, und nun schuldet sie noch etwas. Und da ich Geschäftsmann bin, kann ich mir so etwas nicht leisten, wenn Sie verstehen.“ Wieder hatte er sehr laut und mit Nachdruck gesprochen, so dass sich eine Nachbartür einen Spalt weit auftat und einen Horcher verriet. Man merkte, wie unangenehm das der Frau war, die ihn hochrot mit einem Ausdruck ängstlicher Verwunderung anstarrte.

      Jetzt aber geschah etwas Unerwartetes. Kurtchen knickte plötzlich ein, ohne dass diese Frau auch nur eine Silbe gesagt hatte. „Aber vielleicht haben Sie recht“, fuhr er verhalten fort und senkte betreten die Augen. „Es wohnen ja so viele Leute hier. Da kann man sich schon mal irren ... Sollten Sie sie aber dennoch antreffen, richten sie ihr einen schönen Gruß von Kurtchen aus; sie weiß dann schon Bescheid.“

      Kaum war das ausgesprochen, schlug sie auch schon die Tür vor uns zu. Ich verstand das nicht, vor allem Kurtchens Gleichmut Dabei hätte ich schwören können, dass er jetzt tobt. Doch er schaute nur kurz auf die Uhr und bedeutete mir, ihm zu folgen.

      Schweigend gingen wir hinunter, querten den Hof und begaben uns zum Auto. Doch kaum eingestiegen, kam auch schon die Frau herbeigelaufen und übergab ihm einen Briefumschlag, oder besser, schleuderte ihn ihm entgegen.

      Wieder blieb Kurtchen ruhig und überzeugte sich vom Inhalt. Wie groß mein Erstaunen, als er tatsächlich fünf Blaue in den Händen hielt und seelenruhig einsteckte. Dann startete er den Motor. Als er aber losfahren wollte, schlug die Frau noch mit der flachen Hand auf die Motorhaube und kreischte etwas in der Art, wir sollten uns hier nicht noch mal blicken lassen, sonst riefe sie die Polizei. Kurtchen lachte nur, zeigte ihr den Finger und brauste los.

      Ich war begeistert, zumal ich so etwas noch nie erlebt hatte.

      Bereits am nächsten Tag fuhr er mich zu meiner ersten Adresse. Auf dem Weg instruierte er mich noch einmal eindringlich, zog nervös an seiner Zigarillo und schaute fortwährend auf die Uhr schaute. Gerade beim ersten Mal sollte man die Kundenwünsche unbedingt respektieren, mahnte er, und seien sie auch noch so absurd; keine Abstriche hingehen gebe es beim Geld. „Unter Zweihundert läuft nichts, hörst du? und das Geld auf keinen Fall fordern. Sie werden es dir geben, wenn es so weit ist, diskret und wortlos. Und du wirst dir nichts anmerken lassen, klar? Es muss professionell geschehen, das ist wichtig ... Ach, jetzt guck nicht so dumm und nimm endlich die Zitrone aus dem Mund, so schlimm wird’s schon nicht; wirst ne Menge Jux haben und dafür auch noch bezahlt ... Also zeig, was du drauf hast, und denke daran, was ich gesagt habe: Mach sie zufrieden, denn Zufriedenheit ist dein Kapital. Nur so bekommst du Referenzen und die brauchen wir ... So, da ist es und denke daran, 200 Mäuse. Ich hole dich hier nachher wieder ab.“

      Es war eines der üblichen viergeschossigen Mietshäusern, keine gute Gegend also. Der Hausflur war duster und unsauber und die meisten Briefkästen zerbeult. Als ich das Haus betrat, klopfte mir das Herz bis zum Halse. Es roch muffig nach Staub und alten Lumpen. Die Wohnung solle sich im Quergebäude befinden und die Aufschrift ‘Joyride event‘ tragen. Das hatte mir Kurtchen aufgeschrieben, damit ich es nicht vergesse. Nun stieg ich mit diesem Zettel in der Hand die Treppe hinauf, allein darauf bedacht, diese Tür nicht zu verfehlen. Im vierten OG wurde ich fündig. Es war eine grünlackierte Holztür mit Plastikschild. Ich sah mich noch einmal um, und da alles ruhig war, nahm ich allen Mut zusammen und straffte meine Haltung. Doch gerade als ich läuten wollte, trat gegenüber ein älterer Mann aus einer Wohnung und guckte mich ganz groß an. Ich wurde verlegen, wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Nicht mal seinen Tagesgruß konnte ich erwidern, so perplex war ich. Doch der grinste nur still und ging amüsiert nach unten.

      Ich schaute ihm noch nach, besann mich aber und sah erneut auf den Zettel. Zweifellos war ich richtig. Zaghaft lauschte ich. Plötzlich war mir, als hörte ich etwas. Doch kaum hatte ich mich versehen, sprang die Tür auf, und ich wurde in die Wohnung gezogen. Drinnen herrschte Dunkelheit. Ich war so perplex, dass ich mich nicht zu rühren wagte. Zunächst konnte nichts erkennen, bis auf einen Lichtspalt, wodurch ein Gesicht huschte. Es gehörte einer Frau, die mich mit erhobenem Finger zur Stille mahnte.

      Nachdem sie sich durch nochmaliges Horchen überzeugt hatte, dass alles ruhig blieb, fasste sie mich am Ärmel und führte mich in ein helles Zimmer. Hier wartete eine weitere Frau, auf einem Hocker, die mich sofort überaus unangenehm anstarrte. Sie mochte um die vierzig sein, war dürr wie ein Span, hatte einen wasserstoffblonden Bürstenhaarschnitt und ein linkisches Spitzmausgesicht. Ihre Augen waren von auffallender Starrheit. Zudem erschien sie sehr flippig, hingegen die andere, welche mich herein geführt hatte, gesetzter und ruhiger wirkte. Diese mochte an die fünfzig sein, verhärmt, mit leicht vorstehenden Zähnen und tiefen Furchen um den Mund. Ihr Gesicht war irgendwie rot und weiß geschminkt, und das zum Knoten aufgesteckte Haar machte sie noch älter. Beide trugen farbverschmierte Kittel und sprachen zunächst kein Wort. Das Zimmer war unaufgeräumt und mit allerlei Kram vorgestellt. Überall standen Farbtöpfe, aus einem Regal quollen Papierrollen und vor dem Fenster stand eine große Staffelei.

      „Ja, schauen Sie nur“, begann die Ältere schließlich, die sich noch immer nicht beruhigt hatte.