Martin Francis Forster

O Samael


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      Nach einem kurzen Wortwechsel, Nele hatte zu uns rüber geschaut, winkte Martha Katharina und mich heran.

      Katharina zögerte und warf mir hilfesuchend einen Blick zu. Ich versuchte zu lächeln, fasste ihre Hand fester und zog sie mit, bevor sie es sich anders überlegen konnte und womöglich gar davonlief und sich verirrte.

      Die Wurzel-Nele begutachtete uns eindringlich, mich länger als Katharina. Welche Gedanken ihr durch den Kopf gingen, war an ihrer Miene nicht abzulesen.

      »Du kommst mit rein. Und du bleibst hier draußen!«

      Das zweite Du galt mir.

      Martha schob Katharina durch die Tür, doch das Mädchen sträubte sich, ließ meine Hand nicht los und sagte: »Er kommt mit, oder ich ...«

      Sie brach ab. Es fiel ihr keine passende Drohung ein, denn schließlich war sie es, die als Bittstellerin gekommen war, und somit kein Recht hatte, Forderungen zu stellen. Aber Nele hatte ein Einsehen und nickte.

      »Nun gut«, räumte sie zögernd ein. Etwas Heiseres lag in ihrer Stimme.

      Wir betraten die Hütte. Ein Tisch, zwei Stühle, ein Schrank, eine Bettstätte. Eine Schale mit Hasel- und Walnüssen, daneben ein Krug voll Wasser, ein einzelner Becher. Über der Feuerstelle hing ein Kessel. Zwei Öllampen erhellten den Raum, der insgesamt größer wirkte, als man von außen vermuten mochte. Es war angenehm warm, und der würzige Geruch von Tannen­zapfen hing in der Luft.

      An den Wänden zogen sich Regale entlang; jedes freie, noch so winziges Fleckchen wurde ausgenutzt. Blechbüchsen und Tontöpfchen wohin man blickte. Abgedeckte Krüge und verschlossene Dosen wechselten sich ab mit Holztiegeln und Schatullen aus Horn. Alles war unbeschriftet, keins der Gefäße trug ein Etikett, und ich wunderte mich, wie die Wurzel-Nele den Überblick behalten konnte.

      Unter der Decke spannten sich mehrere Reihen Kordel, an denen bündelweise Kräuter zum Trocknen hingen. Petersilie, Salbei, Rosmarin, Thymian ... Nur die Wenigsten kannte ich.

      Das Seltsamste, und zugleich das wahrscheinlich Wertvollste, das ich entdeckte, war wohl der bauchige Glaskolben mit den zwei unterschiedlich gekrümmten Ausgüssen, der auf einem metallenem Dreifuß ruhte.

      Machte das Wirrwarr auch einen unüberschaubaren Eindruck auf mich, so war doch alles sauber und rein und mochte seine eigene Ordnung haben.

      Nele schwieg und wartete. Das Feuer knisterte leise.

      Das Schweigen zog sich, bis Martha anhub, etwas zu sagen.

      »Sie ... sie ist ...«

      »Ich weiß, warum das Mädchen hier ist. Die Männer haben in der Regel nur einen Grund, aus dem sie zu mir kommen. Sie möchten, dass ihnen der Knüppel wieder aus dem Sack springt.

      Die Frauen bieten da mehr Auswahl: entweder trauen sie sich hier heraus, weil sie keine Kinder bekommen. Oder eben, weil sie eins bekommen. Und du ...« sie nickte Katharina zu, »gehörst ganz sicher nicht zu Ersteren.«

      Immerhin konnte die Nele eins und eins zusammen zählen, musste ich zugeben.

      Martha kicherte, fing sich aber sofort wieder.

      »Wie weit bist du denn?«

      Katharina antwortete mit einem Schulterzucken und wurde feuerrot vor Scham.

      »Erbrichst du dich am Morgen?«

      »Nein.«

      »Keine Übelkeit, Kopfschmerzen? Oder Schwindel?«

      »Ich habe Appetit.«

      »Ja, das ist für gewöhnlich so.« Der Hauch eines Lächelns huschte über das Gesicht der Kräuterfrau. Dann fasste sie mit der Rechten in Katharinas Rücken und strich mit der linken Hand leicht drückend über den Bauch des Mädchens.

      »Ohne Zweifel noch sehr früh. Du hast Glück. Die Chancen stehen gut, dass du später noch Kinder in die Welt wirst setzen können. Also nimm dich in Zukunft in Acht.«

      Sie nahm einen Tritt aus der Ecke (mir fiel die sorgfältige Arbeit auf, mit der er getischlert war), stieg darauf und zog aus einem Bund Grünzeug ein paar Stengel heraus; Beifuss, wie ich vermutete. Wortlos warf sie das Kraut in den Kessel. Sie legte einen neuen Scheit auf das Feuer, dann griff sie abermals gezielt nach verschiedenen Tiegeln und Döschen, die sie öffnete und sich kurz unter die Nase hielt, bevor sie ihnen mit erfahrener Hand die gewünschte Dosis an Pulver oder Extrakt entnahm.

      Als die Brühe über dem Feuer zu köcheln begann, stieg ein unangenehmer Geruch auf. Das Gemisch roch säuerlich nach vergorener Milch und bitter wie Galle; der Magen wollte sich mir umdrehen.

      Unbeeindruckt von dem Gestank rührte Nele den Sud mit einem Holzlöffel um und ließ ihn einige Minuten lang einkochen. Schließlich gab sie den Abrieb einer schwarzen Nuss dazu, dann schien sie fertig zu sein.

      Ich war froh, als sie den Kessel endlich zur Seite schwenkte und seinen Inhalt durch einen Trichter in ein braunes Fläschchen umfüllte. Sie verschloss die Flasche sorgfältig mit einem Pfropfen aus Holz und legte ein Stück Leinen darüber, dass sie mit einer Schnurr verknotete.

      »Hier. Aber Vorsicht!« Sie hielt Katharina das noch heiße Gebräu hin. »Trink das heute Abend nach dem Essen. Morgen in der Früh wirst du schlimme Schmerzen in den Eingeweiden verspüren und dich mehrmals auf dem Abort erleichtern müssen. Danach ist es vorbei.«

      Katharina warf mir einen kurzen, ängstlichen Blick zu. Mit einem Zögern nahm sie das Fläschchen an sich.

      »Was bekommst du dafür?«, frug ich.

      »Ist schon recht. Und jetzt geht!«

      Ich war überrascht, dass die Nele für ihre Dienste keine Entlohnung verlangte, wollte dieser rätselhaften Frau jedoch nichts schuldig bleiben und wiederholte meine Frage nach dem Preis.

      »Alles hat seinen Preis. Und alles hat seine Zeit. Du brauchst nicht drängen. Der Moment wird kommen«, war ihre Antwort.

      »Wir sollten uns beeilen«, drängte Martha nun.

      Also bedankten wir uns, traten hinaus in die Kälte und machten uns auf den Heimweg.

      Wir waren schon ein paar Schritte gelaufen, Martha und Katharina vor mir, als ich noch einmal zur Hütte zurückblickte.

      Nele stand auf der Schwelle, reglos.

      Ich dachte, sie sähe uns nach, doch das tat sie nicht. Sie hatte die Augen geschlossen, die Lider zuckten. Ihr Gesicht war bleich, und in ihren Zügen lag ein gequälter Ausdruck.

      Ich sah Schrecken, sah, wie ihre Lippen sich bewegten und unter Schmerzen Worte formten, sie gleichsam unter dem Druck von Wehen gebaren. Was sie sagte, hörte ich kaum; vielmehr war es, als trüge die eisige Luft die Worte direkt in mein Innerstes.

      »Eins hat er. Eins verliert er. Und eins wird ihn töten.«

      Ich wandte mich verstört von dem Bild ab und beeilte mich, die beiden Mädchen einzuholen.

      Als ich im Morgengrauen des nächsten Tages erwachte, hatte Katharina das Kind bereits verloren.

      *

       VI

       Montag, 16. Mai 1881

      Der Barbier merkt, dass ich nicht zu Gesprächen aufgelegt

      bin und hält sich bedeckt. Doch heute sitzt einer von Georgs ­Brüdern (ich weiß nicht welcher, denn ich kann sie nur schwer auseinander halten) neben mir auf dem Rasierstuhl und fängt eine Unterhaltung an. Er spricht über das Wetter, über Politik, gibt ein wenig Dorftratsch von sich. Als ihm kein Thema mehr einfällt, über das er sich auslassen kann, erkundigt er sich nach meiner Frau. Wie es ihr gehe, fragt er. Ob es Besserung ­gäbe, möchte er wissen.

      Ich bedanke mich kurz angebunden für die freundliche Nachfrage, doch er versteht nicht, dass ich meine Ruhe haben möchte, und