Martin Francis Forster

O Samael


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Lehrling und mich. Ein weiteres Paar fleißige Hände kann nicht schaden.«

      »Na, das höre ich gerne«, freute sich der Neue.

      »Also! Dann sollten wir nicht lang reden. Ich will dich gerne für ein Jahr bei mir aufnehmen.«

      Meister und Geselle stellten sich einander vor. Die Bedingungen waren schnell ausgehandelt, und wie ich es vor mehr als drei Jahren schon einmal gesehen hatte, spuckte Meister Esau jetzt in seine Handfläche. Der Wandergeselle tat es ihm nach und hielt die Hand hin.

      »Es gilt.«

      Sie schlugen ein, und der Vertrag war besiegelt.

      Als der Meister vor ihm die Werkstatt betrat, drehte der Geselle sich um und zwinkerte mir zu.

      Ich stand allein auf dem Hof. Mein Herz wollte nicht aufhören zu klopfen.

      Ich war sechzehn und nicht dumm. Die letzten Reste meiner jugendlichen Naivität hatte ich im Wald zurück gelassen, an jenem Tag, als wir mit Neles Hilfe das Ungeborene abtrieben.

      Als ich vor der Werkstatt auf dem Rücken im Staub lag, Sebastian auf mir, einen winzigen Augenblick länger als nötig, als sein Körper sich mit all seiner Männlichkeit an meinen drückte, wusste ich instinktiv, dass hinter der eigentlichen Berührung etwas Fremdes lauerte, etwas Neues. Etwas Wildes und Verbotenes, das fernab meiner Träume und jenseits der Nächte mit Katharina zu suchen war. Etwas, dass mir gleicher­maßen die Scham ins Gesicht trieb ...

      Und, ja, das Blut in die Lenden.

      Das Offensichtliche schien jeder zu sehen, nur ich selber war blind. Er vielleicht auch.

      Wir waren uns sehr ähnlich. Nicht nur äußerlich hätten wir Brüder sein können. Im Geiste waren wir es vielleicht sogar. Unsere Gedanken schienen oft dieselben zu sein. Wenn Sebastian mich während der Arbeit ansah, wusste ich genau, was ihm durch den Kopf ging. Ein Lächeln, ein Blick, ein leichtes Nicken genügten, und ich spürte, was er meinte oder wollte. Wir verstanden einander wortlos.

      Er, der Geselle, der vier Jahre älter war als ich, wurde mir bald zum Vorbild. Ich lernte von ihm, sah und hörte ihm zu, und mehr als dem Meister je zuvor, eiferte ich ihm nach.

      Sein Können, sein Geschick, seine Perfektion bei der Arbeit bewunderte ich grenzenlos. Ihn selbst bewunderte ich. Seine Hände (mir fiel auf, dass sie im Gegensatz zu denen des Meister weder rissig noch rau waren) packten das Werkzeug fest und das Holz mit liebevollem Respekt. Unter seinen Fingern entstanden Kleinode der Tischlereikunst, Preziosen des Handwerks. Was er begann, führte er zielstrebig zu Ende. Was der Meister ihm auftrug, erledigte er, wollte mir scheinen, zweimal schneller und dreimal besser als verlangt.

      Das Bemerkenswerte daran war, dass Sebastian eigentlich kein Schreiner, sondern Zimmermannsgeselle war. Doch ob Dachstuhl, Radspeichen, Fensterrahmen oder Schmuckschatulle: alles, was er fertigte oder ausbesserte, war makellos und von bemerkenswerter Vollkommenheit – gerade so, wie er selbst es in meinen Augen war.

      Ich brauchte seine Nähe nicht zu suchen. Sebastian war immer dort, wo ich war. In der Werkstatt ohnehin. Bei Tisch saß er neben mir. Und schlafen tat er in meinem Zimmer, in meinem Bett. Nur eine Handbreit Matratze trennte uns des Nachts.

      Ich wurde es nicht müde, seinen Geschichten zu lauschen, die er vor dem Einschlafen erzählte, bekam nie genug von den Anekdoten über seinen kauzigen Meister und den tollpatschigen Altgesellen.

      Er erzählte von Zuhause, von seinem Vater, einem Dachdecker, der früh verwitwet war, von der Tante, bei der er aufgewachsen war, und von der klugen Hündin, die ihm einmal im Winter, als er im Wald auf Wölfe, die sich nah an die Stadt getraut hatten, gestoßen war, das Leben rettete, und die ihn jahrein, jahraus jeden Tag vom väterlichen Hof zur Zimmerei begleitet und abends wieder pünktlich abgeholt hatte. Oh, ich wünschte mir einen Hund!

      Er beschrieb seine Heimatstadt Münster, mit der Lambertikirche und ihren mahnenden Körben aus Eisen, die breiten Straßen und den Prinzipalmarkt so lebendig, dass mir bald war, als wäre ich selbst dort gewesen, wäre unter den Bogengängen gelaufen und hätte vor dem Rathaus gestanden und zum Giebel empor geblickt.

      »Du solltest einmal hören, wie laut es zugeht, wenn Pferdemarkt ist! So was hast noch nicht erlebt. Die ganze Stadt ist ­voller Bauern und Kaufleute, und an den Marktständen gibt es die unglaublichsten Dinge zu sehen«, meinte er.

      So begannen die Bilder, die in meinem Kopf entstanden, langsam meine Neugier auf die Welt zu wecken. Eine erste Ahnung von Fernweh und Reiselust erwachte in mir, und ich träumte von neuen Orten und fremden Städten, malte mir das geschäftige Treiben in Münster, Kassel und Frankfurt aus und stellte mir vor, wie es wäre, selbst auf Wanderschaft zu gehen.

      Alle zwei bis drei Wochen, wenn die Frauen nach dem Essen die Küche aufräumten, setzte Sebastian sich an den Tisch und schrieb einen Brief an seinen Vater. Ich saß ihm dann meistens gegenüber, beobachtete bewundernd, wie er die Schreibfeder in die Tinte tauchte und sie dann ebenso schwungvoll wie bedachtsam über das Papier zog und lachte mit ihm, wenn die Tinte aller Vorsicht zum Trotz kleckste.

      »Dein Vater schreibt dir nie zurück«, überlegte ich eines Abends laut.

      Er blickte auf. »Weil er kaum schreiben kann, deshalb. Immerhin kann er ­lesen. Mehr schlecht als recht zwar, aber wenn ich sauber und ordentlich schreibe, kann er meine Briefe ganz gut entziffern. Und wenn ich auch selber keine Post bekomme, weiß ich doch, dass er sich freut zu hören, dass es mir gut geht.« Dabei lächelte er mich an und schob das Blatt Papier zu mir über den Tisch.

      »Hier. Schreib etwas drunter!«, forderte er mich auf.

      »Ich? Was soll ich denn schreiben?«, wehrte ich ab.

      »Na, dass ihr hier überaus froh seid, einen so fleißigen Gesellen bekommen zu haben, der euch mit seinem sagenhaften Geschick begeistert und den ihr nie wieder missen wollt. Was sonst?«, lachte er.

      »Spinner«, sagte ich, doch dann schrieb ich unbeholfen einen kurzen Gruß unter den Brief und unterschrieb mit meinem ­Namen.

      Wie immer begleitete ich ihn Tags darauf ins Dorf, als er nach der Arbeit den Brief zur Poststelle brachte. Die Männer unterwegs grüßten ihn, die Frauen lächelten, und die Mädchen kicherten und steckten eilig die Köpfe zusammen.

      »Die Leute mögen dich«, sagte ich auf dem Rückweg. Die Sonne stand schon tief, und die Luft war mild.

      Sebastian riss im Vorbeigehen einen Halm ab und kaute darauf herum. Vor uns stoben ein paar aufgeschreckte Saatkrähen auseinander.

      »Natürlich tun sie das. Ich mag sie ja auch.«

      »Aber du kennst sie doch gar nicht!«

      »Deswegen darf ich sie doch trotzdem mögen, oder? Wenn ich sie dann kennen lerne, kann ich meine Meinung immer noch ändern – falls jemand es nicht verdient haben sollte, von mir gemocht zu werden«, hielt er schmunzelnd dagegen.

      »Pah!«, sagte ich bloß.

      »Und du? Magst du die Leute?«, wollte er wissen.

      Ich dachte einen Moment lang nach und zuckte dann mit den Schultern. »Ich glaube, sie sind mir egal«, sagte ich.

      »Wirklich? Schlechte Einstellung.«

      »Ist halt so«, antwortete ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

      Er lachte wieder: »Aber mich magst du doch?«

      »Hm ... weiß nicht.«

      »Tja, ich für meinen Teil mag dich genauso wenig.« Dabei knuffte er mich scherzhaft in die Seite und fegte mir mit einem Klaps meine Schirmmütze vom Kopf.

      »He!«, rief ich und schubste ihn.

      »Na warte, Frechdachs!«

      »Blödian.«

      Mit einem Male rangelten und balgten wir uns; ein Hieb gab den anderen und schon bald rollten wir durch das hohe Gras. Ich schrie laut auf, als er mir in die Seite kniff und mich gleichzeitig kitzelte. Ich