Martin Francis Forster

O Samael


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Mücken fangen und lachte mich aus. Im nächsten Moment lag ich unter ihm; mit einer schnellen Drehung hatte er mich überrumpelt. Er kam auf mir zu sitzen und drückte meine Arme fest auf den Boden. Ich war wehrlos.

      »Los, sag, dass du mich magst!«, forderte er.

      »Nein!«

      »Ich weiß, dass du mich magst.«

      »Tu ich nicht.«

      Die Wut über die Niederlage machte mich trotzig, und ich versuchte, mich freizukämpfen. Ich bekam einen Arm frei, zerrte an seinem Hemd, krallte mich in den weißen, festen Stoff und wollte Sebastian zur Seite ziehen. Vergeblich, denn er schlug meine Hand fort und packte nur noch fester zu.

      »Komm schon. Sag es!«

      »Niemals.« Ich keuchte.

      Er verlagerte sein Gewicht weiter nach vorne, und mir blieb die Luft weg.

      »Lügner.« Er flüsterte es.

      Sekunden verstrichen. Hinter seinem Gesicht trieb der Westwind ein paar einsame Schafswolken über das Abendrot. Ganz in der Nähe begannen Heuschrecken ihren nächtlichen Kanon zu zirpen.

      »Ich kann es sehen.« Dann, blitzschnell, küsste er mich auf den Mund.

      Und sprang auf.

      »Wer schneller ist!«, rief er und spurtete los.

      Eine erschrockene Weile lang war ich wie starr. Meine rechte Hand hielt ich zur Faust geballt. Als ich sie schließlich öffnete, lag ein schimmernder Knopf von seinem Hemd darin. Ich hob meine Mütze vom Weg auf und rannte ihm hinterher. Erst vor der Schreinerei holte ich ihn ein; schmutzig, verschwitzt und atemlos.

      Jene Wildheit, die ich vor wenigen Wochen schon einmal hatte erahnen können und die mir so fremd und so ungeheuerlich vorgekommen war, hatte durch den flüchtigen, rauen Kuss eines Mannes ein Geheimnis aus den Tiefen meiner Träume an die Oberfläche gezerrt. Ein Geheimnis, das es von nun an zu hüten galt.

      An diesem Abend mochte ich Sebastian nicht mehr ansehen und ging ihm aus dem Weg, was unnötig war, denn er schien mich ebenfalls zu meiden.

      Ich war verwirrt. Ich spürte Scham und gleichzeitig schäumte eine Freude in mir, die meine Gedanken – Verlegenheit hin oder her – um nichts anderes kreisen ließ als diesen einen Kuss, der mir, als ich rücklings im Gras lag, ohne jede Vorwarnung aufgezwungen worden war, und den ich doch bereitwillig ­­angenommen hatte. Gerade so, als ich hätte ich mein Leben lang ­darauf gewartet.

      Sebastian ...

      Als ich zu Bett ging, blieb der Platz neben mir leer. Den Knopf aus Perlmutt legte ich unter mein Kissen.

      Gedankenschwer drehte ich mich von einer Seite auf die andere, hoffte auf Schlaf, doch Sebastians Gesicht folgte mir und ließ mich nicht zur ­Ruhe kommen. In seinem Blick hatte ich etwas Verborgenes entdeckt, hatte etwas gefunden, das ich noch bei keinem anderen Menschen zuvor gesehen hatte.

      Lange lag ich wach.

      *

       VIII

      Am nächsten Morgen war die Welt eine andere geworden; für mich wie auch für ihn. Wir versuchten erst gar nicht, so zu tun, als wäre nichts geschehen.

      Sebastian hatte sich in einer Ecke der Werkstatt ein Nachtlager aus Decken gerichtet. Doch ebenso wie ich, hatte auch er offensichtlich keinen Schlaf gefunden; tiefblaue Schatten lagen unter seinen Augen, und übernächtigte Blässe hatte das sonst so frische Rot seiner Wangen verdrängt.

      Über Nacht hatte Regen eingesetzt. Dicke Tropfen prasselten gegen die Scheiben, und trübes Licht sickerte träge in die Werkstatt. Der Herbst schickte seine windigen Boten voraus. Der Meister hatte es sich in letzter Zeit zur Gewohnheit gemacht, morgens ein wenig länger im Bett liegen zu bleiben, und so waren wir zwei, Sebastian und ich, zu dieser frühen Stunde unter uns.

      Etwas berührte meine Seele, als ich ihn übermüdet an der Hobelbank hantieren sah. Er spannte umständlich ein Tischbein in die Drehbank, die Lippen vor Konzentration fest aufeinander gepresst. Ich blieb stehen.

      Als ich – verwundert über mich selbst – seine kräftigen Schultern und die sehnigen Arme betrachtete, nahm in mir ein Wunsch seine irrlichternde Gestallt an, der, und ich schwöre es, nicht von körperlicher Natur war. Alles, was ich mir in diesem Moment wünschte, war, dass Sebastian für immer in meiner Nähe­ sein möge. Ich atmete tief ein und wieder aus.

      Als er mich bemerkte, sah er mich beschämt an. Nach einer Weile nickte er langsam.

      »Du bist wütend«, stellte er fest.

      Ja, das war ich. Aber nicht auf ihn. Wie hätte ich wütend auf ihn sein können? Wie sollte ich zugeben, dass genau das passiert war, von dem ich nicht gewusst hatte, dass ich es mir insgeheim gewünscht hatte? Also schwieg ich.

      »Kann ich verstehen. Das war dumm von mir.« Und dann, nach einer Pause, sagte er: »Es tut mir leid.«

      Das Tischbein rutschte aus den Spannbacken und krachte dumpf auf den Boden.

      Ich hob es auf, reichte es ihm, und als er es fasste, hielten wir beide das Stück Holz für einen Augenblick fest.

      Mehr brauchte es nicht, um das stille Einverständnis zwischen uns wieder herzustellen. Eine Zeit lang standen wir einfach nur da, unschlüssig schwankend in dieser Mischung aus Verlegenheit, Erleichterung und Hochgefühl. Etwas brannte mir auf der Zunge, eine Gewissheit fand ihren Weg, doch der Moment verstrich, ohne dass mir ein Geständnis über die Lippen kommen wollte.

      »Du siehst aus wie ein Haufen Katzenscheiße«, grinste er schließlich.

      »Na, das sagt gerade der Richtige. Hast du schon in den Spiegel geschaut?«, gab ich zurück.

      Der Regen ließ nach, warmgolden brach die Morgensonne durch die Fenster.

      Meister Esau polterte in die Werkstatt und schmetterte uns gut gelaunt »Männer, ans Werk!« entgegen.

      Die folgenden Wochen verflogen. Nie wieder habe ich soviel gelacht wie zu jener Zeit. Wir waren mit Eifer bei der Arbeit, waren flink und trieben manchmal sogar unsere Späße mit dem Meister, wenn uns der Schalk im Nacken saß. Doch er war überaus zufrieden mit dem, was wir leisteten, und natürlich war er froh über das Geld, das mit den neuen Aufträgen reichlich in die Kasse floss, und schüttelte daher nachsichtig den Kopf und ließ uns gewähren.

      Abends hatten wir einen Bärenhunger, und nach dem Essen zog es uns hinaus ins Freie. Wir strichen durch die Felder, wanderten durch den Wald oder setzten uns ans Ufer des nahen Sees. Wir redeten oder schwiegen und waren uns selbst genug. Wir brauchten keine Gesellschaft, außer die des anderen. Nachts legte er seinen Arm um mich. Er grub seine Nase in meinen Nacken, und morgens erwachten wir in der gleichen Stellung, in der wir eingeschlafen waren.

      Wie und wo er das Tier aufgelesen hatte, konnte ich nicht sagen. Aber eines Abends war Sebastian für eine gute Stunde verschwunden, und als er wiederkam, trug er diesen rotbraunen Welpen auf dem Arm.

      »Sollte ersäuft werden, unsere kleine Schönheit. Eine Schande, sage ich«, war die knappe Erklärung, die er abgab.

      Meister Esau hatte zunächst Vorbehalte und verlangte, dass Sebastian die Hündin zurückbrachte. Als er jedoch sah, wie verliebt seine Töchter das Tier streichelten und liebkosten, hatte er ein Einsehen und gab nach.

      »Nun ja. Ein ordentlicher Hofhund kann nicht schaden«, brummte er, und damit war die Sache abgetan.

      Wir tauften die Hündin, augenscheinlich eine Mischung aus Bardino und anderen, nicht näher erkennbaren Rassen, auf den Namen Henriette (ein Vorschlag, der von Ida kam – ihre Lieblingspuppe, deren Haar die gleiche Farbe hatte wie das Fell des Welpen, hieß ebenso), doch schon bald riefen wir sie nur noch Henni.

      Henni war als Geschenk an mich gedacht gewesen, aber alle im Haus, selbst Meister Esau, schlossen sie binnen kürzester Zeit ins Herz. Die Hündin wiederum