Volker Schmitz

MITTELSCHICHT FÜR ALLE


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Prozent weniger Erwerbstätige. Durch diese Mischung aus Produktivitätszuwachs und Arbeitsplatzverlust steigt das Volkseinkommen nicht viel schneller als heute, durchschnittlich um zirka 1,3 Prozent jährlich. Was in 50 Jahren ein Plus von 90 Prozent ergibt. Es steht also deutlich mehr zum Verteilen bereit, über zwei Billionen Euro zusätzlich. Doch 2068 sind bereits 21 Millionen potenziell Erwerbstätige aus der hochproduktiven Wirtschaft ausgeschieden. Als Arbeitslose erhalten sie kein Stück vom Kuchen mehr, den teilen weitgehend die Unternehmen und die restlichen 16 Millionen Beschäftigten unter sich auf. Die sind zwar nur mit 50 Prozent am Produktivitätsfortschritt beteiligt, doch auch das ist für sie ein gutes Geschäft. Durchschnittlich beträgt ihr Entgelt 140 Prozent mehr als heute. Die Unternehmen und diejenigen, die Vermögen besitzen, profitieren jedoch am stärksten. Sie streichen 2068 rund zwei Drittel des Volkseinkommens ein, weil die Unternehmensgewinne und Vermögenseinkommen förmlich auf über das Fünffache explodieren. Wieviel Arbeit Roboter und künstliche Intelligenz zu diesem Zeitpunkt übernommen haben, zeigt ein Blick auf die jährlich geleisteten Arbeitsstunden: Sie sind von 61 auf 22 Milliarden gefallen.7 Wollte man die Arbeit gleichmäßig auf die Erwerbsbevölkerung verteilen, würden alle nur noch etwa 13 Stunden pro Woche arbeiten.

      Das digitale Wirtschaftswunder führt nicht dazu, dass die Gesamtwirtschaft stark wächst, sondern dass die Arbeitszeit massiv schrumpft. Das Ergebnis: eine gespaltene Gesellschaft. Die obersten 20 Prozent in der Einkommenshierarchie, die schon heute, prozentual gesehen, den größten Anteil vom Volkseinkommen für sich beanspruchen, teilen in 50 Jahren auch noch den gesamten Zuwachs unter sich auf. Das Volkseinkommen ist dann auf gewaltige 4,8 Milliarden Euro gestiegen, allein 4,1 Milliarden davon fließen an sie. Die restlichen 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung, meist ohne Arbeit, partizipieren nur marginal, ihnen bleiben rund 700 Milliarden Euro. Ein Teil der Jüngeren versucht sich mit Teilzeittätigkeiten außerhalb der hochproduktiven Wirtschaft über Wasser zu halten. Doch ohne die für den digitalen Arbeitsmarkt relevanten Qualifikationen ist ihr Einkommen gering und erhöht das Volkseinkommen nur um wenige Prozentpunkte. Manche zehren noch von Vermögenseinkünften aus Immobilien oder Ersparnissen aus früheren Zeiten, alle anderen, die nicht zu den Familien der hochproduktiv Tätigen gehören, müssen vom Sozialstaat leben, von Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Solidareinkommen, Grundsicherung, Grundeinkommen oder Grundrente – wie immer es in 50 Jahren in Deutschland heißen mag. Doch dieser Sozialstaat wird sich ganz anders finanzieren als heute. Sein aktueller Kern, die beitragsfinanzierte Rente und Krankenversicherung, ist ebenso verschwunden wie die ehemalige gut verdienende Mittelschicht. Sie, oder genau genommen ihre Kinder und Enkelkinder, können keine Beiträge für die Altersvorsorge mehr einzahlen, so dass sie im Alter weiter auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Für die Krankenversicherung gilt das Gleiche, auch sie muss der Staat übernehmen.

      Die einkommenslosen Massen werden über die Steuern von denen finanziert, die noch über Erwerbseinkommen verfügen, und aus den Unternehmensgewinnen und Vermögenseinkommen. Nur dreht es sich in 50 Jahren nicht mehr um neun Millionen unterstützungsbedürftige Menschen wie heute, sondern um den überwiegenden Teil der deutschen Bevölkerung. Das Sozialbudget muss also gewaltig steigen. Das Gute an der Digitalisierung, sollte sie so eintreten wie in diesem Szenario, ist: Geld wäre ausreichend vorhanden. Angenommen, alle Erwachsenen8, ob mit Arbeit oder ohne, ob Vermögenseinkünfte oder keine, erhalten pro Kopf eine monatliche Zahlung vom Staat in Höhe von 1.800 Euro, jedes Kind 700 Euro – kostenlose Krankenversorgung inklusive. Für Rentnerinnen und Rentner gilt dasselbe. Die wirtschaftliche Mittelschicht, eben noch totgesagt, lebt wieder auf. Und nicht nur das. Die früher schlechter gestellten Einkommensgruppen schließen zu ihr auf. Mit diesen Zahlungen verfügt praktisch jeder deutsche Haushalt in 50 Jahren über ein Einkommen, das sich mindestens auf dem Niveau der heutigen Mittelschicht bewegt. Und das ohne Arbeit. Die Mittelschicht ist nicht verschwunden, sondern breiter geworden, rund 80 Prozent zählen nun zu ihr. Und sie ist in sich ökonomisch ausgeglichener geworden.

      De facto könnte es unseren Kindern und Enkelkindern wirtschaftlich besser gehen als heute. Auch ohne Arbeit leben sie auf heutigem Mittelschichtniveau. Mit guter Arbeit verdienen sie durchschnittlich deutlich besser als die heutigen oberen 20 Prozent der Einkommenshierarchie. Damit dies eintreten kann, muss die Steuerquote steigen. Die Unternehmen und diejenigen, die noch eine gut bezahlte Beschäftigung und Vermögenseinkünfte haben, müssen höher besteuert werden, ohne dass sie das Land verlassen, weil allein die Zahlungen für diejenigen, die nicht arbeiten, rund 1,1 Billionen Euro im Jahr kosten, zuzüglich Krankenversicherung und übriger Staatsausgaben. Doch von den 4,1 Billionen Euro, die die Digitalisierungselite in unserem Szenario vom Volkseinkommen erhält, bleibt ihr nach Abzug aller Steuern deutlich mehr als den heutigen oberen 20 Prozent. Damit stehen wir wieder vor dem tatsächlichen Kernproblem des zukünftigen digitalen Sozialstaats mit hoher Arbeitslosigkeit: Es ist nicht die demografische Entwicklung und die längere Lebensarbeitszeit, nicht die kleinteilige Verschiebung von Sozialbeiträgen zwischen Alt und Jung, Unternehmen und Beschäftigten – es ist die Auseinandersetzung zwischen den erwerbslosen Massen und der sehr gut verdienenden Restbevölkerung darüber, wem die Gewinne des digitalen Wirtschaftswunders zustehen. In den nächsten Kapiteln betrachten wir die Fronten und mögliche Lösungen in diesem Verteilungskampf.

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