Gunter Preuß

Julia


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deine saubere Freundin angelt dir deinen Werner noch vor der Nase weg!«

      Ellen ärgerte sich über Gerda Munkschatz, aber auch über Julia. Und vor allem ärgerte sie sich über sich selbst. Hätte sie den blauen Bikini gekauft, brauchte sie jetzt nicht in ihren Sachen herumzusitzen und zu schwitzen.

      Beim Spiel verursachte Julia drei Elfmeter. Wenn sie den Ball hatte und die anderen sie bedrängten, nahm sie wie automatisch den Ball in die Hände.

      Nach dem Spiel rannten alle ins Wasser. »Spielen kannst du nicht«, sagte Pele zu Julia. »Aber im Rennen bist du einsame Klasse.«

      »Stimmt«, bestätigte Liebscher. »Übrigens - Donnerstag ist Schulsportfest. Musste vorverlegt werden. Weiß nicht, warum. Irgendetwas scheint bei den Lehrern im Gange zu sein.«

      Alle wollten wissen, was denn los sei.

      »Ich weiß wirklich nicht, was Sache ist«, sagte Liebscher. »Herr Rohnke sagte nur, dass sich vielleicht bald etwas ändern würde.«

      Sie gingen gemeinsam über den Damm, der durch unkrautüberwucherte Wiesen am Flutkanal entlangführte, nach Hause.

      Der Himmel hatte sich dunkel bewölkt. Ein heißer Wind war aufgekommen. Unruhe und Nervosität überkam die Mädchen und Jungen. Es begann fein zu regnen.

      Julia sprach aus, was alle bewegte: »Ob man uns Herrn Rohnke etwa wegnehmen will?«

      6.

      Das Sportfest fand auf dem alten Sportplatz statt. Der Platz lag hinter den Heuweger Gärten. Er hatte eine wellige rote Aschenbahn. Auf der Spielfläche stand knöchelhohes Gras, auf dem der Hausmeister der Schule seine zwei Hammel weiden ließ. Die Torbalken neigten sich seitlich. Sie waren von den schussgewaltigen Fußballern aus den Angeln gebombt worden.

      Die 8b hatte ihren Platz am hinteren Tor. Ellen stöhnte zum wiederholten Mal: »Das ist ein Gewimmel wie in der Innenstadt! Da soll man sich konzentrieren können!«

      Selbst Liebscher trippelte nervös auf der Stelle. Er prüfte immer wieder, ob seine neuen Spikes auch fest verschnürt waren.

      Julia zog ihren Trainingsanzug an und aus. Einmal war es ihr zu warm, dann wieder zu kalt.

      Pele, dem sonst nichts zu viel war, versuchte sich sogar Liebschers Anordnung: »Massiere mir doch mal die Waden!«, zu widersetzen. Alle sahen immer wieder zur Straße, von wo sie Herrn Rohnke erwarteten.

      Nur Pit schien ruhig und uninteressiert wie immer. Er saß im Gras und kaute an einem Halm. Ab und zu sah er zu seinem Bruder Olaf hinüber, dessen Stimme aus dem übermütigen Geschrei der unteren Klassen herauszuhören war.

      »Wo Herr Rohnke nur bleibt?«, sagte Julia ungehalten. »Irgendetwas stimmt doch da nicht! Aber wir erfahren ja immer erst alles, wenn es zu spät ist.«

      Liebscher versuchte einen Handstand zu drücken. Er kippte über, fing sich geschickt ab. »Was soll denn das heißen?«, entgegnete er. »Herr Rohnke wird es uns schon sagen, wenn es etwas Wichtiges ist!«

      »Ach was!«, rief Julia. »Diese Warterei ist zum Verrücktwerden!«

      Gerda Munkschatz setzte die Fingernagelfeile ab. »Diese ewige Streiterei zwischen euch beiden in letzter Zeit! Überhaupt - eine Stimmung ist das in der Klasse!«

      Pele kniff die Augen zusammen. Er deutete nach oben, in die schnell ziehenden dunklen Wolkenfelder, die der Sonne immer nur für Sekunden einen Lichtblick zur Erde gestatteten: »Es wird Winter, Leute. Mich friert jedenfalls schon lange.«

      Röbel, nach Monika Druskat der längste in der Klasse, stand auf der bröckligen Zuschauerterrasse zwischen verwitterten Sitzbänken. Von hier aus konnte er die Straße fast bis zur Schule übersehen. Er winkte mehrmals, pfiff dreimal kurz. Dann kam er mit schlaksigen Schritten heruntergestiegen und sagte lässig: »Habt acht, Leute, der Chef kommt.«

      Sofort änderte sich das Bild der Klasse. Es kam Ordnung in das Durcheinander. Liebscher ließ antreten. Alle sahen gespannt dem Lehrer entgegen.

      Herr Rohnke kam im Sturmschritt. Er sprang die Terrasse hinunter. Seine abgetragene Wildlederjacke umflatterte ihn. Die linke Hand hielt die Ledermütze fest. Als er heran war, lachte er.

      Julia dachte: Er ist unrasiert, nein, er sieht müde aus.

      Herr Rohnke hatte die Klasse sofort im Griff. Jede Kleinigkeit wäre ihm aufgefallen: ein kaputter Schuh, fehlende Sportkleidung, schlecht bandagierte Gelenke. Aber er fand alles in Ordnung. Lächelnd nahm er Liebschers Meldung entgegen. »Neue Spikes?«, fragte er. Dann blieben seine Augen einen Moment auf Pit haften. »Morgen«, sagte Rohnke, »nach der Schule bei mir. Sei pünktlich.«

      Der Lehrer lief voran zur Weitsprunggrube. Die Jungen und Mädchen sahen sich unsicher an.

      Liebscher zuckte die Schultern. Herr Rohnke hatte kein Wort der Erklärung für sein Zuspätkommen gesagt. Das war ungewöhnlich. Auch war er nicht in Sportkleidung gekommen.

      Beim Weitsprung vermaß der Lehrer sich mehrmals. Seine Hinweise zur Verbesserung der Technik wirkten oft unverständlich. Einmal rief er ungeduldig, fast wütend: »Ellen! Nun heb doch den Hintern hoch, wenn du springst! Du verträumst ja den Absprung, Mädel!«

      Ein kalter Wind senste jetzt über den Rasen. Bei den anderen Klassen gab es viel Spaß. Anfeuerungsrufe erklangen. In der 6a wurde ein Hochsprungerfolg besungen: »Hoch soll er leben ... !«

      In der 8b war die Stimmung bedrückt. Wenn gesprochen wurde, dann nur im Flüsterton. Es gab nur mittelmäßige bis schwache Leistungen. Alle hofften auf Liebscher.

      Herr Rohnke sah hoch. Liebscher stand an seiner Anlaufmarke. Er rannte nervös am Ort. Dann lief er an. Julia drückte ihm den Daumen für einen weiten Sprung. Irgendwie musste sich die Verspannung doch lösen. Aber Liebscher blieb mit seinem Sprung weit von seiner Bestleistung entfernt.

      Nur Pit, von allen unbeachtet, vollbrachte einen gewaltigen Satz. Rohnke maß ihn zweimal und nickte anerkennend. Julia schüttelte Pit die Hand. Sie blickte zu den anderen, die wegsahen.

      Sie gingen zur Hochsprunganlage. Plötzlich ließ Herr Rohnke abbrechen. Er setzte sich auf den aufgeschütteten Sand und sagte: »So hat das keinen Sinn. Da machen euch ja die unteren Klassen etwas vor. Also schön, ich habe euch etwas zu sagen ... « Die Klasse hatte sich eng um ihn geschart.

      Julia stand zwischen Pit und Liebscher. Sie ahnte, dass Herr Rohnke ihnen jetzt etwas Unerfreuliches mitteilen würde.

      Herr Rohnke versuchte einen Spaß: »Nun fallt mir nicht gleich alle um den Hals, Freunde. Lasst mir noch etwas Luft zum Atmen.«

      Er machte wieder eine Pause. Es fiel ihm sichtlich schwer, zu sprechen.

      Dann stand er auf, nahm seine Mütze ab, fuhr sich mit der freien Hand durchs schüttere Haar und sagte: »Folgendes: In den nächsten Tagen werden wir uns trennen müssen. Also, das ist Unsinn, was ich sage. Ich meine: Ich muss eine zwölfte Klasse übernehmen. Eine Abiturklasse. Versteht ihr? Die sind in einer dummen Situation. Herr Menzel - ihr Lehrer - er will weg von der Schule.«

      Julia spürte ihre Hände kalt werden. Sie sah Liebscher neben sich zusammenzucken. Die Mädchen und Jungen blickten einander ungläubig an.

      »Es ist doch nur für ein Jahr«, versuchte der Lehrer zu beruhigen. »Dann haben die aus der Zwölften ihr Abi.«

      Herr Rohnke schlug sich die Mütze wieder auf den Kopf. Er legte Liebscher und Julia die Hände auf die Schultern. »Na, da wollen wir mal«, sagte er. »Übrigens: Eure neue Klassenleiterin heißt Rosen. Sie ist noch sehr jung. Also macht ihr das Leben nicht unnötig schwer. Sport haben wir weiter zusammen. Na, wird schon werden!«

      Herr Rohnke lief energisch zur Aschenbahn. Die Klasse trottete hinter ihm her.

      Julia hörte Liebscher leise sagen: »Das kann doch nicht wahr sein! Das kann ich nicht glauben!« Sie verstand seine Sorge und Enttäuschung. Sie konnte Rohnkes Mitteilung auch noch nicht richtig erfassen.