Britta Bley

Sommer, Sonne, Strand und Er


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auf der glitzernden Wasseroberfläche tanzte. Sie fühlte sich mit sich und der Welt im Reinen. Schließlich legte sie zufrieden ihren Kopf in den Nacken, reckte ihr Gesicht der Sonne entgegen und döste vor sich hin.

      Erst ein kräftiger Windstoß, der Leni das Cap vom Kopf riss, holte sie ins Diesseits zurück. Schläfrig blinzelte sie ins helle Licht, mit sich ringend, ob das Wiedererlangen ihres Sonnenschutzes die kurzzeitige Aufgabe ihres Platzes und die damit einhergehenden Umstände aufwog.

      „Hier, dein Cap!“

      Fast hätte Leni einen Schreckensschrei ausgestoßen und wäre vom Fels gefallen, so sehr wurde sie von der Männerstimme überrascht. Nachdem sie einige Sekunden um Fassung gerungen hatte, drehte sie sich nun empört um 180 Grad, um des Störenfrieds ansichtig zu werden, der es gewagt hatte, in ihr Reich einzudringen.

      Freundlich lächelnd hielt ihr ein junger Mann ihr Cap entgegen, nichtsahnend, dass Leni ihm alles andere als Dankbarkeit entgegenbringen würde.

      „Was hast du hier verloren?“, fauchte Leni den Fremden entsprechend unverwandt an. Dabei fragte sie sich mit einem unguten Gefühl in der Magengegend, wie lange er sich wohl schon unbemerkt dort aufgehalten hatte.

      „Im Gegensatz zu dir hab’ ich nichts verloren, ich wollte einfach nur nett sein. Dir dagegen scheint nicht nur dein Cap abhandengekommen zu sein, sondern auch noch dein gutes Benehmen. Nicht dass ich eine Schachtel Pralinen und einen Blumenstrauß erwartet hätte, aber ein einfaches Danke wäre schon nett gewesen.“

      Noch einmal streckte er Leni auffordernd ihr Cap entgegen.

      Obwohl sie es mit ihrer scharfen Ansage geschafft hatte, dass das Lächeln um die Mundpartie herum verschwunden war, sah der Fremde nicht unfreundlich aus. Für einen kurzen Moment konnte sie nicht festmachen, woran das lag, bis ihr seine meerwasserblauen Augen auffielen, die nach wie vor lächelten. Leni hatte noch nie solch lachende Augen gesehen.

      Auch wenn Leni den jungen Mann am liebsten einfach ignoriert hätte, beugte sie sich ihm nun ein bisschen entgegen, um ihr Cap in Empfang zu nehmen. Dabei nuschelte sie ein kaum zu verstehendes Danke und vermied es, ihm direkt ins Gesicht zu schauen. Leni kochte innerlich vor Wut. Er hatte es nicht nur gewagt, sie hier zu stören, sondern meinte, ihr auch noch einen Benimmkurs erteilen zu müssen.

      „Bitte, gern geschehen!“, antwortete er, drehte sich um und steuerte auf einen braunen, wenige Schritte entfernt im Sand liegenden Rucksack zu. Dort angekommen, schnappte er sich nicht etwa seinen Kram, um sich dann aus dem Staub zu machen, sondern setzte sich ganz selbstverständlich in den Sand.

      Leni glaubte ihren Augen nicht zu trauen. War ihre unmissverständliche Botschaft denn nicht bei diesem dreisten Typen angekommen?

      Sie entschied sich, es diesmal auf eine etwas nettere Art, quasi durch die Blume, zu versuchen.

      „Du scheinst dich hier nicht auszukennen! Soll ich dir vielleicht erklären, wie du zu der supercoolen Beachparty kommst?“, bot sie ihm, die Freundliche spielend, an.

      „Das ist sehr nett von dir, aber ich hatte gerade einen ruhigen Ort ohne viel Trubel gesucht. Du störst mich nicht wirklich und abgesehen davon, gefällt es mir hier sehr gut“, eröffnete er ihr, nun wieder über das ganze Gesicht schelmisch grinsend.

      Bevor Leni ihm antworten konnte, hatte sich ihr Gegenüber bereits in den Sand zurückfallenlassen, die Hände gemütlich unter den Kopf geschoben und die Augen geschlossen. Das schien dann nun wohl seinerseits die unmissverständliche Botschaft zu sein, sich auch weiterhin hier aufhalten zu wollen.

      Leni konnte über so viel Dickfelligkeit nur staunen. Dass sie scheinbar die gleichen Beweggründe angetrieben hatten, diesen schönen Flecken Erde aufzusuchen, versöhnte sie dabei keinesfalls. Zu allem Überfluss hatte er es tatsächlich auch noch geschafft, die Tatsachen so zu verdrehen, dass sie sich an ihrem Strand, wider jede Vernunft, für einen winzigen Moment als Eindringling gefühlt hatte. Dass der Typ nun die Frechheit besaß, alle Viere von sich zu strecken und den Tiefenentspannten zu mimen, brachte sie völlig aus der Fassung. Sollte sie bleiben oder freiwillig das Feld räumen? Eins war sicher, solange er sich hier ebenfalls aufhielt, würde sie keine ruhige Minute mehr haben. Andererseits wollte Leni ihm unter keinen Umständen durch ihren Rückzug das Gefühl geben, auch noch im Recht zu sein. Damit stand der Entschluss fest, sie würde hier länger ausharren, komme was wolle.

      Leni wandte sich trotzig zurück zum Meer und starrte auf die bewegte Oberfläche. Doch plötzlich war sie nicht mehr in der Lage, die unendliche Weite zu genießen, geschweige denn, dass sie die Ruhe gehabt hätte, um ebenfalls wieder ihre Augen zu schließen. Stattdessen spürte sie, fast schon bedrohlich, den Eindringling in ihrem Rücken. Vor lauter innerer Anspannung drehte sie sich bereits nach kurzer Zeit verstohlen um. Dass er ausgerechnet hinter ihr, außerhalb ihres Sichtfeldes sitzen musste, störte sie besonders. Noch immer lag er mit geschlossenen Augen da; es sah fast schon aus, als wäre er in der Kürze der Zeit eingeschlafen, so entspannt wirkten seine Gesichtszüge. Leni kochte vor Wut.

      Sie fühlte sich an ihre wenige Wochen zurückliegende Abschlussfahrt erinnert, zu deren Teilnahme ihr Vater sie quasi gezwungen hatte. Mit drei ätzenden Klassenkameradinnen hatte sie sich dort das Zimmer teilen müssen. Erstmal hatten diese an jedem Abend die vorgegebene Zubettgehzeit um mehrere Stunden überschritten und hatten damit dafür gesorgt, dass die ohnehin schon träge dahin schleichenden Tage auch noch zusätzlich in die Länge gezogen worden waren. Und wenn sie sich dann endlich zum Schlafengehen entschlossen hatten, hatte die eine, kaum dass sie sich in die Horizontale begeben hatte, so dermaßen angefangen zu schnarchen, dass man hätte meinen können, man würde Zeuge, wie eine ganze Kolonne Waldarbeiter einen mittelgroßen Laubwald abholzte. Es war Leni ein Rätsel, wie die anderen beiden das hatten ignorieren können, aber tatsächlich war sie die einzige gewesen, die die halbe Nacht kein Auge zubekommen hatte, während alle anderen fest geschlafen hatten. Dann hatte sie sich hin und her gewälzt, grimmig drein geguckt und hatte schließlich sogar angefangen, halb laut in die Dunkelheit hineinzuschimpfen. Es war einfach nicht fair und nur schwer zu ertragen gewesen, dass die Zicken im Land der Träume weilten und sie um ihren Schlaf gebracht wurde.

      Gerade fühlte sie sich ganz ähnlich. Während er den Aufenthalt an ihrem Strand scheinbar in vollen Zügen genießen konnte, sogar die Ruhe hatte hier einzuschlafen, verdunkelte sich ihr Gemüt bei seinem Anblick mehr und mehr. Leni spürte, wie sich Unter- und Oberkiefer mit zu viel Druck aufeinanderpressten und sich ihre Lippen ganz leicht säuerlich zuspitzten. Schließlich sprang sie mit Schwung ins Wasser, andernfalls hätte sie das Gefühl gehabt, platzen zu müssen. Jeder Schritt, bei dem sie bewusst das Wasser zum Spritzen brachte, war wie ein kleiner Befreiungsschlag. Bereits etwas weniger aufgebracht, marschierte sie aus dem Wasser. Dabei sah sie den Fremden in unveränderter Position im Sand liegen. Sie glaubte, auch jetzt noch ein Lächeln in seinem Gesicht erkennen zu können, das sie scheinbar zu verhöhnen schien. Im Vorbeigehen schnappte Leni sich ihre zwei unterschiedlich farbenen Chucks und verzog sich an den äußeren Rand des Strandes, dicht ans Pinienwäldchen heran, so dass sie ihn von nun an unauffällig im Blick behalten konnte. Als sie sich in den Sand fallen ließ, war ihr immerhin schon ein wenig wohler zumute.

      Minuten vergingen und nichts passierte. Zum Zeitvertreib vergrub Leni immer wieder ihre Hände und Füße im Sand und ließ die feinen Körner zwischen ihren Zehen und Fingern hindurchrieseln. Schließlich formte sie mit beiden Händen einen Trichter, füllte ihn mit Sand und drückte die Handkanten so aneinander, dass lediglich ein feiner Strahl, wie bei einer Sanduhr, entweichen konnte. Parallel entstand in ihrem Kopf ein Bild. Darauf waren zwei überdimensionale Hände abgebildet, die trotz ihrer Größe feingliedrig und zart wirkten. Auch die formten einen sandgefüllten Trichter, in dem, bis zur Hüfte versunken, ein kleiner Mann steckte. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Furcht wider; doch trotz der ausweglosen Situation, lächelten seine Augen.

      Als Leni schon kaum noch damit gerechnet hatte, sah sie plötzlich eine Bewegung aus dem Augenwinkel, die sofort ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Aus sicherer Entfernung konnte sie beobachten, wie sich der Fremde langsam aufrappelte. Er schwenkte den Kopf in die Richtung des Felsens, auf dem Leni vormals gesessen hatte und verweilte dort längere Zeit mit seinem Blick. Empfand er