Britta Bley

Sommer, Sonne, Strand und Er


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schaute sich nur willkürlich in der Gegend um.

      Ein weiteres Mal schwenkte sein Blick rundum, doch er schien sie im Schatten des Pinienwäldchens nicht bemerkt zu haben.

      Schließlich begann er in seinem Rucksack rumzukramen. Er zog eine Trinkflasche hervor und nahm einen tiefen Schluck. Erst jetzt merkte Leni, wie trocken ihr eigener Mund war und wie sehr sie ihm jeden Schluck neidete. Als nächstes brachte er mehrere Dosen und Tüten zum Vorschein und am Ende auch noch ein Buch. Seelenruhig begann er zu lesen und bediente sich dabei an den verschiedenen Köstlichkeiten. Während ihr das Wasser bei seinem Anblick im Munde zusammenlief, fluchte Leni innerlich, selbst nichts eingepackt zu haben. Und dann sah es auch nicht so aus, als würde er sich in nächster Zeit auf den Weg machen wollen, was hieß, dass auch sie weiterhin an diesem Ort festsaß und mit angucken musste, wie er es sich so richtig gut gehen ließ. Fehlte nur noch, dass er einen Einweggrill aus seiner Tasche gezaubert und begonnen hätte ein saftiges Steak zu brutzeln.

      Fast schon beleidigt, verschränkte Leni ihre Arme vor der Brust. Vielleicht sollte sie sich endlich bemerkbar machen. So hatte er den Triumph, über die Vorherrschaft des Strandes, ja auch bereits für sich verbucht. Dann kam ihr zum ersten Mal der Gedanke in den Sinn, dass es dem Fremden tatsächlich völlig egal war, wer sich wie lange, zuerst oder auch nicht, alleine oder mit anderen, an diesem Strand aufhielt. Dabei kam sie sich selbst mit ihren rebellischen Gedanken fast schon ein bisschen kindisch vor. Aber was hatte er hier auch zu suchen? Sie hoffte inständig, dass er sich das Aufsuchen des Strandes nicht zur Gewohnheit werden ließ. In ihr keimte gar die Hoffnung auf, dass er vielleicht von außerhalb käme, womit sich das Problem von ganz alleine gelöst hätte. Er mochte vielleicht drei, vier Jahre älter sein als sie und sie war sich sicher, ihm noch nie zuvor begegnet zu sein. Andernfalls hätte sie sich sicher an seine Augen erinnert.

      Gerade als Leni den Entschluss gefasst hatte, dass sie sich selbst keinen Gefallen damit tat, sich hier durch fehlende Getränke und Nahrung weiter zu geißeln, sah sie, wie sich der Fremde erhob. Noch bevor sie einen Plan für ihr weiteres Vorgehen in Sachen würdevoller Abgang entwickeln konnte, zog er sein T-Shirt aus. Dann beobachtete sie leise kichernd, wie er vergeblich versuchte, auf einem Bein hüpfend, sich den Sneaker vom Fuß zu ziehen und dabei einen regelrechten Tanz vollführte. Schließlich musste er sich doch wieder hinsetzen, um sich seiner Schuhe erfolgreich entledigen zu können. Als er erneut aufstand und sich nun auch noch die Shorts von den Beinen streifte, gefror Lenis Lächeln unmittelbar, Böses ahnend. Sie gestikulierte wild mit den Armen vor ihrem Körper, doch aus ihrem Mund klang kein Laut. Hilflos musste sie mit ansehen, wie er nun auch noch die letzte Hülle fallen ließ und sie damit unfreiwillig zur Spannerin machte. Hatte er deswegen einen einsamen Platz gesucht, um sich, wie Gott ihn geschaffen hatte, in die Fluten zu stürzen? Lenis Gedanken begannen zu rattern. Sobald er sich im Wasser befinden und den Blick Richtung Strand schwenken ließe, würde er sie über kurz oder lang unweigerlich entdecken. Sie musste verschwinden und zwar schnell. Hastig schlüpfte sie in ihre Chucks ohne die Schleifen zu binden. Während er zum Spurt ins Wasser ansetzte, bewegte Leni sich langsam rückwärts laufend, um möglichst unauffällig im Schutz des Pinienwäldchens zu verschwinden. Dabei ärgerte sie sich über sich selbst, dass sie die Augen nicht von seiner blanken Rückseite lassen konnte. Schließlich tauchte er mit einem Kopfsprung ganz in die Fluten. Bereits zwischen den Bäumen stehend, starrte Leni gebannt auf die Wasseroberfläche, in der Erwartung, dass er jeden Moment wiederauftauchen müsste. Als das Vorhersehbare dann tatsächlich passierte, erschrak sie dennoch, denn anders als gedacht, hatte er sich bereits wieder dem Strand zugewandt. Sollte das etwa alles gewesen sein? Tatsächlich ragten seine Schultern bereits wieder aus dem Wasser. Als nächstes seine Brust, sein Bauchnabel… Aus Angst entdeckt zu werden und vor dem, was sie gleich als nächstes zu Gesicht bekommen würde, drückte Leni sich noch weiter ins Unterholz. Als sie merkte, dass sie sich durch einen unglücklichen Tritt auf den Schnürsenkel selbst der Beinfreiheit beraubte, war es bereits zu spät. Sie verlor das Gleichgewicht und fiel unsanft, mit dem Po voran zu Boden. Wie ein Krebs, rückwärts auf allen Vieren kriechend, brachte sie sich schnellstmöglich gänzlich außer Sichtweite. Dabei pochte ihr das Herz bis zum Halse. Sie hoffte inständig, dass der Fremde sie nicht mehr gesehen hatte. Das schmerzende Steißbein ignorierend, rappelte sie sich wieder auf und verschwand noch tiefer im Dickicht.

      „Weg, einfach nur weg!“, war der Gedanke, der sie trotz des unwegsamen Geländes zügig vorantrieb. Obwohl Leni ihre Arme schützend vor den Kopf hielt, peitschten ihr die Zweige immer wieder mit voller Wucht ins Gesicht. An den nackten Beinen hinterließen die Dornen der Brombeersträucher feine rote Kratzer. Es wunderte sie nicht mehr, dass den Weg durch das Wäldchen nur so wenige fanden, denn im Grunde genommen gab es gar keinen. Gefühlt hätte sie den relativ schmalen Waldstreifen längst passiert haben müssen, doch sie befürchtete, dass es ihr nicht gelungen war, die Richtung konsequent beizubehalten.

      Umso erleichterter atmete sie schließlich auf, als sich die Bäume vor ihr lichteten. Zwischen den Zweigen erahnte sie bereits vorbeifahrende Autos. Nur wenige Schritte weiter sah sie sich bestätigt und stand vor der stark befahrenen Landstraße. Leni zögerte, ob sie der kürzeren Strecke, an der Straße entlang, folgen sollte oder ob sie den deutlich schöneren Umweg, entlang des Wäldchen, zurück zum Strand, einschlagen sollte. Aus Angst, dem Fremden erneut nach dieser prekären Situation in die Arme zu laufen, wählte Leni die schnellere Variante.

      Mit einigem Abstand zum Fahrbahnrand, machte sie sich auf den Weg. Dennoch verursachten die vorbeibrausenden Kraftfahrzeuge ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend. Ein ums andere Mal zuckte sie unwillkürlich zusammen, wenn ein vorbeifahrender Brummifahrer mit seinem schweren Lastzug den Boden unter ihren Füßen zum Beben brachte. Jedes Mal aufs Neue hatte der dabei entstehende Luftzug so eine Gewalt, dass er sie mit Leichtigkeit zunächst wegdrückte, um sie dann bereits im nächsten Moment in beängstigender Weise zu sich heranzuziehen. Doch schließlich überquerte sie die Straße unbeschadet an der gleichen Stelle, an der sie sie bereits einige Stunden zuvor passiert hatte.

      Schleppenden Schrittes bewegte Leni sich voran. Mit dem Erreichen der Siedlung, war von der kühlenden Brise endgültig nichts mehr zu spüren. Die unter ihrem Cap hervorguckenden Haare klebten an ihrem Gesicht. Sie hatte Hunger und noch größeren Durst. Zu keinem Zeitpunkt hätte sie sich mehr von dem grölenden, schick zurechtgemachten Jungvolk unterscheiden können, das ihr nun wieder, auf dem Weg zur Party, entgegenkam.

      Und als wäre ihr desolater Allgemeinzustand nicht schon bedrückend genug gewesen, erschien ihr ihr Vater vor ihrem inneren Auge. Sie sah ihn erwartungsfroh lächelnd vor sich stehen, erbarmungslos eine Frage nach der anderen auf sie abfeuernd.

       Hast du Spaß gehabt? Hast du Klassenkameraden getroffen? Wie war die Liveband? Warum bist du schon so früh zurück?

      Keine dieser Fragen würde sie wahrheitsgemäß beantworten können. Kurzerhand beschloss Leni sich vor der quälenden Fragerei zu drücken, indem sie Kopfschmerzen vortäuschen würde.

      Später im Bett liegend war sie dankbar, dass ihr Plan aufgegangen war. Und während sie so da lag, den Blick starr an die Decke gerichtet, entstanden in ihrem Kopf Bilder über Bilder. Abbildungen der Wirklichkeit gepaart mit verrückten Phantasien.

      Schlafanzug und schwarze Füße

      Maggie saß im Schlafanzug, barfuß auf ihrer Schaukel. Unter ihr zeugte eine kleiner werdende, ausgetretene Erdfläche von den vielen Stunden, die sie in diesem Sommer bereits auf der Schaukel verbracht hatte; fast ausnahmslos gemeinsam mit ihrem Vater. Er war es auch gewesen, der ihr die Schaukel im letzten Jahr gebaut hatte. Kein fertiger Bausatz hatte seinen hohen Ansprüchen, im wahrsten Sinne des Wortes, genügt, weswegen die Schaukel eine Eigenkonstruktion von gigantischem Ausmaß geworden war. Kein Kind in der Nachbarschaft hatte eine ähnlich hohe Schaukel. Kein anderes Kind hatte einen Vater, der es auch nach Stunden nicht leid wurde, unermüdlich Anschwung zu gegeben.

      Doch langsam aber sicher eroberte sich das Gras die kahle Stelle zurück. Die Schaukel stand still. Das Lachen in Haus und Garten war verstummt. Außerdem war die vormals gepflegte Rasenfläche um Maggie herum, zu einer kniehohen Wiese gewachsen. Wildblumen, wie der leuchtend