Eric Scherer

Block 4.2


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glaube, dass Ihr Mann selbst unter Alkoholeinfluss gefahren ist“, tut Lea ihr den Gefallen, ohne dem Blick ihres Gegenübers auch nur einen Lidschlag lang auszuweichen. „Wahrscheinlich will er warten, bis sein Alkoholspiegel ins Unbedenkliche gesunken ist, und sich dann melden. Und da er denkt, dass wir, falls wir doch auf den verunfallten Wagen aufmerksam werden, als Erstes bei Ihnen vorbeischauen, pennt er seinen Rausch jetzt bei einem Bekannten aus.“

      Lea könnte glatt den Kopf über sich selbst schütteln. Sie hat soeben tatsächlich „verunfallt“ gesagt. Das bescheuertste Wort Uniformiertendeutsch, das jemals einem Uniformierten eingefallen ist.

      Heidrun Schmitter nickt. „Einerseits haben Sie recht. Er hat wohl den Kanal voll. Andererseits: Das ist nicht der Grund, weswegen er sich nicht nach Hause traut.“

      „Sie meinen, es ist nicht die Angst vor dem Donnerwetter, das er von Ihnen erwarten darf?“ Jetzt schmunzelt Lea auch noch. Unprofessioneller geht’s jetzt nicht mehr.

      „Nein. Es ist wegen meinem Vater.“

      „Ihrem Vater?“

      Heidrun Schmitter schenkt sich einen weiteren Weinbergspfirsich ein.

      „Er ist mit meinem Vater unterwegs. Und einem seiner Kumpels. Er will mit den beiden morgen uff de Betze. Und er weiß genau: Wenn er nach Hause kommt, nachdem er unser Auto zu Schrott gefahren hat, kann ich ihm zwar nicht verbieten, sich morgen dennoch irgendwie uff de Betze zu schaffen, aber eins wird er sich an fünf Fingern abzählen können: Meinen Vater vertraue ich ihm nicht noch einmal an, diesem dummen Arschloch. Deswegen kommt er nicht nach Hause.“

      „Ich fürchte, das verstehe ich jetzt nicht ...“

      „Mein Vater ist dement. Parkinson. Noch nicht im weiter fortgeschrittenen Stadium, noch ist er die meiste Zeit einigermaßen klar im Kopf, er kann auch noch laufen, aber keine längeren Strecken mehr. Darum haben sie auch einen Rollstuhl dabei.“

      „Einen Rollstuhl? O Gott.“ Lea erinnert sich an die Begegnung, die sie vorhin am Ortsausgang hatte. Drei Männer, einer davon im Rollstuhl.

      „Ich wollte es meinem Vater ohnehin schon längst verbieten, mit uff de Betze zu gehen. Aber es hat ihm so viel bedeutet.“

      „Sie sagten, Ihr Mann hätte auch einen seiner Kumpels dabei. Um wen handelt es sich da?“

      „Den Champ.“

      „Den Champ?“

      „Dieser ehemalige Boxer. Den kennt doch jeder hier. Heiner Kühn.“

      Lea hält die Luft an. Tatsächlich: Das war Heiner Kühn, den sie da vorhin am Ortsausgang gesehen hat. Das waren die drei Gesuchten, und sie ist einfach an ihnen vorbeigefahren. Mist, verdammter. Andererseits: Das hat sie ja nun wirklich nicht ahnen können. Also egal. Weiter. Nächste Frage.

      „Kommen wir zur Kernfrage: Wo könnte Ihr Mann mit Ihrem Vater denn die Nacht verbringen wollen?“

      „Keine Ahnung.“ Heidrun Schmitter stürzt sich das nächste Gläschen Weinbergspfirsich in den Unterkiefer. Scheint guter Stoff zu sein.

      „Würden Sie mir es denn sagen, wenn Sie einen konkreten Verdacht hätten?“

      „Natürlich.“ Jetzt schafft sie es sogar, Lea anzulächeln. Ist das der Alkohol oder die gute Chemie zwischen ihnen?

      „Wissen Sie denn, wo dieser Champ wohnt? Ist doch naheliegend, dass sie bei ihm unterschlüpfen.“

      „Ich glaube kaum, dass der Champ über eine menschenwürdige Behausung verfügt, in der er so mir nichts, dir nichts zwei spontane Gäste beherbergen kann. Dem Champ geht’s nämlich ziemlich dreckig, soweit ich weiß.“

      Lea erinnert sich an die Geschichten, die die Jungs über den Champ erzählen. Er soff und kokste, bis seine Boxkarriere den Bach runterging, und nachdem es damit endgültig vorbei war, war bald darauf auch die letzte Frau weg, die es noch mit ihm ausgehalten hatte. Eine Zeitlang verdiente er sich die Kröten, die er zum Weitersaufen und -koksen brauchte, als Rausschmeißer im Rotlichtmilieu, bis sich auch die Zuhälter nicht mehr auf ihn verlassen konnten, obwohl sie selbst es ja waren, die ihm den Koks besorgten, während für den Suff ihm jede Tanke der Gegend den Stoff bereithielt. Seither hartzte der Champ vor sich hin.

      „Aber irgendwo muss Ihr Mann Ihren Vater doch hinbringen“, hakt Lea nach. „Haben Sie wirklich keine Idee?“ Eigentlich ist es idiotisch, von der jungen Frau zu verlangen, dass sie ihren eigenen Macker verrät und ihn so mit hoher Wahrscheinlichkeit um seinen Führerschein bringt. So sehr sie auch betont, dass er ein dummes Arschloch sei. Aber vielleicht ist es ihr ja wichtiger, dass ihr Vater möglichst schnell gefunden wird.

      „Also, wie ich Albin kenne, ist er aus dem Wagen gekrabbelt, hat meinen Vater in seinen Rollstuhl gesetzt und ist zu Werner zurückgelatscht. Werner besorgt ihm schließlich auch sonst alles. Also kann er ihm auch ein Bett für die Nacht beschaffen, und morgen früh bestimmt eine Fahrgelegenheit uff de Betze. Alles andere hat Zeit, bis das Spiel vorbei ist. So ist er halt, mein Albin.“

      „Kennen Sie die Adresse von diesem Werner?“

      Heidrun Schmitt kennt zumindest die Straße, in der sich Werners Lokal befindet. Dürfte nicht schwer zu finden sein.

      „Und dieser Werner ist der Kumpel Ihres Mannes und zugleich sein Wirt?“

      Heidrun Schmitter nickt. „Er ist sein Fixstern. Zu ihm sind sie auch heute Abend gefahren. Zum Vorglühen, aber auch, um die Wegzehrung für morgen einzuholen. Denn auch für die ist Werner zuständig. Er versorgt sie mit Dosenbier, Zwiebelbrot und einer fetten Wurst, von der nur Werner weiß, welcher gottgefickte Metzger in welchem gottverlassenen Kaff sie immer noch zubereitet, nach Originalrezepten, die andernorts längst verschollen sind. Und meinem Vater hat Albin den Floh ins Ohr gesetzt, er müsse auf die Tour zu Werner mitkommen, das gehöre zum Ritual. Darauf hat mein Vater so lange genervt, bis ich nicht mehr nein sagen konnte. Er ist mittlerweile wie ein kleines Kind. Und ich kann manchmal einfach nicht mehr ...“

      Keine Frage: Die Frau braucht Trost. Zeit, dass die Erste Polizeihauptkommissarin das Vorurteil bestätigt, Frauen in Uniform verfügten über ein besseres Einfühlungsvermögen.

      „Es wird schon nichts Schlimmes passiert sein. Und andererseits ist es doch auch schön, dass Ihr Mann so bemüht ist, seinem Schwiegervater eine Freude zu machen.“

      Heidrun Schmitter zieht eine Grimasse.

      „Sie glauben doch nicht im Ernst, dass es diesem Arschloch ums Wohl meines Vaters geht.“

      „Um was denn sonst?“

      „Sie sind wohl nicht von hier, was?“

      „Nö. Bin ich nicht.“

      „Und auch noch nicht lange genug hier, um dieses merkwürdige Volk hier zu begreifen, was?“

      Lea lässt die Frage unbeantwortet. Sondern schaut ihr Gegenüber einfach so lange an, bis es fortfährt.

      „Albin ist überzeugt, dass de Betze morgen nur gewinnen kann, wenn Anton im Stadion ist. Egal, in welchem Zustand, er muss dabei sein. Denn de Betze muss morgen gewinnen. Das ist so eine ganz bescheuerte Art von Voodoo. Und glauben Sie nicht, dass mein Mann der Einzige ist, der so drauf ist, wenn es um de Betze geht. Auch wenn er ein dummes Arschloch ist.“

      + + +

      „Es ist eben nicht nur die Grundtechnik. Es sind die Reflexe, die einen Boxer ausmachen. Und die Reflexe gehen vor die Hunde, wenn du vom Alk und vom Koks nicht lassen kannst.“

      „Du glaubst, du weißt alles besser, was?“

      „Alles bestimmt nicht. Aber wenn ich was weiß, dann das.“

      Können die beiden nicht endlich mal das Maul halten? Einfach nur das Maul halten?

      Aus dem Verhörzimmer sind wieder Klagelaute zu hören, lauter denn je. Der Champ leidet. Lange kann das nicht mehr gutgehen. Gleich fliegt irgendwas an die Wand. Ein Stuhl oder so.

      Wahrscheinlich