Eric Scherer

Block 4.2


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Stimme des Polizisten hören, der da gerade redet, sich aber lebhaft ausmalen, wie dieser gerade den Kopf schüttelt. Er sitzt im Flur der Polizeiwache, vor kahlen Wänden, die nach Gips riechen. Neben ihm Anton, der wieder weggedämmert ist. Hoffentlich war das Bier nicht zu viel für ihn. Aber was hätte Albin sonst tun sollen, um ihn zu beruhigen? Er tut das alles doch nur wegen Anton. Weil der nicht uff de Betze will, sondern muss.

      Die Tür rechts neben der Bank, auf der Albin und Anton sitzen, steht offen. Er führt zum Aufenthaltsraum der diensthabenden Polizisten. Zwei von ihnen unterhalten sich angeregt über die soeben eingetroffene Kundschaft. Der Champ ist schließlich ein guter Bekannter.

      „Der Bimbo würd den mittlerweile glatt umhauen“, sagt der, der gerade den Niedergang des Champ bedauert hat.

      „Der Bimbo? Glaub ich nicht.“

      „Du hast keine Ahnung.“

      Den Champ hat der rothaarige Beamte in den Raum auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges geführt. Den Vernehmungsraum vermutlich. Dessen Tür ist verschlossen.

      Zu verstehen ist von der Vernehmung nichts. Nur wenn der Champ die Stimme hebt, dringt diese bis auf den Flur hinaus. Ihr Tonfall ist klagend, was genau der Champ sagen will, kann selbst Albin nicht heraushören. Der Champ hat nun einmal seine eigene Sprache, und selbst wenn er sie für fremde Ohren wenigstens ansatzweise ins Hochdeutsche modulieren könnte: Länger zurückliegende Handlungsabläufe darzustellen, das ist erst recht nicht seine Sache, da fängt er an zu stammeln, aus Hilflosigkeit eigentlich, aber wer außer Albin weiß das schon.

      Wenn der Champ sich zu Unrecht beschuldigt fühlt, versucht er zunächst, seine Formulierungsschwäche mit Lautstärke zu überspielen. Irgendwann fängt er an zu schreien, und wenn er dann weiter genötigt wird, auszudrücken, was er nicht auszudrücken vermag, kann er bald nicht mehr, dann muss er körperlich reagieren. Zunächst wirft er etwas an die Wand oder tritt gegen einen Stuhl, und wenn er dann immer noch nicht in Ruhe gelassen wird, schlägt er zu. Nicht, weil er übermäßig aggressiv ist, sondern weil er verzweifelt ist, weil es schlussendlich seine Art ist, sich auszudrücken, sein letztes Mittel der Kommunikation.

      Doch das weiß wirklich niemand außer Albin. Schon gar nicht der rothaarige Polizist, für den mit jeder Frage, die den Champ rhetorisch überfordert, ein Schlag ins Gesicht näher rückt.

      Und wenn der Champ erst einmal angefangen hat zu schlagen, ist alles zu spät. Er wird erst den rothaarigen Polizisten niederschlagen, als Nächstes die zwei, drei Kollegen, die ihm zu Hilfe eilen, anschließend wird der Rest der Schicht anrücken, von denen wird er auch noch den ein oder anderen zu Boden schicken, bis sie ihn irgendwann niederringen, ihm Handschellen anlegen und ihn einsperren. Albin und Anton werden sie irgendwann gehen lassen, doch wie soll es dann für sie beide weitergehen, ohne den Champ? Albin kann seinen Schwiegervater unmöglich allein durch den Wald schaffen, in der Nacht schon gleich gar nicht, wo doch der Alte möglicherweise getragen werden muss, so betrunken kann nicht einmal Albin sein, dass er sich das zutraut, abgesehen davon ist sein Alkoholpegel in der vergangenen Stunde ein wenig gefallen, sodass ihm sein Plan, es bis morgen, vierzehn Uhr, uff de Betze zu schaffen, ohnehin wieder einen Tick verwegener erscheint, zu verwegen eigentlich, doch das kann, das darf er nun nicht mehr eingestehen, nicht einmal sich selbst, er muss es jetzt durchziehen, schon allein Anton zuliebe.

      Aber ohne den Champ?

      Kann der denn nicht einfach diese blöde Aussage machen, die Polizisten brauchen sie doch nur für ihren Papierkram, um diesen anschließend weiter zur Staatsanwaltschaft durchzureichen? Er müsste den vorliegenden Anschuldigungen nur kurz und knapp widersprechen, von wegen, stimmt alles nicht, ich bin gezielt provoziert worden, oder, noch besser, die haben als Erste zugeschlagen. Und dann? Müssen die Polizisten das so aufnehmen und ihn ziehen lassen. Weil keine Gefahr in Verzug ist und auch keine Flucht- und Verdunkelungsgefahr besteht. Alles Weitere dann am Montag, frühestens.

      Und der Weg uff de Betze wäre frei.

      Aber so tickt der Champ leider nicht, doch wer weiß das schon außer Albin. Also muss ihm jetzt unbedingt was einfallen, bevor der Champ den Punkt erreicht hat, an dem er nur noch körperlich kommuniziert.

      Aber was, in drei Teufels Namen, soll er tun?

      „Der hat doch nichts mehr drauf, der Champ“, lästert der eine Polizist weiter. „Der Alk und der Koks haben ihn längst kaputtgemacht.“

      „Trotzdem. Ein Boxer bleibt ein Boxer“, hält der andere beharrlich dagegen.

      „Der Bimbo ist aber auch ein Boxer. Stimmt’s, Bimbo?“

      Besagter Bimbo sitzt also auch mit im Raum. Nur ist er klug genug, den Mund zu halten. Sich nicht zu beteiligen an dem dummen Gebabbel.

      Alk? Okay.

      Aber Koks? Ist doch vorbei, lange vorbei. Der Champ hat doch gar keinen Kontakt mehr zu den Loddeln, die ihm das Pulver besorgt haben. Als seine Ellen auf und davon ist, wollte er auch gar keins mehr. Der Champ hat doch nur wegen Ellen gekokst. Aber wer weiß das schon außer Albin.

      Denn der Champ hat es ihm einmal erklärt, weil Albin sein Freund ist, sein einziger wirklich wahrer Freund. Die Ellen habe es doch überhaupt nur so lange mit ihm ausgehalten, weil er besser hagge konnte als jeder andere, berichtete der Champ. Doch so richtig gut hagge können habe er nur, wenn er gekokst hatte, erklärte er und fragte mit leicht anklagendem Blick zum Himmel, was also ihm anderes übrig geblieben sei als zu koksen.

      Natürlich hat Albin argumentiert, es sei doch genau anders herum: Er habe mit Ellen Probleme, weil er permanent am Saufen und Koksen sei. Ob er denn überhaupt schon mal versucht habe, sie zu hagge, ohne vorher gekokst zu haben. Das wäre doch wenigstens mal einen Versuch wert.

      Doch der Champ blieb stur. Es gehe immer nur ums Hagge und sonst um nichts, beharrte er und wiederholte es nach jedem Widerwort immer und immer wieder, bis Albin die Diskussion abbrach. Zugegeben, auch, weil die Vorstellung, der Champ könne recht haben, Albin kleinlaut machte, da er unweigerlich an sich und Heidrun denken musste.

      Denn sie hat er schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gehaggt.

      Albin muss in diesen Tagen oft an seinen Freund Lothar denken. Der hatte, als er seine spätere Ehefrau kennengelernt hatte und die erste Male mit nach Hause nehmen durfte, von seinen Schwiegereltern in spe die strenge Order erhalten, die Tochter an Samstagabenden nach dem aktuellen Sport-Studio unbedingt nach Hause zu bringen, denn die Eltern waren streng katholisch und duldeten nicht, dass die Tochter die ganze Nacht über fortblieb. So wurde es dem jungen Glück zur Gewohnheit, an Samstagabenden auf der Fernsehcouch, während das „aktuelle Sportstudio“ lief, noch einmal tüchtig zu hagge, ehe sie sich trennen mussten.

      Was mit der Zeit dazu führte, dass seinem Freund Lothar eine Erektion erstand, sobald er die Titelmelodie des aktuellen Sportstudios erklingen hörte. Dies sei bis heute so geblieben, gestand der Freund Albin vor einigen Wochen erst. Konditionierung im besten Sinne also. Ob Lothar seine Erektion allerdings nach wie vor nutzt, um seine nunmehrige Ehefrau zu hagge, mit der er jetzt bald zwanzig Jahre verheiratet ist, ließ er offen.

      Seither hat Albin sich schon manches Mal gewünscht, auch für Heidrun und ihn gäbe es eine Melodie mit solch konsequenter Wirkung. Und einmal ist er sogar schon darüber ins Philosophieren gekommen, wie schön es wäre, wenn für jedes lange verheiratete Paar eine solche Weise existierte …

      Aber genug. Besser gar nicht weiter drüber nachdenken.

      Jedenfalls weiß Albin definitiv, dass der Champ nicht mehr kokst, seit Ellen ihn verlassen hat. Weil es sich für ihn seitdem auch mit dem Hagge erledigt hat. Dieser Polyp redet Blödsinn.

      „Nimm’s nicht persönlich, Bimbo“, sagt der andere Polizist. „Ich bin sicher, du hast was drauf. Aber ich hab den Champ boxen gesehen, als er noch richtig gut war. Vor allem technisch war er richtig gut. Er verfügte über eine Grundtechnik, die verlernt ein Boxer nicht, das ist wie Schwimmen und Fahrrad fahren. So was kriegst du auch mit Alk und Koks nicht kaputt.“

      Im Vernehmungszimmer röhrt der Champ derweil wieder auf. Der Rothaarige hat ihm wieder eine Frage gestellt, für deren