Hannah Albrecht

Eine von Zweien


Скачать книгу

in den Augen, den ich ihm noch nie abnehmen konnte, verführte er reihenweise die Damen, seine Arbeit zu übernehmen. Er war zwar immer gut gestylt, aber wenn man mich fragt, dann waren seine Anzüge eigentlich eine Nummer zu groß und verliehen ihm das Image eine Mafiosis, nur halt mit blonden Haaren und Bubigesicht. Allein der Gedanke daran, wie sein Blick sein würde, wenn ich heute vor ihm im Büro sein würde, erfüllte mich mit Vorfreude. Das Duschen ging leicht von der Hand, in null Komma nichts war ich fertig geschminkt, angezogen, hatte das Müsli ohne Zucker in mich hinein geschoben und war auf dem Weg ins Büro. Schnell noch einen Stopp im Café an der Ecke, um meinen Triumph auch gebührend mit einem guten Kaffee im Bauch genießen zu können.

      Kapitel 2

      Der Arbeitstag hatte so gut angefangen, mit Maxens Gesichtsausdruck, als er mich an meinem Tisch sitzen sah: der Schock, die weit aufgerissenen Augen, die hochgezogenen Augenbrauen unter den perfekt sitzenden schmierigen Haaren. Die Panik in seinen Augen, weil ich vor ihm da war und er nicht wusste, wie lange schon. Dieser Anblick allein hatte mir schon den halben Tag gerettet. Bis zu dem Moment, in dem die Zahlen meines Hass-Projekts kamen. Dort hoffte der Geschäftsführer, dass die Zahlen für ihn sprechen würden, so dass er die nicht geliebten Mitarbeiter einer überflüssigen Abteilung loswerden könne. Ich starrte den Rest des Tages abwechselnd auf den Bildschirm und aus dem Fenster; es schien so, als ob ich ihm seinen Wunsch erfüllen würde. Ich war sehr froh, als es endlich soweit war, dass ich meine Sachen greifen konnte, um zu meinem Klettertermin zu fliehen. Auf dem Weg nach Hause wurde ich ein wenig nervös, da mein Handy-Akku fast leer war. Ich mag die Stille nicht. Deshalb ist ein Nachhauseweg ohne Musik auch eine mittelschwere Katastrophe. Es reicht ja schon, wenn meine Gedanken mich die ganze Nacht wachhalten, dann müssen sie mir nicht noch die Entspannungsmomente des Tages klauen.

      Ich schaute auf die Uhr und überlegte, was ich noch schnell zu essen besorgen sollte, als ich das sichere Gefühl bekam, dass zu Hause Essen auf mich warten würde. Es kam ganz plötzlich, dafür aber sehr deutlich. Ich wunderte mich. Solche Vorahnungen waren eigentlich nicht mein Ding. Ich hatte mal eine Freundin in der Schulzeit, die mir manchmal von solchen „Intuitionen“ erzählte. Hatte sie selbst nie gehabt und konnte sie deshalb nicht nachempfinden. Dachte also immer, dass sie nicht ganz richtig im Kopf war oder sich wichtig tun wollte. Heute hatte ich, aus welchem Grund auch immer, dieses Gefühl mit einer Bestimmtheit, dass es unmöglich war, dagegen anzugehen. Ich war müde und stolperte die Treppen zu unserer Wohnung rauf. Ich schloss die Tür auf, und mir stieg schon dieser leckere Geruch in die Nase. Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich fühlte mich angekommen und an eine alte Geborgenheit erinnert. Ich konnte nicht ganz ausmachen, was so appetitlich roch. Es war ein angenehmer, bekannter Geruch, aber aus der Vergangenheit. Ich war noch in Gedanken vertieft, da kam Ben mir schon strahlend aus der Küche entgegen.

      „Wir haben eine neue Nachbarin. Beth, sie wohnt gleich gegenüber und hat uns heute, um sich bekannt zu machen, einen besonderen Nudelauflauf vorbeigebracht. Eine sehr nette Frau. Ein wenig verrückt sieht sie aus mit ihren wilden, lockigen Haaren, aber so eine nette Geste hat uns noch niemand hier im Haus zukommen lassen. Ich hatte so einen Hunger, ich habe ihn schon mal probiert. Er ist etwas anders, aber soo lecker. Soll ich dir ein Stück warm machen?“

      So viele Worte auf ein Mal hatte ich nicht erwartet. Ich nickte nur schwach und ging ins Bad, um mir die Hände zu waschen. Die ganzen Bakterien und den Schmutz der Welt da draußen einfach abwaschen. Das war immer das Erste, was ich machen musste, um entspannt ankommen zu können. Heute half noch etwas anderes: dieser Essensduft! Ich hatte das Gefühl, ich kannte ihn, ich kannte ihn sogar sehr gut! Ich beeilte mich, um in die Küche zu kommen. Ben hatte mir einen Teller mit Nudelauflauf hingestellt und eine Flasche Ketchup.

      „Beth hat gesagt, wir sollten den Auflauf auf jeden Fall mit Ketchup essen. Das sei der besondere Trick.“

      Ich gehorchte, goss ein wenig rote Soße über diesen duftenden, warmen Auflauf und nahm eine große Gabel. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich war. Als der Geschmack sich in meinem Mund ausbreitete, hätte ich mich fast an dem Bissen in meinem Mund verschluckt. Meine Sinne spielten verrückt. Bilder aus meiner Erinnerung schossen mir durch den Kopf: als kleines Mädchen mit meiner Schwester, als Jugendliche in Nürnberg. Woher hatte diese neue Nachbarin dieses Rezept? Das war mein allerliebstes Lieblingsgericht, als ich noch ein Kind war. Das hatten meine Oma und ich damals speziell für mich entwickelt. Es war sozusagen ein Familiengeheimrezept. Sehr merkwürdig. Ich genoss jeden Bissen davon und wurde in eine weiche Decke der Geborgenheit eingehüllt. Ich ergab mich einfach, ließ mich in den Genuss fallen. Ich war zu müde, um alles zu hinterfragen.

      Nach dem leckeren Essen redeten wir noch kurz über die Arbeit und gingen anschließend zu Bett.

      Ich konnte nicht gleich einschlafen. Normalerweise war das nie mein Problem. Ich war immer so erschöpft nach meinem Arbeitstag und dem Sport, dass ich weg war, sobald mein Kopf das Kissen berührte. Aber heute war das anders. Wie konnte das sein? Erst hatte ich eine Vorahnung, gab mich dieser sogar hin und dann wurde sie bestätigt ... Gut, dass Ben vielleicht Essen gemacht hätte, das wäre nichts Außergewöhnliches gewesen, aber eine Bestätigung durch ein Gericht, das ich aus meinen Kindertagen kannte, war doch recht ungewöhnlich. Ich musste am Wochenende mal zu dieser Beth rübergehen, mich bedanken und herausfinden, wie sie zu dem Rezept gekommen war. Ich hatte einen Plan, hatte die Kontrolle wieder, beruhigte mich und konnte endlich einschlafen.

      Das Wochenende war gekommen. Wie jeden Samstag, wenn Ben auf Geschäftsreise war, stand ich um acht Uhr auf, ging laufen und kaufte mir im Bioladen an der Ecke ein Bircher Müsli. Ich freute mich auf eine Dusche, mein Frühstück und die Arbeit, die ich gestern nicht mehr geschafft hatte. Gut, auf die Arbeit freute ich mich nur bedingt, aber was sein muss, muss sein, und ich wollte ja Max Schneider nicht die Genugtuung eines Vorsprungs geben. Ach ja, und ich wollte noch herausfinden, was es mit meiner Nachbarin auf sich hatte. Gedankenverloren lief ich zur Eingangstür und wurde plötzlich und unerwartet laut aus meiner Grübelei gerissen:

      „Guten Morgen, Lissi, ich habe schon auf dich gewartet, du warst laufen? Ich hätte nie gedacht, dass du freiwillig mal laufen gehen würdest. Aber Zeiten ändern sich, und Menschen ändern sich auch. Hattest du denn Spaß? Machst du das häufiger? Was gibt es denn zum Frühstück? Ein leckeres Schweineohrgebäck?

      Ich hielt ihr völlig perplex das Bircher Müsli entgegen.

      „Müsli an einem Samstag und das nach dem Laufen, wow, ich bin erstaunt. Na, wenigstens müssen wir uns nicht um deine Gesundheit kümmern, das machst du ja anscheinend vorbildlich für uns beide.“

      Wovon sprach diese Frau, und wer war sie? Ich kannte sie doch gar nicht! Woher kannte sie meinen Namen. Ich hatte noch nicht einmal die Chance gehabt, sie richtig zu begutachten. Aber sie kam mir nicht bekannt vor. Woher auch. Sie war mir fremd und sie sprach mit mir, als ob wir alte Freunde wären. Ich war wie angewurzelt und hörte nur immer weiter Worte aus ihrem Mund auf mich einprasseln. Mein Gehirn kam langsam wieder in Betrieb nach dem Schock, so überrumpelt worden zu sein. Ich begann, sie mir genauer anzuschauen.

      Sie hatte ungefähr meine Größe, naja, um genau zu sein: sie hatte genau meine Größe, sie hatte auch ungefähr meine Figur, vielleicht ein wenig breitere Hüften und nicht so trainierte Beine wie ich, die Haare waren lockig, wohl solche Locken, wie ich sie hatte, bevor ich meine Haare ausgehfein machte. Sie hatte sie zu einem Zopf zusammengebunden, und von da aus standen sie in alle Richtungen ab. Und ihr Gesicht! Das ließ mich nicht los, konnte das sein oder war ich einfach nur übermüdet. Ich rieb mir die Augen, um sicher zu gehen, dass ich nicht träumte. Während sie weiter auf mich einredete, über das Wetter und wie beeindruckt sie sei, dass ich mich bei solcher Kälte und Regen draußen körperlich betätige, schaute ich ihr wieder ins Gesicht: Es war der gleiche Anblick wie auch davor. Es änderte sich nichts, sie sah aus wie ... ja, sie sah aus wie ich! Ich war in meine Kindheit zurückversetzt. Damals hatte ich gerne das 'Doppelte Lottchen’ gesehen. Aber das war doch nur ein Film! Meine Eltern sind nicht geschieden, ich habe auch keine heimliche Zwillingsschwester, von der ich getrennt worden war. Da war ich mir sicher! Vielleicht waren meine Eltern ja auch gar nicht meine Eltern, das würde auch einiges erklären. Aber sie, erkannte