Hannah Albrecht

Eine von Zweien


Скачать книгу

Ich konnte mich nicht erinnern. Es war zu lange her, eine Ewigkeit. Ich konnte mich absolut nicht daran erinnern.

      „An dem Sonntag, bevor du nach Berlin gegangen bist.“

      Beth’ Stimme riss mich aus meinen Gedanken und meinem Genuss. Mit einer Ruhe und Beiläufigkeit, dass ich erst mal überhaut nicht wusste, was sie mir damit sagen wollte, oder ob ihre Worte überhaupt an mich gerichtet waren.

      „Was sagst du?“

      „Du hast Croissant und heiße Schokolade das letzte Mal an dem Sonntag genossen, bevor du nach Berlin gezogen bist.“ Sie nickte sich selbst zustimmend zu und war wieder in ihrem Essen versunken. Sie hatte Recht.

      Das war nur wenige Tage, bevor ich Nürnberg den Rücken kehrte, um nach Berlin zum Studieren zu gehen. Das war eine Idee, die auch erst kurz vor diesem Sonntag entstanden war. Ich hatte beschlossen, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Ich wollte in eine neue Welt und das unbedingt. Bloß raus aus dem bekannten Umfeld! Ich hatte damals meine Zeit immer in Nürnberg verbracht, abgesehen natürlich von den Familienferien. In der Schulzeit hatte ich auch keinen Austausch gemacht. Ich war in Nürnberg geblieben, während einige der Schulkameraden die Welt erkundet hatten. Damals hatte ich nie dieses Gefühl gehabt, raus zu müssen, weg von zu Hause. Ich hatte mich rundum wohl gefühlt. Früher hätte ich mir nicht träumen lassen, Nürnberg längere Zeit alleine den Rücken zu kehren. Naja, da war auch noch alles anders. Heute wohne ich in Berlin, habe einen guten Job, bin erfolgreich und lebe in einer sicheren, liebevollen Beziehung mit einem Mann, der mir die Sterne vom Himmel holen würde. Also kann ich doch sagen, alle Entscheidungen waren die richtigen. Alles goldrichtig! Jetzt musste ich nur herausfinden, was Beth hier machte. Warum sie hier war.

      „Also“, fing ich vorsichtig an, „was machst du denn hier in Berlin?“

      Beth schaute erstaunt hoch und musterte mich mit dem Blick, den ich genau kannte ... naja, zumindest denke ich, dass der Blick von außen so aussehen muss. Normalerweise war ich ja diejenige, die ihn verteilte. Er sollte mir klar machen, dass ich das doch genau wissen müsste und mich nicht so dumm stellen sollte.

      „Ich muss dich enttäuschen, Beth, ich habe keine Ahnung warum. Ich habe auch keinen Anhaltspunkt! Ich kann mir nicht erklären, wie es möglich ist, dass ich quasi zweimal hier bin.“

      Beth fing an zu lachen. „Glaube mir, keiner von uns ist zweimal hier. Oder willst du sagen, dass wir gleich sind? Sicher nicht, oder? Schau uns doch mal an! Meine Gute, das Thema hatten wir schon einmal, aber selbst dein Freund hat die Ähnlichkeiten nicht erkannt, also keine Panik. Aber ich weiß, was du meinst. Es ist nicht alltäglich und durchaus erklärungsbedürftig. Wie ich sehe, hast du wirklich keine Ahnung. Das glaube ich dir, aber vielleicht sollte ich dir nichts sagen. Vielleicht solltest du alles selbst herausfinden.“

      „Wenn ich alles selbst hätte herausfinden sollen, dann wärst du doch nicht geschickt worden, oder?“ Ich hatte keine Lust auf Spielchen und wollte nur schnell Antworten, damit dieser Spuk so schnell wie möglich vorbei sein würde. So wie Beth aussah, hatte ich mit meinem Einwand ins Schwarze getroffen.

      „Möglicherweise hast du da Recht!“, sagte sie. „Aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich dir alles vorbeten kann. Das ist sicher nicht die Idee dahinter. Und es muss auch einen Grund geben, warum wir so unterschiedlich sind. Weil, – darauf können wir uns einigen –: wir sind zwar irgendwie die Gleiche, aber ganz anders die Gleiche, richtig?“

      Die Gleiche, aber ganz anders die Gleiche, na, das hatte sie aber hübsch kompliziert ausgedrückt. Vorbeten, was sollte sie mir denn vorbeten wollen? Wusste sie selbst denn, warum sie hier war?

      „Ja, stimmt schon, aber willst du mir sagen, du hast auch keine Ahnung, was du hier machen sollst?“

      Beth lächelte: „Ha, da haben wir doch etwas Elementares gemeinsam, ich bin auch so furchtbar ungeduldig. Keine Angst, ich weiß schon, warum ich hier bin. Also, ich kenne den Grund, ich weiß aber nicht genau, wo die gemeinsame Reise enden soll. Da hatte ich gehofft, dass du mir die Antwort geben würdest. Aber so, wie es aussieht, sollen wir das gemeinsam herausfinden. Oder ich soll dich leiten, damit du findest, was bei dir nicht stimmt oder fehlt, und vielleicht kann ich auch noch von dir etwas mitnehmen.“

      Sie schien überzeugt, dass uns diese ganze Erfahrung einen Zugewinn bringen wird. Ich wollte lieber schnell damit durch sein. Was soll denn bei mir nicht stimmen?!

      „Aha, und wie lange soll das bitte dauern? Oder wie soll das bitte ablaufen? Treffen wir uns einmal die Woche? Ich meine, es gibt Bücher über so etwas, Romane, in denen lag das Leben der Hauptdarstellerin im Argen. Aber Beth, seien wir doch mal ehrlich, bei mir ist doch alles super!“

      „Na, das werden wir ja sehen. Du hast übrigens einen unglaublich gut aufgeräumten Tassenschrank, ich war beeindruckt. Nach Farben und Größen sortiert, das habe ich sicher noch nie gesehen, außer in einem Geschäft. Sehr hübsch, wann hast du denn dafür die Zeit gefunden?“

      „Vor ein paar Tagen konnte ich nachts nicht schlafen und ich erinnerte mich, dass ich schon ewig dort Ordnung machen wollte“, sagte ich und ignorierte bewusst Beth’ Blick, der versuchte, mir etwas zu sagen. Ich hatte kein Interesse daran, ihr von dieser Nacht oder den vielen schlaflosen Nächten davor zu erzählen. Ob sie davon wusste, oder ob das genau darauf eine Anspielung war, war mir letztendlich egal. Ich wusste nicht, woher die Träume kamen, aber wie sollten die bitte darlegen, was mir in meinem Leben fehlte. Also, überflüssig darüber zu philosophieren.

      Kapitel 3

      Nach dem ausgiebigen, nach Erinnerung schmeckenden Frühstück gingen wir in Beth´ Wohnung hinüber. Was sollte ich hier denn schon finden? Als ich den Flur betrat, fiel mir schnell die Wohnlichkeit auf. Ich hatte eine Wohnung voll von Kisten und vielleicht hier und da noch unfertigen Ecken erwartet. Fehlanzeige! Alles war eingerichtet und dekoriert. Es hingen auch schon Bilder an der Wand, teils gezeichnet, teils mit dicken Farbbalken. Einige erinnerten mich an Ideen, die ich früher hatte, als ich noch malte. Egal, darüber wollte ich nicht nachdenken. Das war lange her! Ich war hier, um mir die Wohnung genauer anzuschauen und Beth kennenzulernen. Alles war freundlich, ein wenig chaotisch, so wie Beth´ Haare. Bunt, gemütlich, nicht alles, was zu sehen war, hatte einen Nutzen, vieles schien einfach aus Sentimentalität oder Dekoration da zu stehen. Ganz im Gegensatz zu meiner Wohnung war hier alles so wild, so – wie soll ich sagen ... vielleicht traf es “lebendig“. Wir bogen in den Raum ein, der zum Wohnzimmer führte. Und plötzlich standen wir in einem Meer von Farben, Leinwänden und Kreativität. Ich war für einen kurzen Moment erschlagen. Die Sonne hatte sich in der Zwischenzeit durch die dichten Wolken gekämpft und durchflutete den Raum. Ich musste meine Augen zusammenkneifen, um überhaut noch etwas erkennen zu können. Es war magisch, kleine Staubkörner tanzten umher, und ich empfand ein Kribbeln in den Fingern, eine Lebendigkeit, ich fühlte und wollte alles einfach in mir aufnehmen, aufsaugen, um es in schweren Momenten nutzen zu können. Langsam hatten meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt. Ich suchte Beth. Sie stand in der Mitte mehrerer Leinwände und schaute mich an. Die Atmosphäre, die hier herrschte, war wunderschön und zauberhaft. Ich war wie gelähmt, im guten Sinne, wie verzaubert.

      „Alles OK bei dir?“ Beth war sich wohl nicht so sicher, wie es mir ging. Ich war nur noch in der Lage, mit dem Kopf zu nicken.

      „Du malst gar nicht mehr?“, wollte sie wissen. Ich war mir nicht sicher, ob sie die Antwort schon kannte. Aber sie wollte die Antwort hören, dann würde ich sie ihr geben. Warum auch nicht?!

      „Nein. Ich hatte, als ich nach Berlin ging, keine Zeit mehr dafür.“ Ich wollte ihr nicht die ganze Wahrheit erzählen, ich habe überhaupt nie jemandem die Wahrheit erzählt. Ben denkt sogar, ich hätte mit Malen, Farben und Kunstausstellungen nichts am Hut. Ich wollte nie wieder etwas damit zu tun haben. Es erinnerte mich an damals, und da wollte ich nicht mehr hin. Die Vergangenheit sollte in der Vergangenheit bleiben. Beth schaute mich irritiert an. Ich bekam ein beklemmendes Gefühl. Vielleicht kannte sie die Wahrheit schon?

      „Also, nur zu deiner Info“, sagte sie mit klarer Stimme. „Ich kenne nicht alle Einzelheiten,