Hannah Albrecht

Eine von Zweien


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könnte mal schauen, wo ich stehen würde, wenn ich ihre, wenn ich Beths Entscheidungen getroffen hätte. Aber wo hatten sich unsere Wege getrennt? Ich musste versuchen, chronologisch darzustellen, wann ich welche wichtige Entscheidung getroffen hatte und dadurch andere wichtige Wege und Richtungen verworfen hatte. Hatte es vielleicht mit dem Malen angefangen? War das der Grund, warum sie mir diese Frage vorhin gestellt hatte. Wollte sie mich zu diesen Gedanken führen? Oder bilde ich mir wieder etwas ein? Egal, ich versuchte, ein langes Blatt Papier zu finden. Darauf wollte ich einen Zeitstrahl, den Verlauf meines Lebens aufmalen. Hatte ich nicht vielleicht irgendwo eine Rolle Backpapier? Das wäre lang genug. Nein, natürlich nicht. Ich brauchte so etwas ja nie. Aber vielleicht hatte Ben ja irgendwo welches versteckt. Er war bei uns der Koch und der Genießer im Haus. Aber wo hatte er diese doofe Rolle nur verstaut? Ich konnte sie nicht finden. Ich schaute in jede einzelne Schublade in unserer gut geordneten Küche. Nirgends war sie zu finden! Ich musste etwas anderes suchen. Ich schaute mich hektisch in der Küche um. Hier war kein Ersatz zu erwarten. Auf Klopapier kann man nicht schreiben, also brauchte ich im Bad gar nicht zu suchen. Ich ging ins Arbeitszimmer und schaute mich verzweifelt um. Es musste doch etwas zu finden sein. Ich sah, wie mir der Tesafilm von seinem Platz auf dem Schreibtisch zublinzelte. Na klar, ich werde einfach mit einem Papier anfangen und dann ein Blatt nach dem anderen mit Tesafilm zusammen kleben. Dass ich erst jetzt auf die Idee kam! Ich war aber auch zu verwirrt. Ich suchte mir aus den nach Farben geordneten Stiften vier Farben heraus und machte es mir auf dem Boden gemütlich. Die Geburt und die Kleinkindzeit konnte ich weglassen. Da gab es sicher keine Entscheidungen, die ich anders als Beth getroffen hatte. Der größte Unterschied zwischen uns beiden, ist wohl der Job und der damit verbundene Lebensstil. Naja gut, und die Lebenseinstellung. Apropos Lebensstil, hatte Beth überhaupt einen Partner an ihrer Seite? Oder hatte sie der Beziehung abgeschworen? Ich hatte keine Fotos von ihr mit einem Mann an den Wänden gesehen, und gesagt hatte sie auch nichts. Aber sie wäre sicher auf dem Thema rumgeritten, wäre es von Bedeutung gewesen. Also war ich wieder bei der Frage angekommen: hatte es etwas mit dem Malen zu tun? Mit dem Beruf? Das war doch ihr Thema gewesen.

      So klappte das nicht! Ich konnte es nicht allein. Ich musste sie mit einbeziehen. Sollte ich sofort rübergehen und bei ihr klingeln, um zu versuchen, es mit ihr gemeinsam zu ergründen? Ich würde ihr damit sicher die Genugtuung schlechthin geben. Ich würde ihr die Möglichkeit geben, mit tiefen Gesprächen in mich einzudringen, und sie würde versuchen, mich selbst auch dazu zu bringen. Nein! Darauf hatte ich keine Lust. Wie spät war es eigentlich? Ich hatte das Zeitgefühl völlig verloren.

      In mein Selbstgespräch versunken und bei der Suche nach einem Schnittpunkt oder dem Scheideweg zwischen Beth und mir war die Zeit einfach davongerannt. Ich bekam einen Schreck, ich hatte mich doch zum Tennismatch mit den Kollegen verabredet. Ich wusste zwar nicht, wer kommt, aber ich hatte mich zu 17 Uhr eingetragen, und es war schon halb fünf. Ich musste schnell meine Sachen packen und los. Als ich gerade die Tür öffnen wollte, um rauszugehen, klingelte es. Beth stand in Sportsachen vor der Tür. Ich war überrascht und unvorbereitet, sie zu sehen. Ich dachte, ich hätte für heute meine Ruhe vor ihr. Aber da hatte ich meine Rechnung ohne die liebe Beth gemacht.

      „Ich dachte schon, du hast den Termin vergessen!“, sagte sie und grinste mich an.

      Was wollte sie schon wieder? Innerlich freute ich mich, denn selbst, wenn wir zu einem Termin verabredet gewesen waren, hatte ich keine Zeit, ich musste ja zum Tennis.

      „Welchen Termin?“ „Na, den wir mit deinen Kollegen zum Tennisspielen abgemacht haben.“ Ich war verwirrt. Woher wusste sie denn schon wieder davon? Sie konnte sich doch nicht so einfach einladen. Ich musste die Sache klar stellen.

      „Den ICH mit meinen Kollegen habe? Ich wusste ja nichts von dir. Da konnte ich dich auch nicht eintragen. Es tut mir leid.“ Auch wenn das nicht stimmte, dass es mir leid tat, aber ich war froh, eine Ablenkung und eine Gedankenpause zu bekommen.

      „Das war gemein, das hat richtig im Bauch gezeckt! Wir hatten doch einen Pakt! Lüg mich doch bitte nicht an, das ist einfach nur unangenehm. Schau, auch wenn es dir nicht gefällt, ich wusste von dem Termin, und deshalb komme ich mit. Ich denke, so soll das laufen. Soll ich nicht dabei sein, dann werde ich auch keine Ahnung davon haben. Also lass uns gehen und stell dich nicht so an!“, sagte sie mit Nachdruck und setzte sich Richtung Haustür in Bewegung.

      „Wofür soll das bitte gut sein?“, fragte ich halb aufgebracht, halb aufgebend.

      „Das werde ich wissen, wenn ich dabei war. Sobald ich es herausgefunden habe, sag ich dir Bescheid? Einverstanden?“ Ihre Worte und ihre Stimme hatten einen sehr bestimmenden Ton.

      „Alles klar, einverstanden“, war das Einzige, was ich rausbrachte. Beth sah nicht so aus, als ob sie eine andere Antwort akzeptieren würde. Der arme Ben, ich glaube, ich konfrontierte ihn auch oft mit solchen kompromisslosen Situationen. Erst, wenn man selbst den Spiegel vorgehalten bekommt, wird es einem deutlich, wie man mit anderen Menschen in bestimmten Situationen umgeht. Ich musste aufpassen, Ben nicht mehr so zu behandeln. Das war ja wirklich ätzend!

      „Noch eine Sache“, sie strahlte mich an. „Könntest du aufhören, mich als deinen Feind zu sehen. Ich bin hier, damit es dir, wenn ich gehe, besser geht. Also sind wir doch beide auf der gleichen Seite.“

      „Ja, aber Beth, mir geht es doch nicht schlecht!“

      Ich startete einen letzten kläglichen Versuch, sie abzuwehren. Aber mir ging es doch wirklich nicht schlecht. Eigentlich sogar gut! Also, es gab mit Sicherheit andere Menschen, denen es um einiges schlechter ging. Vielleicht sollte das Universum, oder wer auch immer, lieber denen Energie schicken, die sie wirklich brauchten, und sie nicht mir unnötig aufdrängen.

      „Ok, das ist jetzt nicht unser Thema, jetzt gehen wir erst mal Tennis spielen.“ Ohne es zu einer weiteren Diskussion kommen zu lassen, kam sie zurück, hakte sich bei mir ein, machte die Tür hinter mir zu und zog mich Richtung Straße.

      Die Halle war 15 Minuten Fußmarsch von mir – oder besser: von uns – entfernt. Mir hatte unsere Unterhaltung von eben die Sprache verschlagen. Ich sagte darauf kein Wort mehr, was Beth nicht viel auszumachen schien. Sie redete über ihre letzten Tenniserfahrungen, die schon länger her, aber sehr lustig waren. Zumindest die Letzte. Sie spielte mit irgendeinem jungen Mann, der sehr gut zielen konnte, vor allem auf Dinge, die nichts mit Tennis zu tun hatten. Fazit war dann ein blaues Auge, nicht bei ihr, sondern bei ihrem Gegenüber. Der hatte sich ungeschickt mit dem eigenen Schläger ins Gesicht gehauen und gezielt das Auge getroffen. Ich ließ mich einfach treiben, und plötzlich standen wir auch schon vor der Halle, wo meine Kollegen bereits auf mich warteten. Sie schienen sogar erfreut, mich zu sehen.

      „Lissi, schön, dass du hier bist! Das ist ja genial! Wusstest du, dass Katja heute ausfällt? Hatte sie dich angerufen?“ Georg schaute von mir zu Beth.

      „Nein, wieso sollte ich das gewusst haben?“ Ich stand auf dem Schlauch.

      „Na, weil du uns ja gleich Ersatz mitgebracht hast.“

      „Ach so, ja klar, deshalb, das ist Beth, sie ist ...“, aber Beth ließ mich nicht aussprechen. Was auch besser war, denn ich hätte nicht gewusst, wie ich sie hätte vorstellen sollen.

      „Ich bin ihre Verwandte aus Nürnberg, ich bin vorübergehend in Berlin. Vielen Dank, dass ich heute dabei sein darf. Freut mich, dass ich einspringen kann.“

      Wir gingen rein, und Beth sah mich fragend an: „Warum hast du mir nicht alle vorgestellt?“

      „Das kann ich doch jetzt noch machen, ich wusste nicht, dass dir das so wichtig ist.“

      Wir hatten alle unsere Taschen auf die Bänke gestellt und unsere Schläger rausgeholt, als Beth mich anstieß.

      „Also Beth, Georg hast du ja kennengelernt, das ist Max, und das sind Tina und Kathrin. Kathrin, Tina, Georg und Max, das ist Beth, meine Verwandte aus Nürnberg.“

      Wir waren uns einig, Max und Georg würden in getrennten Teams spielen und ‚Familie’ sollte auch nicht zusammen spielen, damit niemand im Vorteil sein würde. Also war ich mit Georg, dem Beständigen, in einem Team. Max, der nicht nur der hinterhältige Schleimer der Firma ist, sondern auch unser