Hannah Albrecht

Eine von Zweien


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Ben ist es anders. Wir respektieren uns auf ganzer Linie. Er würde mir nie wehtun, und er ist so lieb. Wir verstehen uns super. Wir geben uns die nötigen Freiräume, und alles läuft gut. Er ist mein Vertrauter, aber sollte es hart auf hart kommen, dann würde ich ohne weiteres ohne ihn auskommen können! Das hört sich jetzt sehr hart an, aber ganz so ist es nicht gemeint. Ich habe einfach gelernt, dass ich mich auf nichts verlassen kann. Also muss ich darauf achten, dass ich auch immer alleine klar komme. Also, bei uns ist alles einfach super, ok?!“

      „Alles klar!“ Beth verzog das Gesicht. Ich war mir sicher, dieser Gesichtsausdruck gehörte nicht zu meinem Repertoire. Den hatte sie sich angeeignet, nachdem wir unterschiedliche Wege gegangen waren.

      „Lissi, was sind deine Träume? Hast du irgendetwas, was du noch unbedingt machen willst? Etwas, was du schon lange machen wolltest?“

      „Nein, eigentlich nicht. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe und wie alles ist. Es ist immer so wie erwartet, und das mag ich auch. Alles ist berechenbar und dadurch kontrollierbar. Für dich hört sich das vielleicht wie eine öde Bestrafung an, aber für mich ist das Sicherheit. Sicherheit, dass ich nicht von plötzlichen Veränderungen überrascht werde.“

      „Aber Lissi, Unsicherheiten und Risiken, das nennt man doch Leben! Es ist nicht alles vorausplanbar und kontrollierbar. Es gibt so viele Varianten, die du alle nicht vorhersehen kannst.“

      „Ich glaube, man kann sehr viel planen. Die paar Dinge, die nicht planbar sind, sind erträglich.“

      „Ok, ok!“ Es schien fast so, als ob Beth aufgeben wollte. Ich pfuschte ihr nicht in ihrem Leben herum, dann musste sie doch auch nicht die ganze Zeit in meinem rumwurschteln. Ich hatte aber noch eine Sache im Kopf: ich war zwiegespalten und wusste nicht, ob ich es wirklich wissen wollte. Aber eigentlich stand ich doch über diesen Dingen. Ich war doch auch stolz darauf, was ich bis jetzt erreicht hatte. Ich musste mich nicht verstecken!

      „Beth, wie kam es, wie war es, als du dich dazu entschieden hast, wirklich mit der Kunst weiter zu gehen? Vor allem: wie hast du das bei unserem Dad durchgeprügelt?“

      „Ich habe niemanden gefragt, nichts hinterfragt, ich habe damals einfach aus Trotz mein Ding durchgezogen. Nach dem Gespräch mit Lukas habe ich die ganze Nacht nicht geschlafen und bin im Internet herumgesurft und habe überall die Möglichkeiten gecheckt, wie ich in anderen Ländern an die Unis kommen könnte. Ich habe alle Vorbereitungen in den direkt danach liegenden Wochen getroffen. Mum und Dad haben mir einen Trip nach Italien ermöglicht, damit ich auf andere Gedanken komme. Dort habe ich für drei Monate einen Sprach- und Kunstkurs gemacht und mich entschlossen, in München an der Akademie der Künste zu bewerben. Im Jahr darauf habe ich dort einen Platz bekommen. Im Studium habe ich mein Auslandssemester in Florenz verbracht. Von meinen Plänen, davon hatte ich gar nichts erzählt. Ich habe sie beide, vor allem Dad, einfach vor vollendete Tatsachen gestellt. Dad und ich haben eine Weile danach kaum mehr miteinander geredet. Du weißt ja, wie er ist. Aber, als ich dann mit meiner Kunst langsam erfolgreich wurde und mit der Kunst mein Brot verdienen konnte, kam auch er zu meinen Ausstellungen. Das hat natürlich seine Zeit gedauert, bis er meine Arbeit vollkommen akzeptieren konnte. Aber er musste sich daran gewöhnen, und das hat er dann auch. Hast du denn alle deine Pläne mit den Eltern besprochen?“, fragte Beth ironisch.

      Ja, am Anfang schon. Sie hingegen hatte sich also komplett auf sich selbst verlassen. Bei mir kam der Knick nach dem Gespräch. Ich fiel in Dads Arme und habe mich einfach seinem Plan hingegeben. War es das? War das der Unterschied? Ich war noch ganz in Gedanken, als ich langsam anfing, ihr zu antworten.

      „Nein, naja am Anfang schon. Dad fand die Idee, dass ich Wirtschaftsprüferin werde, natürlich großartig. Er war ja auch derjenige, der mir das Praktikum besorgt hatte. Von da hat sich alles verselbstständigt. Unsere Eltern erwarteten, glaube ich, beide, dass ich nach dem Praktikum wieder nach Hause komme. Ich habe das dann alles alleine durchgezogen. Aber du, Beth, noch eine Frage: kann man denn mit Malen Geld verdienen?“

      Beth fuhr sich durchs Haar: „Der Anfang war sehr schwer. Nach dem Abschluss meines Studiums hatte ich zwar das Glück, mit einer Gruppenausstellung durch verschiedene Galerien zu touren und dabei auch Bilder zu verkaufen. Das war das Abschlussprojekt, das die Uni jedes Jahr macht, um uns Abgängern den Einstieg zu sichern. Aber erstmal habe ich hauptsächlich Geld verdient, indem ich unterrichtet habe. Nebenher habe ich mir eine Webseite aufgebaut und einen Facebook-Account, um mich auch im Netz als Künstlerin aufzustellen. Das hat seine Zeit gedauert, und in der Zwischenzeit habe ich Kinder in einer kleinen Malwerkstätte unterrichtet. Das hat mir damals viel Energie gegeben.“

      Soviel unbedarfte, kindliche Kreativität, dachte ich, das war großartig!

      „Die Erfahrungen mit den Kindern haben mich der Malerei wieder näher gebracht. Durch das Studium und den Umgang mit anderen Künstlern verlierst du den Spaß. Es geht nur noch um die Noten und darum, anderen zu gefallen. Alle haben ihren eigenen Stil und ihre eigene Meinung, auch zu deiner Kunst, und es entsteht ein sehr destruktiver Sog untereinander. Zusätzlich wirst du dann auch darauf getrimmt, wirtschaftlich zu denken. Das ist gut, um zu überleben, versteh mich nicht falsch. Aber es kann die Ideenvielfalt einschränken. Diese Kinder haben mich wieder inspiriert und mich von dem Eisenmantel befreit, der mir mit der Zeit die Freiheit und die Ideen genommen hatte. Ich habe drei Mal die Woche unterrichtet und nachts gemalt. Die gemalten Bilder habe ich fotografiert und hochgeladen, und daraufhin hat es sich verselbständigt. Einer meiner Kontakte aus Florenz hat die online gestellten Bilder einem Bekannten gezeigt. Dieser Bekannte war Organisator von Benefizveranstaltungen in Museen und Galerien und hat meine Arbeit für eine Ausstellung vorgeschlagen. Von da aus ging es weiter! Es wurde eine richtig große Angelegenheit daraus. Ich bin sehr dankbar und kann sagen, ich hatte sehr viel Glück. Doch, ja, Glück gehört mit Sicherheit auch dazu.“ Beth’ Wangen glühten, als sie mit ihren Ausführungen fertig war.

      „Wow, das hört sich alles sehr aufregend an. Das hast du alles alleine auf die Beine gestellt?“ Ich war nachdenklich geworden. Nach dieser Erzählung begann ich, Beth in einem anderen Licht zu sehen. Vielleicht konnte ich tatsächlich noch etwas von ihr lernen! Sie hatte sich durchgeboxt, ohne Sicherheiten. Ich war beeindruckt. Aber sie hatte auch Glück gehabt.

      „Nein, nicht ganz alleine. Alice, unser Schwesterherz, sie wurde zu meiner Heldin. Sie hat die Verteidigung an der Front zu Hause übernommen. Ich darf auch nicht die Mädels vergessen. Ohne ihre aufmunternden Worte wäre alles sehr viel schwieriger und einsamer gewesen.“

      „Hört sich alles toll an“, sagte ich nachdenklich, während ich von meinen Gedanken und Gefühlen umhüllt wurde.

      Wehmut machte sich breit. Ja, die Mädels. Früher waren wir eine eingeschworene Bande. So unterschiedlich, aber immer füreinander da. Bis ich mich nach Berlin verkrochen hatte. Ob die sich alle noch so trafen wie damals? Oder ob die anderen auch schon die sichere Heimat verlassen hatten. Das werde ich wohl nicht mehr erfahren.

      „Ja, es ist toll geworden. Es war hart, aber das Ergebnis hat alles in die richtige Perspektive gerückt. Ich bin sehr dankbar und glücklich.“ Beth hatte einen Glanz im Gesicht. Sie schien von Grund auf zufrieden und wirklich glücklich. Ich konnte mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass ich noch nie jemanden gesehen hatte, der in mir diesen Eindruck hervorrief. Es war schön anzusehen. Glücklich, sie schien richtig glücklich! Mir reichte schon einfache, abgewogene Zufriedenheit. Wenn ich mich in meinem Leben umsah, gab es wenigstens nichts, was mich unglücklich machte. Ich konnte zufrieden sein mit alledem, was ich hatte.

      Nach Glück zu streben, ist eine sehr heikle Angelegenheit. Glücklich sein geht nicht, ohne Risiken einzugehen, vor allem das Risiko ohne Auffangnetz, unglaublich, wahnsinnig verletzt zu werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder den Mut zur Bewältigung möglicher Rückschläge zu finden. Ich war zufrieden mit dem Zufriedensein. Ja, ich bewunderte Beth. Hätte ich ihre Kraft, würde ich die Schritte wagen, aber wir sind halt verschieden.

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