Manuela Tietsch

Der Gesang des Einhorns


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früh am dritten Morgen brach Malinda auf. Es dämmerte gerade erst, die Grenze zwischen Himmel und Erde wurde von einem tiefen grau geschluckt. Noch nie hatte sie dermaßen viel für eine Reise vorbereitet, aber sie wollte Dolina nicht verletzen, die sich so viel Mühe gab. Bisher brauchte sie kaum mehr als das, was sie am Leibe trug.

      Dolina verabschiedete sich tränenreich von ihr und auch Fedan war blass im Gesicht. Malinda konnte nicht weinen, obwohl ihr die ungeweinten Tränen auf der Seele brannten, doch seit dem verhängnisvollen Tag hatte sie nicht eine einzige Träne mehr vergossen. Die unausgesprochene Frage, ob sie einmal zurückkehrte, beantworteten ihre Augen mit einem Ja, doch wann das sein würde, wer wusste das schon? So umarmten sie sich lange und versuchten je ein Stück des anderen in sich aufzunehmen, damit es in den Zeiten der Trennung im Herzen fest verankert bliebe.

      Traurig und ängstlich zugleich brach sie schließlich auf, einer sehr erregten Stute und ihrem Sohn folgend. Kleiner Bruder war inzwischen zu einem stattlichen Hengstchen herangewachsen. In ihm schlug das Herz eines starken Tieres und er war neugierig, wie alle Pferde.

      Auch sie spürte eine gewisse Ungeduld aber die Angst vor dem was folgen würde, war stärker. Sie fürchtete sich auch vor dem ersten Zusammentreffen mit dem alten Laird. Wer konnte sagen, ob er warten würde, bis sie ihm auf ihre Art mit Gesten erklärt hatte, wie sie an die beiden Tiere gekommen war. Wenigstens blieb das Wetter ihnen hold und sie kamen, für Malindas Empfinden, viel zu gut voran.

      Wie im Herbst schlich jeden Morgen ein dicker Nebel über den Boden, der sich erst gegen Mittag wieder verzog, dann allerdings leuchteten die Pflanzen und der Himmel in glasklaren Farben. Tagsüber erwärmte sie die zunehmend höher steigende Sonne, des Nachts kroch der Nebel wieder über das Land, wie ein Lindwurm der alles verschlang. Trotz der Trockenheit am Tag, ließ der feuchte Nebel Malindas Kleidung klamm und schwer an ihrem Körper zurück.

      Was sie jedoch in Wahrheit frösteln ließ, war weder der Nebel noch die kalten Nächte. Die Angst hatte sich in ihr Herz geschlichen. Sie konnte Tapferes Mädchen kaum dazu bewegen in Deckung zu bleiben, im Gegenteil, und ein Gefühl beschlich sie, dass die Schritte der Stute von Augenblick zu Augenblick schneller wurden. Sie fürchtete sich davor Menschen zu begegnen, hier in der Nähe des Lairds. Unter Umständen fragten sie nicht lange, sondern knüpften sie gleich auf. Nicht selten überfiel sie der Wunsch einfach abzuspringen und Tapferes Mädchen alleine weiterziehen zu lassen.

      An jenem Morgen war der Wunsch zu fliehen so übermächtig, dass Malinda liegen blieb, anstatt wie sonst in aller Frühe ihre Sachen zu packen und der Stute zu folgen.

      Tapferes Mädchen schien durch ihr Verhalten in große Not geraten zu sein, denn sie galoppierte immer wieder ein Stück fort, um jedoch wieder zurückzukehren, als wollte sie ohne Malinda keinen Schritt gehen.

      Malinda fügte sich schweren Herzens ein weiteres Mal.

      Drei Tage später, die Sonne brannte heiß herunter, erreichten sie eine größere Siedlung. Eine klobige Burgfeste hockte auf einem Hügel und drum herum standen eine große Anzahl winziger Häuser. Zwischen den Gebäuden wimmelte es nur so von Menschen. Die Festung lag an einem dunklen See, in den der Hügel bis zur Hälfte hineinragte. Man konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der See das Land erobern wollte, oder der Hügel schon verschlucktes Land zurückforderte. Kein Wimpernschlag verging, ehe man sie bemerkte und Tapferes Mädchen alles daran setzte, dass man auch im hintersten Winkel auf sie aufmerksam wurde.

      Sie wieherte laut und schrill.

      Sogleich ertönte von unten dieselbe schrille Antwort. Schon sah Malinda ein Pferd den Hügel heraufgaloppieren. Sie spürte wie sich die Muskeln von Tapferes Mädchen spannten, um dem anderen entgegen zu eilen. Sie konnte im letzten Augenblick abspringen.

      Tapferes Mädchen lief los. Kleiner Bruder folgte dichtauf.

      Auf halber Strecke trafen sich die Tiere. Sie beschnupperten sich, führten einen tänzerischen Reigen auf. Malinda bewunderte die anmutigen und geschmeidigen Bewegungen. Das war der Vater von Kleiner Bruder, kein Zweifel. Die drei glänzten in der Sonne wie eingewachst. Sie verlor sich in dem wunderbaren Anblick dieser schönen Tiere.

      Wie aus heiterem Himmel schoss es ihr durch den Kopf. Jetzt oder nie. Das war vermutlich ihre einzige Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen. In Gedanken rief sie den beiden ein Lebewohl zu, ehe sie sich umwandte und davon eilte.

      Alasdair rannte wie ein Besessener den Hügel hinauf, die anderen hinterher. Er hatte gewusst, dass sie kommen würde. Sie war wirklich zurückgekehrt. Aye, er hatte es gewusst und sein Herz lächelte voller Stolz und Wohlwollen.

      Nechtan holte auf. „Du hattest Recht!“

      „Das hatte ich!“ Alasdair war überglücklich. Sein Blick wanderte den Hügel hinauf, wo er den Burschen stehen sah, ehe dieser sich plötzlich umwandte und verschwand. Weshalb? Hatte er etwas zu verbergen? War womöglich doch er der Dieb gewesen? Er wirkte noch sehr jung und verdammt, er hatte Fionna geritten, ohne Zaumzeug oder Sattel.

      Als er Fionna erreichte, begrüßte sie ihn überschwänglich, ehe sie sich zu ihrem Sohn umdrehte, als wollte sie ihm zeigen wen sie mitgebracht hatte. Alasdair trat zu dem Junghengst, strich ihm über die weiße Stirn, während der an ihm schnupperte. Mit wenigen Schritten war sein Vater bei ihm, schubste ihn sanft mit der Nase am Hals.

      „Den habt ihr beiden gut hinbekommen!“ Alasdair lachte erfreut auf. Seine Augen suchten noch einmal die Hügelkuppe ab. Der Junge war nicht mehr zu sehen. Was soll´s, überlegte er, wenn er seinen Lohn nicht wollte, ihm war’s eins, Hauptsache die Stute war wieder hier und sein Hengst zufrieden.

      Unvermittelt riss Fionna den Kopf in die Höhe. Sie blickte ebenfalls zur Hügelkuppe hinauf. Ihr schrilles angstvolles Wiehern zerriss die Luft und schon galoppierte sie hinter dem Jungen her. Alasdair verstand die Welt nicht mehr. Was hatte er mit ihr angestellt? Hatte er sie verzaubert?

      Nechtan erschien neben ihm. „Hast du die tiefen Narben gesehen?“

      Alasdair nickte nur.

      „Glaubst du er war das?“

      „Und glaubst du sie würde ihm derart nachtrauern, wenn er’s war?“ überlegte Alasdair.

      Nechtan schüttelte den Kopf. „Schließlich steht ihm ja auch noch eine Belohnung zu.“

      Sie folgten Fionna, ebenso wie die beiden Hengste.

      Niall und drei Männer beeilten sich den Anschluss nicht zu verpassen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, ehe sie den Burschen eingeholt hatten.

      Malinda lief was sie konnte, doch sie hatte das schrille Wiehern Fionnas gehört und unwillkürlich gewusst, dass es ihr galt. So blieb sie stehen und wartete.

      Da tauchte sie auch schon auf, dicht gefolgt von den beiden Hengsten und, Malinda erschauerte, von einigen Männern. Für den Bruchteil von Augenblicken war sie versucht doch weiter zu fliehen, allerdings war sie sich der Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens wohl bewusst. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus und dann hatte Fionna sie auch schon erreicht. Sie tänzelte aufgeregt um sie herum. Um sie zu beruhigen schmiegte Malinda ihre Wange an Fionnas und sprach in Gedanken auf sie ein.

       „Es ist ja gut. Ich werde nicht weiterlaufen. Ich hoffe jedoch dein Laird ist ein gerechter und verständnisvoller Mann.“

      Alasdair verlangsamte seinen Lauf. Vor ihm stand Fionna Wange an Wange mit dem Jungen. Er begutachtete diesen genauer. Was für ein jämmerlicher Schmachthaken.

      Er musste höchstens sechzehn sein, war jedoch kaum größer als ein Dreizehnjähriger. Seine Glieder wirkten zerbrechlich, feingliedrig, wie die eines Mädchens. Seine honigblonden Haare standen ihm wild vom Kopf ab, so kurz geschnitten trug er sie. Er wirkte auf ihn wie ein heruntergekommener Adliger der Sachsen, oder Angeln. Seine Kleidung flatterte ihm locker um die Glieder. Doch, er konnte es kaum fassen, Fionna schien ihn zu lieben. Entgegen seiner inneren Erregung, trat er nach außen hin sehr ruhig wirkend zu dem Jungen.

      Malinda schaute auf, geradewegs in die tief dunkelbraunen Augen dieses großen Mannes. War er etwa der Laird?