Manuela Tietsch

Der Gesang des Einhorns


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einer Weile trat ein Mann um die sechzig heraus, dem eine Frau gleichen Alters folgte. Er war hoch gewachsen und obwohl ihn das harte Leben gezeichnet hatte, wirkte er lebensfroh und gesund. Seine graubraunen Haare trug er zu einem dicken Zopf geflochten, ein eher spärlicher Vollbart zierte sein Kinn und die Wangen. Trotz des vielen Stoffes seines großen Tuches, dessen Ende er gekonnt, als täte er es immer so, über den Arm gewickelt hatte, konnte sie einen noch sehr muskulösen Körper erkennen.

      Seine Frau war bestimmt gut einen halben Kopf größer als Malinda. Auch sie wirkte gesund, blickte sie aus dunkelgrauen, klaren Augen an. Ihr Körper war vermutlich nicht mehr ganz so gerade, wie er es noch mit zwanzig gewesen war, doch sie strahlte erhabenen Stolz aus. Ihre ebenfalls teils ergrauten, ehemals dunkelbraunen Haare, trug auch sie zu einem dicken Zopf geflochten, der ihr lang über den Rücken hing. Ihre Stirn wurde von einem Stirnband geziert.

      Die beiden, offensichtlich ebenso misstrauisch wie sie, denn der Mann trug sein Messer weder im rechten noch im linken Strumpf, sondern in der Faust, die er fest darum spannte, grüßten freundlich, anders, als die Leute, denen sie vor wenigen Tagen begegnet war. Die beiden sprachen sie verhalten an.

      Malinda zeigte mit Gesten, dass sie des Sprechens nicht fähig war und dass sie das Gesagte nicht verstand. Sie drehte die Handflächen nach Oben zum Zeichen, dass sie unbewaffnet war und nichts Böses wollte, ehe sie vom Pferderücken herunter sprang.

      Als sie neben Tapferes Mädchen stand, führte sie ihre rechte Hand zum Herzen, neigte den Kopf und den Oberkörper, in der Hoffnung dass die beiden sie verstanden. Eine Weile standen sie sich so gegenüber. Malinda begegnete den Blicken der beiden Leute mutig.

      Die Augen des Mannes ruhten eine sehr lange Weile auf den beiden Pferden, in seinem Gesicht konnte Malinda allerdings keine Gemütsbewegung erkennen. Schließlich wandte er sich ihr vollends zu und vollführte eine einladende Geste mit dem Arm. Er zeigte ihr einen Platz unter einem kleinen Dach auf vier Holzpfählen, wo sie und die Pferde offensichtlich die Nacht verbringen durften.

      Malinda lächelte erfreut und versuchte ihre Dankbarkeit mit Gesten zum Ausdruck zu bringen. Tapferes Mädchen und Kleiner Bruder begannen sofort zu grasen, als sie ihr Bündel unter das Dach legte und sich daneben setzte. Die Frau war in das Haus gegangen, doch der Mann hielt sich draußen auf, beschäftigte sich mit verschiedenen Arbeiten. Er wollte wohl eine Weile ein Auge auf sie werfen um sich ganz sicher zu sein. Malinda konnte es ihm nicht verdenken. Schließlich war es hier recht einsam und wenn einer etwas Böses im Sinn hatte, gäbe es so schnell keine Hilfe. Allerdings war sich Malinda auch im Klaren, dass sie, hätte sie tatsächlich etwas Böses im Sinn, sicher den kürzeren ziehen würde, denn der Mann sah nicht aus, als würde er sich in irgendeiner Form unterdrücken lassen. Nach kurzer Zeit trat die Frau wieder heraus, in den Händen eine dicke Scheibe Brot, eine Schale mit Haferbrei und einen Becher mit Wasser, welches sie ihr lächelnd anbot. Während Malinda sich, wie sie hoffte, nicht all zu gierig über das Essen hermachte, sprach die Frau mit ihr.

      Sie verstand, dass sie Dolina und ihr Mann Fedan hießen.

      Dolina gab sich redlich Mühe das Sprachhindernis mit Gesten zu überbrücken und lächelte sie fortwährend warmherzig an und dieses Lächeln schlich sich in Malinda Herz. Sie vergaß den Vorsatz ihr Herz keinem mehr zu öffnen. Das Glück endlich auch einmal wieder freundlichen Menschen begegnet zu sein, ließ ihr Misstrauen und die Angst schmelzen. Dolina verabschiedete sich für die Nacht, als sie sah, dass ihr Mann seine Arbeit niederlegte und sie gingen gemeinsam ins Haus. Malinda schaute eine Weile satt zufrieden zu den grasenden Pferden hinüber, ehe sie müde die Augenlider schloss.

      Am nächsten Morgen bot sie den beiden ihre Hilfe an, um noch ein paar Tage länger den Frieden und das gute Essen genießen zu können. Bereitwillig nahmen sie ihr Angebot an.

      Sie hackte Holz, bis ihr der Schweiß von der Stirn lief und besserte das Dach und einige Stellen am Mauerwerk des Hauses aus, bis sie müde ins Gras fiel und zufrieden die Lider schließen konnte.

      Am vierten Abend nach ihrer Ankunft lud Dolina sie das erste Mal ins Haus ein.

      Schon am fünften Abend wanderte sie mitsamt ihrem Bündel hinein, um dort neben der Feuerstelle zu schlafen. Die Pferde behielten den Unterstand für sich alleine und Fedan baute sogar noch zwei Seitenwände aus Ästen, zum Schutz gegen den Wind, der mit jedem Tag schneidender wurde.

      Fedan wusste das diese Tiere Laird MacDasdanach gehörten und auch, dass dieser verzweifelt auf der Suche nach ihnen war. MacDasdanach hatte sogar eine Belohnung ausgesetzt, falls einer die Stute zurückbrachte. Sie war ihm vor gut einem Jahr gestohlen worden. Er war so sicher, dass es sich um genau die Stute handelte, weil ihre Blesse sogar aus dem weiß ihres Felles heraus leuchtete. Das hatte nur dieses eine Pferd vorzuweisen. Obwohl ihn seine Pflichten als Clanführer davon abhielten die Suche umfangreicher zu gestalten, gab MacDasdanach die Stute und die Hoffnung sie zu finden nicht auf. Fedan war nicht dumm und nicht blind. Er sah sehr wohl welch enge Verbindung zwischen dem Jungen und den Pferden bestand. Er sah die Narben, welche den Leib der Stute überzogen, doch es war ihm unmöglich zu glauben, dass sie der Junge derart misshandelt hatte. Er ging so zärtlich mit den Tieren um, als handelte es sich um seine Geliebten. Er zählte eins und eins zusammen. Sicherlich hatte der Junge die Stute aufgegriffen, möglicherweise sogar ihre Wunden versorgt und damit stand für ihn außer Frage ihn beim Laird anzuschwärzen. Irgendwann im Frühjahr, wenn der Junge die Sprache besser verstand, würde er ihm erzählen zu wem die Stute gehörte, doch er würde ihm überlassen was er zu tun gedachte. Vorausgesetzt sie würden den Winter bei ihm und Dolina bleiben, was er mittlerweile stark hoffte.

      Es fiel Malinda nicht gerade leicht sich vor diesen herzlichen Menschen weiter zu verstecken und mehr als einmal glaubte sie schon längst erkannt zu sein. Sie half Dolina und Fedan bei allen Arbeiten und erhielt als Gegenleistung Unterricht in der Sprache der Scoten und Kost und Unterkunft.

      Sie versorgte die Pferde mit allem, mit dem sie sich nicht selber versorgen konnten und wenn es sie überkam, wanderte sie mit ihnen Stundenlang durch das verblühende Heidekraut.

      Und jedes Mal wenn sie zurückkehrten, erblickte sie Fedan, der gerade ins Haus ging. Hatte er auf sie gewartet?

      Das Wetter war herbstlich, der Wind strich um das Haus und durch das gelbliche, verblühte Gras. An manchen Tagen, wenn sie draußen auf dem Hügel unweit des Hauses saß und sich dem Wechselspiel des herbstlichen Himmels hingab, wenn sie zusah wie sich ein plötzlicher Nebel wieder hob und so scharfe Farben auf der Erde, dem Gras, der Heide und dem Ginster hinterließ, dass alles wie frisch gewaschen und klar erschien, während der Wind die Kleidung auf ihre Durchlässigkeit hin prüfte, hörte sie in weiter Ferne einen wunderbaren Gesang. Er versetzte sie in Wehmut, Freude und manchmal holte er auch ihre tiefste Trauer an die Oberfläche. Wahrscheinlich lag es an den Geschichten, die Dolina und Fedan an den Abenden erzählten, Geschichten von Elfen, Feen, Kobolden und Zauberwesen, so dass ihr am Ende ihre Einbildungsgabe den seltsamen Gesang, der von den Hügeln bis zu ihr drang, nur vorgaukelte.

      Das erste Mal seit vielen Jahren erfuhr sie so etwas wie Familiensinn, den sie aufsog wie eine verdurstende das Wasser. Es wurde ihr immer unerträglicher die beiden zu belügen und sie trug ihr Geheimnis mit sich herum wie ein Bündel schwerer Steine.

      Als sie wieder einmal mit Tapferes Mädchen und Kleiner Bruder ausritt, blieben Dolina und Fedan an der Haustür stehen um ihr hinterher zublicken.

      „Ob sie wohl weiß, dass wir es wissen?“ Dolina blickte ihrem Mann fragend ins Gesicht.

      „Ich bin mir nicht sicher. Manchmal glaube ich es, manchmal bin ich vom Gegenteil überzeugt.“ Fedan sah Dolina lächelnd an.

      „Wollen wir es ihr nicht sagen?“

      „Ich möchte, dass sie es uns erzählt. Das ist sie uns schuldig.“ sagte Fedan ernst.

      „Bei allem was sie für uns getan hat? Unsere eigenen Kinder hätten nicht besser für uns sorgen können.“

      Fedan schaute seine Frau eine Weile nachdenklich an. „Aye, du hast mal wieder recht, aber trotzdem, ich möchte, dass sie es uns erzählt.“

      Dolina nickte verständnisvoll.