Manuela Tietsch

Der Gesang des Einhorns


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      Runa schaute kurz zu ihm auf. Anscheinend wusste er gar nicht, wie sehr er seinen Bruder verehrte. Allein die Art wie er mein Bruder aussprach, sagte mehr als tausend Beteuerungen. Runa lächelte wider Willen. Die Moorleichen! So teilte sie wenigstens eines mit Lando. Sie wandte sich wieder zu Falko um.

      „Aber Eure Namen sind auch alt?"

      Er neigte den Kopf leicht. „Falko, der Falke, kommt aus dem Althochdeutschen, Lando ebenfalls.“

      Runa sah ihn neugierig an, „Lando?“

      Er nickte, „Lando, ursprünglich Landolt, abgeleitet von Land und Herrschen.“

      Runa nickte befriedigt. Leise sagte sie, „das passt zu ihm.“

      Falko schenkte ihr einen verstehenden Blick, „ja, das passt,“ sagte er leicht säuerlich. „Aber, dass Du das so schnell erkannt hast?“ Er betrachtete Runa verstohlen von der Seite. Er war ja kein Holzklotz, ihm war mit einem Mal sehr wohl klar wer Runas Neugier weckte, und leider war er es nicht, sondern sein Bruder. Doch auch Lando hatte ihr ganz anders in die Augen gesehen, als je einer anderen bisher, das hatte Falko ebenfalls gesehen. Nun, einen Versuch war es wert gewesen.

      Aus seinem Gedankengang heraus, fragte er sie unvermittelt. „Was soll ich dir über ihn erzählen?“

      Runa blickte ihn aus großen Augen, fragend an?

      „Lando, meine ich!“

      Sie kniff die Lippen zusammen. „Natürlich, Lando!“ Sie blickte zu ihm auf.

      Wie klein und zierlich sie wirkte! „Tut mir leid wenn ich mit der Tür ins Haus falle.“ Er sah sie entschuldigend an, war er zu schnell zu weit gegangen?

      Sie nickte, ihr befangener Gesichtsausdruck verunsicherte ihn, hatte er sich getäuscht?

      Runa lächelte ihn plötzlich an und sagte: „Könnte mir vorstellen, dass ihr in dieser Gruppierung des öfteren die Damenwelt auf den Kopf stellt!“

      „Mag sein,“ lächelte Falko, er war geschmeichelt, „aber bisher war Lando noch keine gut genug.“

      Sie schaute erstaunt zu ihm auf. „Du glaubst, dass es dieses Mal anders ist?“

      Er lächelte noch breiter und nickte wortlos.

      Unerwartet lachte sie. Er fiel befreit ein. Gut, dass er so ehrlich gewesen war, nun stand keine Spannung mehr zwischen ihnen. Er mochte sie, und sie mochte ihn, und ganz besonders mochte sie seinen Bruder, er hatte sich nicht getäuscht. „Wollen wir weiter?“, er zeigte einladend mit der offenen Handfläche in Richtung der anderen.

      Sie nickte und ging vor ihm durch die Tür.

      Hinter sich hörte Lando das laute Lachen Falkos. Er lachte mit einer Frau. Ein kurzer Blick in seine Richtung zeigte ihm, dass er mit Honiglocke lachte. Ihr Lachen war weiblich und verführerisch. Wieso lachten sie? Worüber? Über ihn? Was war so lustig hier im Museum? Er wandte sich um, er war nicht eifersüchtig! Worauf denn auch? Die beiden gingen nebeneinander. Viel zu nah! Sie lächelten sich an. Verdammt! Nein, darüber würde er sich nicht ärgern! Zielstrebig setzte er einen Schritt vor den anderen, blickte weder nach rechts noch nach links. Schließlich erreichte er den riesigen düsteren Raum in dem die beiden Moorleichen zu finden waren. Dort lagen sie auf einem Metallgestell, mitten im Raum unter einer luftdichten Glashaube. Eine Kette sollte verhindern, dass die Besucher all zu nah an den Kasten gelangten.

      Lando blieb einige Meter vor der Absperrung stehen. Dieselbe Kraft, die ihn unwiderstehlich hergelockt hatte, hielt ihn jetzt mit einem Mal davon ab näher heran zu treten. Das hatte er bisher noch nie erlebt. Ein unangenehmes Kribbeln jagte ihm über den Rücken, als er die Tafel vor der Absperrung las. Am liebsten wäre er sofort wieder fortgelaufen. Ja, gelaufen, nicht gegangen. Etwas an den beiden war beängstigend. Doch er zwang sich ruhig zu bleiben.

      

      

       Bei den beiden Leichen handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach,

       um den schottischen Clanführer Laird MacFarlaness

       und seine Ehefrau. Lebenszeit ungefähr um 1016 – 1040 n.Chr..

      

       Beide Körper sind außergewöhnlich gut erhalten

       und befinden sich dank neuartig Verfahren

       sozusagen noch im Ursprungszustand.

      Ursprungszustand! Wie hörte sich das an? Als sprächen die Leute da von irgendwelchen Gegenständen, mit Gewährleistung! Er las weiter.

       Sie lagen beinahe ein Jahrtausend im Moor und wurden zufällig

       bei Bauarbeiten gefunden. Die gut erhaltene Kleidung, lässt die

       Wiedererkennung mit neunzigprozentiger Sicherheit bestimmen.

      Also was? Wenn es keine hundert Prozent waren, blieb es nur eine Vermutung oder waren sie sich sicher? Er las verärgert weiter:

      

      

       Sehr ungewöhnlich ist die Verbindung beider Leichen miteinander.

       Die sich haltenden Hände waren auch mit neuster Technik

       nicht zu trennen, ohne dass man dabei die Leichen zerstört hätte.

       Sie sind in der langen Zeit wie zusammengewachsen!

      Er kostete den Wortlaut wie ein neues Gericht. Er wusste nicht wie es schmeckte, hatte jedoch das Gefühl es schon einmal gegessen zu haben, dennoch, er konnte sich daran nicht erinnern und trotzdem stieß ihm dieses Gericht sauer auf. Was erwartete er denn? Wo lag das Besondere, außer vielleicht, dass die Leichen zusammengewachsen waren? Ein Wunder nach dieser Zeit? Er hatte schon sehr viele Moorleichen gesehen, aber bei diesen war etwas anders.

      Weitere Besucher des Museums erreichten die Halle, lenkten ihn ab. Sie unterhielten sich laut und lachten. Sie waren Störenfriede. Er ärgerte sich. Sie entweihten ein Heiligtum. Er musste sich ablenken, bevor er sie anschnauzte.

      Wie war das mit dem Namen MacFarlaness? Wie schmeckte der? Er ließ ihn auf der Zunge zergehen. Der Name gefiel ihm, und er schmeckte. Was also störte ihn an dem gelesenen?

      Eines der beiden jungen Mädchen zeigte auf die Leichen und verzog angeekelt das Gesicht. „Lena!“, sie zupfte ihre Nachbarin am Ärmel, „Stell dir vor so einer begegnet dir auf dem Nachhauseweg im Dunkeln!“ Sie schüttelte sich und machte einen Schritt auf ihre Freundin zu, während sie ihre Hände hob und das Gesicht verzog, als wäre sei sie ein Zombie. Ihre Freundin lachte.

      Lando warf ihnen einen bösen Blick zu. Sie sollten endlich verschwinden, sie hatten kein Recht hier zu sein, und schon gar kein Recht über die Toten zu lachen.

      Jaromir kam gerade durch die Tür herein, Vera am Arm. Er erhaschte Landos Blick. Was für eine Laus war denn ihm schon wieder über die Leber gelaufen? Er lächelte Vera an, hoffentlich merkte sie nicht, dass er ihrem Wasserfall ähnlichem Geplapper nicht mehr zuhörte, doch Lando beschäftigte ihn gerade mehr. Er sah zu ihm hin. Irgendwie wirkte er verloren, nein, eher verletzt und er starrte unverwandt auf die beiden Leichen hinunter. Schließlich blickte Lando herüber, ehe sein Blick auf die gerade eintretenden anderen fiel. Sein Blick verdüsterte sich noch mehr, als er Falko und die Blonde entdeckte.

      Honiglocke und Falko redeten noch immer miteinander. Er starrte sie an, spürte wie seine Muskeln sich spannten. Warum verpasste er seinem Bruder nicht eine? Der blöde Kerl schritt tatsächlich auf ihn zu und die Gelockte folgte. Einen flüchtigen Augenblick lang zuckten die Muskeln seiner Beine und er spürte schon wieder das Verlangen davon zu laufen. Er lachte innerlich über sich selbst. War er denn ein kleiner Junge?