Manuela Tietsch

Der Gesang des Einhorns


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blonde kommt offensichtlich geradewegs aus einem der Schaukästen!“, lachte Jaromir belustigt und versuchte Falko und Lando ein bestätigendes Grinsen zu entlocken, was ihm nur bei Falko gelang.

      Der wandte sich grinsend zu seinem Bruder Lando um, doch der schritt bereits mit Siebenmeilen Schritten weiter. Sein muskulöser Rücken wirkte als hätte er einen Schraubstock verschluckt und selbst die breiten Schultern schienen an einem Brett festgenagelt zu sein. Ihm war unbegreiflich wie ein Mann einerseits so katzengleich und andererseits so steif wie ein Schraubstock gehen konnte. Bestimmt weilte sein verehrter Bruder mit seinen Gedanken wieder in schottischen Gefilden. Sie sollten sich damit abfinden, er hatte eine Macke! Zudem waren ihm die Toten wichtiger als die Lebenden. Herrisch, rücksichtslos, eigensinnig, in einem Wort, Lando.

      Er wechselte einen vielsagenden Blick mit Jaromir, ehe sie sich wieder den beiden Frauen zuwandten. „Wo sind sie hin?“, er blickte Jaromir fragend an.

      Der zuckte die Schultern und sie folgten Lando schlecht gelaunt, weil er offensichtlich schon wieder die Richtung und Geschwindigkeit vorgab. Immer bestimmte er wo es langging und sie, die beiden Schäfchen folgten ihm. Falko nahm sich vor das in Zukunft zu ändern.

      Schließlich gelangte Lando in einen stickigen, winzigen Raum, dessen Wände mit Aushängen, Lichtbildern und Landkarten überladen waren. Zudem bestärkten ihn die langen Abfassungen in winziger Schrift den Raum möglichst schnell wieder zu verlassen. Innerlich aufgerieben starrte er eine Weile auf eine Niederschrift, ohne jedoch wirklich wahrzunehmen, was dort stand. Jetzt hatte er sie schon zum dritten Mal gelesen, doch hätte ihn jemand gefragt, er wüsste den Inhalt nicht wiederzugeben.

      Er hörte Falko und Jaromir eintreten, deren Gespräch wie auf Gebot verstummte.

      Weshalb nahm er nicht gierig die Berichte auf, die ihm hier in solcher Fülle geboten wurden, stattdessen spürte er den unbändigen Drang zu seinem eigentlichen Ziel zu kommen, ja am liebsten hin zu rennen. Da war wieder diese innere Stimme, ein Zwang der ihn zu diesen beiden toten Menschen führen wollte, ihn lenkte. Er schüttelte sich. Im Moor zu sterben war der schrecklichste Tot von allen. Lieber ertrinken, oder abstürzen, oder von einem Auto überfahren werden! Er ging zum Überblick an der Tür. Wo entlang musste er, um auf dem schnellsten Weg zu den Leichen zu gelangen? Er drehte sich um. Wer redete so laut, lenkte ihn ab? Er wandte sich der anderen Tür zu.

      Eine junge, zierliche Frau mit einem roten Minikleid, die kurzen Haare hennarot gefärbt und aufreizend zerzaust, lächelte ihnen entgegen, während ihr Blick gekonnt, in Windeseile, die anwesenden Männer abschätzte. Auf Jaromir heftete sich ihr Blick etwas länger, und offensichtlich sehr wohlwollend. Zuletzt musterte sie ihn. Innerhalb kürzester Zeit wusste sie, was sie wissen wollte. Hinter ihr drängte sich ein Paar durch die Tür herein. Den Abschluss bildete ein honigblonder Lockenkopf. Sein Blick wurde wie gebannt in diese Richtung gelenkt und von ihm angezogen. Das Paar und die Rothaarige traten in den Raum, um sich die Plakate an den Wänden anzusehen.

      Schließlich konnte er Honiglocke in voller Größe sehen. Das Herz hämmerte plötzlich wie wild in seiner Brust. Seine Muskeln spannten sich wie vor einem Sprung. Im Bruchteil eines Augenblicks brach ihm der Schweiß aus und wo war nur die Luft die er zum Atmen brauchte? Aus ihrem braungebrannten Gesicht blickten ihm zwei dunkle, braune Augen entgegen. Sie hielt seinem Blick stand. Er fühlte das Blut in sein Gesicht schießen, konnte sie seine Gedanken lesen, wenn er ihr weiter erlaubte in seine Augen zu blicken? Ahnte sie, dass er sie am liebsten in die Arme gerissen hätte, um sie zu küssen, bis ihr Hören und Sehen verging? Sie zu lieben, wie er noch nie eine Frau geliebt hatte? Noch niemals hatte er solch heftige Gefühle und Erregung für eine Frau empfunden und das schon gar nicht innerhalb von wenigen Augenblicken. Was war nur los mit ihm? Beschämt schaute er unvermittelt in eine andere Richtung.

      Sie wollte seinem Blick standhalten. Es fiel ihr so schwer, doch sie konnte sich an ihm nicht satt sehen. Diese Augen! So dunkel, so unergründlich! Er forderte! Er gab! Sie spürte wie sein Blick ihren Körper streichelte, spürte tief in sich sein Verlangen nach ihr. Sein männlicher Körpergeruch breitete sich aus wie ein starkes Duftwasser. Unvermittelt schaute er zur Seite, fast wie beschämt, als hätte sie seine Gedanken nur all zu sehr erahnt. Sie fühlte sich betrogen. Verzagt blickte auch sie in eine andere Richtung, trat an einen der Aushänge an der Wand. Sie musste sich noch einmal nach ihm umsehen. Schneidend bohrte sich die Enttäuschung in ihren Magen. Er war bereits auf dem Weg in den angrenzenden Raum. Hatte sie sich das ganze nur eingebildet? Es waren nur wenige Augenblicke gewesen, aber diese waren dafür um so tiefgreifender als wenn sie sich Stundenlang unterhalten hätten. Warum sprach er sie nicht an? Er sah doch mutig genug aus.

      Und warum hatte sie nicht Veras Mut? Warum sprach sie ihn nicht an, wo der Funke doch so offensichtlich zwischen ihnen hin und her sprang? Was war schon dabei? als wollte ihre Freundin sie verspotten, klangen Runa, Veras Worte im Ohr.

      „Hey, ich bin Vera!“ sagte diese gerade mit verheißungsvoller Stimme.

      Sie ließ wirklich nichts anbrennen. Verstohlen blickte Runa hinüber, wen Vera da angesprochen hatte.

      Der slawisch aussehende Mann lächelte Vera breit an, während er ihr antwortete und seine russische Betonung spielen ließ. „Jaromir, Hallo.“

      Vera legte die Hand auf seinen nackten Unterarm, verwickelte ihn in ein Gespräch und Runa bemerkte, dass sie sehr darauf achtete, dass die körperliche Nähe nicht abbrach.

      Runa wandte sich jäh ab, versuchte sich in die Schrift der Tafeln zu versenken.

      Wo war er wohl hin gegangen?

      „Das Einhorn! Wappentier Schottlands und Sagengestalt.“ Sie folgte dem Wortlaut bis zu einem Spruch:

       „Behütet seid, hört ihr es singen.

      

       Geheilt, so ihr es seht.

      

       Geliebt seid, wenn es euch berührt“

      

       Schottische Weisheit Verfasser unbekannt.

      Was für ein seltsamer Spruch dachte sie benommen, während er leise eine Saite in ihr zum Schwingen brachte, von der sie bisher noch nie etwas vernommen hatte. Die gesamte Wand war mit Legenden, Berichten und Geschichten über das Einhorn geschmückt! Sie spürte ihren erwachenden Wissensdurst aufkommen und las weiter. Legenden berichteten von besonderen Taten, angebliche Wunderkraft oder von besonderen Einhörnern. Sie las jeden Satz, verschlang jeden Wortlaut. Sie war so gefangen und gefesselt, dass sie erst nach einer Weile merkte, wie die Einhörner den Einen in den Hintergrund geschoben hatten. Sein ganz eigener Duft, den er im Raum zurückgelassen hatte, ließ ihn allerdings mit einem Mal umso deutlicher wieder in ihr Bewusstsein treten.

      Sie hatte zwar nebenbei wahrgenommen, dass die anderen den Raum verlassen hatten, trotzdem war sie jetzt ein wenig erstaunt, sich lediglich mit einem jungen Mann wieder zu finden, den sie unschwer als Bruder des Einen erkannte. Er stand unmittelbar neben ihr und lächelte etwas schüchtern, während er sich vorstellte.

      „Hallo. Ich bin Falko,“ er streckte ihr seine rechte Hand hin.

      Runa lächelte. Sie sollte nicht unhöflich sein, all ihre Sinne jagten zwar hinter seinem Bruder her, dennoch: „Runa, hallo,“ sie reichte ihm ihre Hand allerdings eher flüchtig.

      Er nickte. „Ein sehr alter Name, oder?“

      Während sie ebenfalls nickte, antwortete sie „Heißt Zauber, oder Geheimnis.“

      „Passt zu dir,“ er lächelte breit, wusste nicht mehr, was er noch sagen sollte.

      Runa bewegte sich langsam, ohne sich unhöflich abzuwenden, hinter den anderen her.

      Wie eine zweite Ausgabe des älteren, schoss es ihr durch den Kopf. Falko fehlte indes etwas, das sie bei dem anderen so sehr in den Bann zog. Falko war ein netter Bruder.

      „Was treibt Euch in diese Ausstellung?“ Bewusst sagte sie euch und nicht dich.

      „Ursprünglich