Karina Förster

Spring!


Скачать книгу

kann.

      Yanick deutet auf sich, formt mit seinen Händen ein Herz.

      Das ist der Moment, in dem mein Herz auf so kummervolle Weise begreift: Liebe. Das, was Großvater damit meinte, wenn er von sich behauptete, er sei der reichste Mensch auf der Welt.

       Es ist Zeit den Sargdeckel zu öffnen. Es ist Zeit das aus dem Sarg zu entnehmen, was fünfzehn Jahre dort für mich aufbewahrt und behütet wurde …

      Herz und Magen zerreißen mir gleichzeitig. Ich beuge mich vor Schmerz und Kummer, weil Bilder aufsteigen:

      Wie ich mich bei unserer Ankunft in der Pension im Zimmer umsah und dann zu ihm. Er stand in der Tür und sah mich an, bevor er lächelnd auf mich zukommt.

      Wie ich ihn an die dunkle Hausecke drückte, während die Wäsche im Waschsalon lief.

      Sein kummervolles und verzweifeltes Gesicht gestern Abend in der Küche.

      Im vergangenen Jahr wollte ich nichts als körperliche Nähe von ihm. Mehr nicht. Dann, der gemeinsame Sprung in der Küche. Die erste Regung zaghafter Liebe. In den drei gemeinsamen Wochen hier die Gewissheit.

      Ich liebe ihn.

      Mehr als alles andere auf der Welt. Bis an mein Lebensende.

      Und dennoch …

      Wen außer mir kann ich dafür verantwortlich machen, dass mein Glück in diesem Zug davonfährt? Die Tränen werden heiß und ich halte mir meine Hand vor dem Mund, doch die Emotionen kann ich dadurch nicht zurückhalten. Sie bahnen sich den Weg aus dem Magen, der entsetzlich schmerzt und wie Feuer brennt. Ich schluchze und wimmere mich unter Schmerzen krümmend.

      Der Zug rollt unbeeindruckt aus dem Bahnhof. Durch die Tränen nehme ich verschwommen wahr, wie der Zug unaufhaltsam mit Yanick davon rollt. Mir ist, als ob ich laut schreie. Mein Herz bäumt sich in einem wilden Kampf auf. Eine Flut Gefühle lässt meinen Körper erbeben und schluchzen. Liebesqual.

       Spring, verdammt noch mal!

      Doch die ohnehin schon große Kluft habe ich vergrößert. Sie ist für mich zu groß und angsterfüllt schweige ich lieber. Jetzt habe ich, was ich mir von ihm wünschte und bin doch unglücklich.

      Der Zug entfernt sich mehr und mehr und ich spüre nur Herzweh. Stumm dem selbst auferlegten Schmerz ausgeliefert, stehe ich allein auf dem Bahnsteig und weine um die Liebe, die ich gehen ließ. Ich fühle mich im Herzen arm. Ich bin ein wirklich armseliger und hässlicher Mensch.

      Erst als der Bahnsteig sich erneut mit Menschen für den nächsten Zug füllt, hebe ich träge seinen Brief vom Boden auf. Ich ließ ihn aus den Händen fallen, als ich dem Zug nachlief. Matt verlasse ich den Bahnhof, um mir eine Apotheke zu suchen. Die Menschen sehen mich verdutzt an, denn ich weine und kann nicht aufhören.

      Die folgenden Tage in Warnemünde kommen mir schwer wie Blei vor.

      Meine Periode setzt, wie beabsichtigt, nicht ein. Aber das ahnte ich ja bereits. In Berlin werde ich zum Arzt gehen. Den Test will ich nicht machen.

      Stundenlang sitze ich am Wasser und sehe auf die See hinaus. In Gedanken bin ich bei Yanick. Ich rieche ihn selbst am Strand sitzend. Das kann aber nicht sein, denn es geht Wind.

      In Gedanken sehe ich immer wieder Bilder von Yanick. Wenn ich einen dunkelhaarigen Mann in einer Menschenmenge entdeckte, hüpft mein liebeskrankes Herz. Ich erstarre innerlich, nur um dann in bittere Schwere zu fallen, wenn es nicht Yanick ist.

      Dabei habe ich ihn durch mein Schweigen selbst fortgeschickt. Durch meinen Diebstahl habe ich jedes weitere Aufeinandertreffen für die Zukunft unmöglich gemacht. Ich bin also die Letzte, die sich beschweren kann.

      Auch bin ich mir auch sicher, dass der Brief, den er mir gab, ein Abschiedsbrief ist. Immer wieder schrecke ich aus dem Schlaf auf und höre, wie er sagt: Nein. Nein. Das war es. Bringen Sie bitte die Rechnung.

      Und genauso, wie ich unfähig war seine Briefe im Regal zu öffnen, fühle ich mich jetzt außerstande den letzten zu öffnen.

      Es ist nachvollziehbar, dass er nicht versteht, warum ich nicht gesprungen war. Jedes Mal, wenn er mich dazu eingeladen hatte, tat ich es. Das war auch nicht kompliziert. Das wird es erst, wenn er mich bittet zu ihm zu springen. Über meine selbstgeschaffene Kluft. Er ahnt ja nicht, wie groß und tief sie ist. Er ahnt ja nicht, was für Gefahren im Abgrund lauern.

      Ich habe Angst mit ihm gemeinsam ein Leben zu verbringen. Mehr weiß ich nicht.

      Ich rieche ihn, wenn ich mich auf seinem Kopfkissen bette. Anschließend weine ich hinein, bis meine Augen gerötet sind und ich kraftlos einschlafe.

      Stundenlang starre ich auf das Bett und überlege, ob ich meinen Koffer packe. Nachdem die Blumen in den unzähligen Vasen erneuert wurden, wurde ich fast wahnsinnig.

      Die liebe Frau Holm bemerkt meine Not. Sie übergeht liebevoll meine geröteten Augen, wenn ich von einem Spaziergang auf das Zimmer eile, um mich auf das Bett zu schmeißen und elendig zu weinen. Ich darf, wenn auch teilnahmslos, für einige Stunden aus dem Zimmer fliehen und bei ihr auf dem Sofa sitzen. Wenn die Erinnerung an Yanick mich in Weinkrämpfen schüttelt, laufe ich zu ihr. Dann macht sie Suppe für mich warm und muntert mich auf.

      Die Abende sind lang, die Gesellschaft der Dame sehr angenehm und ihr Essen sehr nahrhaft. Ich beschließe aber, abzureisen. Am Abend vor meiner Abreise hält Frau Holm plötzlich in ihrer Arbeit inne. Nachdenklich schaut sie mich an, wenn sie von ihrer Handarbeit pausiert. Jetzt lächelt sie mich verklärt an.

      »Wissen Sie, Ella. Ich frage mich, was ich Ihrem lieben Freund sagen soll, wenn er sich bei mir nach Ihnen erkundigt.«

      Frau Holm sieht wieder auf ihre Handarbeit und fährt fort: »Ja. Er ruft mich jeden Morgen an und erkundigt sich bei mir. Er will wissen, ob Sie gut essen, an die See gehen und ob Ihnen irgendetwas fehlt. Morgen wird er sicher wieder anrufen.«

      Ich bin überrascht, schlucke und sehe auf die Handarbeit. Wie könnte ich Frau Holm erklären, dass Yanick nicht mein Freund ist. Nicht so, wie sie glaubt.

      »Möchten Sie es ihm sagen oder soll ich? Wo Sie doch am Telefon nicht mit ihm reden können?«

      Stirnrunzeln. Ich verstehe nicht.

      »Wissen Sie, damals gab es ja noch nicht für jeden Zugang zu medizinischer Versorgung. Und im Krieg schon erst recht nicht! Da waren alle Ärzte an der Front oder im Lazarett. Aber! Wenn eine Frau schwanger war, dann haben es die Alten gesehen und gesagt. Ja Kindchen. Ich hoffe, Sie werden schnell wieder gesund. Für ihr Kind!«

      Ich springe auf.

       Für mein Kind.

      Das war doch mein eigener Wunsch, meine Hoffnung all die drei Wochen. Ich selbst wunderte mich ja auch nicht, dass meine Tage ausblieben. Innerlich hoffte ich, dass es kein Fehlalarm war, weil ich es so sehr wünschte. Ich gehe zu Frau Holm und nehme ihre Hand.

      »Ja, Kindchen. Ja, wenn ich es Ihnen doch sage! Beruhigen und setzen Sie sich! Ich koch uns Tee«, sagt sie und erhebt sich schwerfällig. Sie lacht, schüttelt meine Hand und umarmt mich. Dann humpelt sie in die Küche und ich starre Löcher in die Luft, denn ich weiß in mir wächst Yanicks Kind. Mein Geschenk.

      Ich weiß aus meiner Familie, dass alte Menschen Schwangerschaften am Glanz oder an dem Ring der Iris erkennen. Eine Großtante von mir konnte sogar zuverlässig das Geschlecht nennen. Ich glaube Frau Holm.

      Sie bringt auf einem Tablett Tee herein. Ich eile ihr entgegen, um es ihr abzunehmen.

      »Da werde ich mir mal zur Feier des Tages ein bisschen meinen Tee verfeinern«, beschließt die alte Dame schmunzelnd, geht summend zum Schrank und holt eine Flasche Cognac heraus. Feierlich hält sie ihre Tasse mit Cognac hoch. »Auf das Kind.«

      Schweigend und lächelnd trinken wir Tee. Gut, einen empfindlichen Schwangerschaftstest habe ich gekauft, wenn der positiv ist