Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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wir am Montagmorgen am Küchentisch sitzen und unseren Kaffee und Tee trinken, setze ich mich auf Eriks Schoß. Meine Hände in seine Haare vergrabend, sehe ich ihm ins Gesicht. „Versprichst du mir etwas?“

      „Was du willst!“, antwortet er mir und in seinen Augen sehe ich die Ergebenheit, die er mir mittlerweile entgegenbringt. Wo alles um ihn herum zusammenbricht, bin ich ihm erhalten geblieben und stehe unerschütterlich an seiner Seite.

      „Du legst dich nicht mit Sam und Teddy an. Wir klären das mit ihnen in Ruhe und mit Bedacht. Hörst du?“

      Erik sieht mich barsch an. „Wir? Dich lasse ich nicht annähernd in ihre Nähe. Und ich werde ihnen das heimzahlen!“

      „Schatz, das wirst du nicht. Ich will nicht, dass wir noch mehr Stress mit ihnen bekommen. Du siehst doch, was dabei herauskommt. Nachher bringt ihr euch noch gegenseitig vor den Kadi. Ich will das nicht. Das am Samstag hat mir vollkommen gereicht.“

      Erik weiß das und er sieht an meinem Gesichtsausdruck, wie ernst es mir ist.

      „Bitte versprich es mir!“, bitte ich noch einmal entschieden und er nickt ernst.

      „Aber dann sagst du mir jedes Mal, wenn du etwas von diesen Kimiyaern hörst. Und wenn du zu ihnen gehen sollst oder sie dich aufsuchen, werde ich immer dabei sein“, brummt er.

      „Natürlich!“, erwidere ich und küsse ihn lächelnd. „Keine Alleingänge mehr. Nicht von dir und nicht von mir! Versprochen.“

      „Okay! Versprochen“, raunt er.

      Ich steige von seinem Schoß herunter und setze mich vor meinen Tee. Heute bringt Erik mich zur Schule, weil Daniel Ellen von der Villa aus zur Schule chauffiert. Sie schlafen immer noch dort, weil ihre Eltern auf ihren zweiten Flitterwochen sind.

      Ellen steht schon am Schulhof und wartet auf mich, als Erik den Mustang vor der Schule anhält. Mittlerweile ist es für mich völlig egal, ob uns jemand sieht oder nicht. Es wissen sowieso schon alle, die es irgendwie interessieren könnte, dass Erik sesshaft geworden ist und ich der Grund bin. Komischerweise begegnet man mir inzwischen mit einer seltsamen Zurückhaltung.

      Mir ist das egal, weil Erik mir wichtiger ist als alle anderen.

      „Tschüss Schatz! Und sauber bleiben“, sage ich zu ihm und küsse ihn durch sein offenes Fenster.

      „Du auch! Bis heute Abend!“, antwortet er mir. „Ich hole dich ab.“

      Ellen baut sich neben mir auf. „Hi Bruderherz! Alles gut überstanden?“

      Erik nickt nur und ich küsse ihn noch einmal, weil er mir einfach nur leidtut. Er hat noch immer nicht verkraftet, was seine Junkie- und Zuhälterfamilie ihm am vergangenen Wochenende angetan hatte.

      Als ich mit Ellen wenig später zum Eingang der Schule gehe, sieht sie mich besorgt an. „Alles klar bei euch?“

      Ich nicke und starre betrübt vor mir auf den Boden. Als ich wieder aufsehe, liegt ihr Blick wartend auf meinem Gesicht.

      „Das waren wohl Sam und Teddy, die Daniel und Erik eins reinwürgen wollten. Und um das abzurunden ließen sie sich wohl von dem Trupp finanziell dazu anleiten, der mir Tim und Julian auf den Hals hetzt.“

      „Was? Woher weißt du das?“, raunt Ellen und sieht sich um, ob auch niemand uns zuhört.

      „Erik hat mit Walter telefoniert. Und als sie euch am Samstag von den Bullen einsacken ließen, wurde auch ich geschnappt und entführt.“

      Ellen bleibt mit weit offenem Mund stehen und sieht mich entsetzt an. Als sie endlich ihre Stimme wiederhat, flüstert sie: „Was?“

      „Ich lief nach draußen, um euch zu suchen, als mich jemand packte, mir eine Spritze in den Arm jagte und ich Stunden später irgendwo aufwachte.“

      „Mein Gott! Das waren doch nicht auch noch Teddy und Sam? Erik bringt die um!“

      „Nein, nein. Das waren diese Al Kimiy Dingsbums. Die Leute halt, die Julian das Studium finanzieren. Und der Anwalt, der euch rausholte, war auch der gleiche Anwalt, der Julian aus der Untersuchungshaft holte.“

      Mein Bruder Julian hatte fast zwei Monate im Gefängnis eingesessen, weil er Tim übel zugerichtet hatte und mich mit einem Messer am Hals verletzte.

      Ellen scheint starr vor Schreck zu sein. Aber sie ist nicht dumm und raunt kurz darauf: „Und was musstest du dafür tun, dass er auch bei uns solchen Einsatz zeigte?“

      „Nicht viel! Ich soll in Zukunft etwas mit ihnen kooperieren und mich zu ihrem Verein zählen. Die Geschichte mit den Kindern darf noch warten, haben sie gesagt und wenn Julian es hinbekommt, dass sie bekommen, was sie wollen, dann brauche ich gar nichts mehr für sie tun. Und ich kann bei Erik bleiben.“ Das stimmt nicht ganz, aber auch vor ihr will ich die Geschichte so hingestellt sehen.

      Ellen scheint mir kein Wort glauben zu können. „Das ist nicht dein Ernst?“

      Ich sehe vor mir zu Boden, weil ich nicht weiß, ob ich ihr anvertrauen kann, was mir auf der Seele brennt.

      „Carolin?“, knurrt sie bissig und zieht mich an die Seite, weil ein Pulk Lehrer an uns vorbeizieht. Es klingelt im selben Moment, was wir ignorieren.

      Ich sehe auf und bitte sie leise: „Versprich mir, dass weder Daniel noch Erik etwas davon erfahren.“

      „Wovon?“, brummt Ellen und ihre braunen Augen werden zu Schlitzen.

      „Sie sagten mir, dass sie sich aber nicht einmischen, was Tim angeht. Er ist im Moment mein größtes Problem.“

      Ellen strafft ihre Schultern und winkt ab. „Ach der! Den machen wir platt, wenn er noch mal auftaucht. Mit dem werden wir spielend fertig!“

      Ihr Enthusiasmus in Ehren. Ich hatte ihn erlebt. In all seinen Facetten. Und ich habe Angst vor dem, zu was er noch fähig ist. Aber ich lächele sie an und nicke. „Du hast recht.“

      Wir gehen zu unserer Klasse, wo uns der Mathelehrer wegen unseres Zuspätkommens mit bösem Blick auf unsere Plätze verweist. Aber so kann ich wenigstens der mich ständig in den Abgrund ziehenden Gedankenflut entkommen.

      Am Nachmittag will Ellen mich zur Arbeit bringen, um haarklein alles von meiner Entführung zu erfahren. In der Schule waren wir keinen Moment mehr allein gewesen und zu meiner Überraschung sehe ich, dass Michaela mit uns in die Stadt fährt.

      „Ich muss mit Julian sprechen. Kannst du ihm das ausrichten?“, frage ich Michaela leise und sie nickt.

      „Er ist noch in der Uni“, erklärt sie. „Er arbeitet außerdem jetzt irgendwo in einem Labor. Ich weiß aber nicht, wo das ist.“ Sie wirkt etwas traurig und ich lege meine Hand auf ihre Schulter.

      „Michaela, dieser Job in dem Labor ist wichtig für euch. Er soll für seinen Arbeitgeber einige Forschungen voranbringen. Sie finanzieren ihm dafür alles. Dass er an diesen Forschungen arbeitet ist Voraussetzung dafür, dass sie das auch weiterhin tun. Julian macht das vor allem für dich. Er hat sich wirklich in dich verliebt. Das hat er mir gesagt. Und er muss denen, die ihm sein Studium finanzieren, jetzt dementsprechend Zeit schenken“, erkläre ich ihr.

      Sie soll ihm auf alle Fälle diese Zeit geben. Sie ahnt nicht, wie wichtig das für uns alle noch werden kann. Julian muss es schaffen, etwas für diese Leute zu kreieren, dass sie von ihrem anderen Vorhaben abbringt. Ich hätte ihr beinahe gesagt, dass er es dafür tut, um mit ihr auch weiterhin zusammen sein zu können. Aber ich weiß nicht, wie weit sie eingeweiht ist und ich habe wahrscheinlich sowieso schon zu viel preisgegeben. Wüsste sie, dass Julian und Tim eigentlich mit mir zusammen Kinder zeugen sollen, dann würde sie mich wahrscheinlich massakrieren. Schließlich habe ich ihr, aus ihrer Sicht zumindest, schon Erik ausgespannt.

      „Wirklich? Das hat er dir gesagt?“, flüstert sie zurück und ihre Augen leuchten auf. Bei ihr ist nur hängen geblieben, dass Julian sie meines Erachtens liebt.

      Ich nicke nur und wende mich wieder Ellen zu, um nicht noch weitere Einzelheiten