Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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ein wenig.

      Ich sehe schnell Ellen an, die sich einfach umdreht und mich am Arm hinter sich herzieht.

      An uns vorbei strömen ganze Völkerscharen in die Fahrschule und ich frage mich schon, ob wir so früh sind, dass noch keiner reingegangen ist oder ob es heute so voll wird.

      Carsten und Tobias scheinen nicht da zu sein. Zumindest sitzen auf ihren Plätzen zwei Mädchen, die beide besser zwei Stühle genommen hätten.

      Ellen sieht sich nach freien Plätzen um. Aber es scheint alles besetzt zu sein, bis auf die zwei Plätze, auf denen wir letzte Woche auch schon saßen. Ellen grinst und zieht mich nach hinten. Sie wirft sich auf den Platz neben einen Jungen mit roten Haaren, den ich noch nie hier gesehen habe und ich setze mich auf den letzten Platz am Reihenende.

      Klaus, der Theorielehrer, kommt herein und mit ihm Werner.

      Ellen grinst schadenfroh, weil kein Platz mehr frei ist.

      Werner sieht sich um. Hinter ihm kommen noch zwei weitere Jungen in den Raum, die wohl neu sind. Sie wirken angesichts des Platzmangels verunsichert und ein wenig verstört.

      „Holt euch bitte von dem Stapel draußen einen Stuhl und setzt euch an den Rand. Vielleicht lassen euch nette Tischnachbarn ihren Tisch mitbenutzen“, sagt Klaus.

      Werner verschwindet als erstes in den Gang und die anderen beiden folgen ihm. Er kommt auch als erstes wieder in den Raum, einen weißen Plastikstuhl in den Händen und steuert direkt auf mich zu.

      „Das ist doch jetzt nicht wahr?“, knurrt Ellen ungehalten und ich lächele Werner zu. Was soll ich auch anderes tun, um Ellens Unfreundlichkeit zu kompensieren.

      „Darf ich?“, fragt er und ich nicke. „Klar! Kein Problem.“

      Er setzt sich an die Tischkante meines Tisches, dicht an mich heran.

      Ellen wirft ihm einen bösen Blick zu, muss sich dann aber nach vorne wenden, weil Klaus uns erklärt, was wir als Erstes an diesem Tag tun werden.

      „Ich gebe allen eine Fragenseite und ihr schaut mal, was ihr darauf ausgefüllt bekommt.“

      Nah toll. Das kann ja was werden.

      Klaus gibt einen Stapel Zettel herum und jeder nimmt einen runter. Zeitgleich folgt eine Kiste mit Kugelschreibern.

      „Die Kugelschreiber hätte ich gerne wieder zurück“, ruft Klaus und Gemurmel und Gelächter hebt an.

      „Sind die nicht im Preis mit drin?“, ruft einer.

      „Nein, und ich habe auch nur begrenzt welche. Also bitte! Legt sie später in die Kiste zurück oder lasst sie auf dem Tisch liegen.“

      Als ich endlich den Zettel vor mir liegen habe und einen Kugelschreiber in der Hand halte, mache ich ein wenig Platz für Werner, damit auch er seinen Zettel problemlos auf den Tisch legen kann.

      „Danke!“, raunt er und sieht sich den Zettel an.

      Ich werfe Ellen einen hilflosen Blick zu. Oh Mann! Es ist zwar nur zum Ankreuzen, aber das kann auch schwer sein, wenn man nicht weiß, was man ankreuzen soll.

      „Manchmal gehen auch mehrere Antworten“, raunt Werner und beginnt Kreuze zu setzen.

      Ich lese mir die Fragen durch und die möglichen Antworten. Die erste geht leicht. Als ich bei der zweiten Frage ein Kreuzchen setzen will, schiebt Werner mit seinem Kugelschreiber meinen eine Antwort tiefer.

      Ich sehe ihn aus dem Augenwinkel an und er zwinkert mir zu.

      Als ich mich auf die nächste Frage stürzen will, tippt er auf eine weitere Antwort bei der vorherigen und ich lese sie mir nochmals durch.

      „Ach so?“, flüstere ich leise.

      „Ja!“, flüstert er zurück.

      So geht es den ganzen Zettel weiter. Er gibt mir fast immer die Antworten auf irgendeine Art und Weise vor und ich lese schon fast gar nicht mehr die Antworten, sondern warte ab, was er so meint. Da er einen anderen Fragenzettel hat als ich, lese ich eine seiner Fragen und weiß die Antwort. Frech kreuze ich mit meinem Kugelschreiber seine Antwort an.

      „Danke!“, säuselt er und schenkt mir ein Lächeln mit Grübchen.

      „Bitte!“, raune ich leise und setze mich zurück, um etwas mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Sein Lächeln kann einen schon aus dem Gleichgewicht bringen.

      „Poor! Ich muss zu Hause üben“, mault Ellen neben mir mürrisch. „Das ist ja voll schwer!“

      Ich beuge mich zu ihr und sehe mir ihre Fragen an. Da sie den gleichen Zettel wie Werner hat, gebe ich ihr die letzten drei Antworten vor und sie sieht mich überrascht an.

      „Der Scheiß liegt dir scheinbar!“

      „Nicht wirklich“, raune ich und lache leise. Mein Blick fällt auf Werner, der mich ganz offen mustert. „Hat mal jemand deine Sommersprossen gezählt?“, fragt er leise.

      „Was“, frage ich irritiert. Ich könnte ihm sagen, dass Marcel es oft versucht hatte, Tim einmal und Erik nie. Aber ich sage nichts und wende mich lieber Klaus zu, der auf die Uhr schaut und ruft: „So, die Zeit ist um. Wir haben drei verschiedene Fragenzettel, die im Umlauf sind. Wir besprechen jetzt jede Frage.“

      Auf der Wand hinter ihm erscheint riesengroß mein Fragenzettel und wir beginnen die Fragen alle nacheinander durchzukauen. Zu Ellens Erstaunen habe ich alles richtig. Ihr und Werners Zettel kommt als nächstes dran und Ellen hat zwei Fehler, Werner keinen. Den dritten Zettel durchnehmend, weiß ich, auf dem hätte ich gar nichts gewusst.

      „Gute Zusammenarbeit“, raunt Werner mir leise zu. „Danke!“

      Mein Gott, ist der lieb.

      „Bitte!“, murmele ich leise zurück.

      „Sag mal! Was wird das?“, faucht Ellen ein wenig zu laut.

      Klaus sieht auf und einige drehen sich zu uns um.

      „Was soll was?“, faucht Werner zurück.

      Die beiden sehen sich wie Kampfhähne an.

      „Sag mal, bist du lesbisch, dass du so ein Theater machst, wenn wir uns unterhalten?“ Werner zeigt auf mich und sich.

      Das war laut genug, um alle im Raum aufhorchen zu lassen.

      Ich schaue entsetzt von Werner zu Ellen und fahre dazwischen. „Das ist sie bestimmt nicht.“

      Klaus ruft uns zu: „Gibt es in der letzten Reihe irgendwelche Probleme?“

      Ich schüttele energisch den Kopf, während Ellen und Werner sich anstarren, als wollen sie sich an die Gurgel gehen.

      Ich verstehe die beiden nicht. Was haben die bloß miteinander?

      „Gut, dann machen wir die letzte Viertelstunde noch einen weiteren Fragenzettel“, höre ich Klaus ausrufen und setze mich mit ausgebreiteten Armen zurück, dass ich den beiden Kontrahenten unsanft vor die Brust stoße und sie sich zurücksetzen müssen. Somit unterbreche ich wenigstens ihren Blickkontakt und nehme mir vor, später Ellen zu fragen, was wirklich los ist.

      Die murmelt böse etwas vor sich hin und greift zu ihrem Handy. Das macht sie immer, wenn sie etwas aufregt, und ich widme mich genervt den Ausführungen unseres Lehrers über die verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten von irgendwelchen Schildern.

      Wir überziehen zehn Minuten, weil einige Fragen in der großen Gruppe aufgetaucht sind, die Klaus noch geduldig mit uns bespricht. Aber dann werden wir entlassen und Werner bringt seinen Stuhl wieder in den Gang zurück. Er scheint sauer zu sein und tut mir leid. Ellen sieht auch nicht mehr gut gelaunt aus und ich frage mich erneut, was sie so sehr daran stört, wenn ich mich mit jemandem unterhalte? Selbst bei ihrem Daniel macht sie nicht so einen Aufstand.

      Ich steuere Klaus an, der die Kugelschreiber einsammelt.

      „Kann ich Sie mal was fragen?“

      „Sicher!“,