Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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du nicht. Der Brief an ihn war schon nur für ihn bestimmt. Ich werde es nicht erlauben, dass du ihn zu etwas überredest.“ Natürlich geht das auch nicht, weil Erik darin auch etwas über seinen Drogenkonsum schreibt.

      Ein enttäuschtes Gemurmel setzt ein und Frau Greiner hebt die Hand. „Das ist etwas, was wir auf alle Fälle akzeptieren müssen. Zumal wir schon froh sein dürfen, dass wir Carolins Brief erleben durften. Lassen wir es dabei.“

      Ich nicke ihr dankbar zu und auch Ellen scheint nicht weiterbohren zu wollen. Vielleicht ist ihr klargeworden, dass Erik auch Gefühl gezeigt hat und das ist immer noch etwas, was sie schnell verstört, weil sie fast ihr ganzes Leben lang gedacht hat, er hat gar keine. Sie sieht mich aber eine Zeitlang nachdenklich an.

      Als Frau Greiner zu ihrem Pult geht, beugt Ellen sich zu mir rüber und raunt: „Tut mir leid. Du hast recht. Ich bin blöd, wenn ich denke, so ein Werner kann auch nur eine Sekunde mehr als Nettigkeit von dir erwarten.“

      Ich sehe sie irritiert an und nicke, den Brief zusammenfaltend und in meine Hosentasche schiebend. Wenn ich auch ein wenig das Gefühl habe, das mit der Bekanntmachung meiner Zeilen diese ein wenig an Wert verloren haben, so weiß ich doch, dass Erik selbst dafür an Wert in den Augen anderer gewonnen hat. Und das entschädigt mich dafür, dass meine Gefühle für ihn hier eben breitgetreten wurden. Mich hat das tiefe Gefühl für ihn wieder eingeholt, das mich diese Zeilen verfassen ließ, auch wenn er sich nur eingesperrt hatte, um mich wieder in seine Arme zu treiben. Dabei war ich ihm keine Sekunde daraus entflohen. Zumindest nicht in meinen Augen.

      In der Pause verspricht mir Ellen, Werner nicht mehr so viel Aufmerksamkeit zu schenken. „Soll er sich doch an dir die Zähne ausbeißen. Das geschieht ihm ganz recht und holt ihn von seinem Egotrip herunter.“

      „Du brauchst dir wegen niemandem den Kopf zerbrechen. Jedes Wort, was du heute gehört hast, ist wahr und beschreibt doch nur im Ansatz, was ich wirklich fühle“, antworte ich ihr ehrlich.

      Ellen sieht mich an, als könne ich nicht ganz bei Sinnen sein. Dann schüttelt sie den Kopf und dreht sich zu Andrea um, die auf uns zustürmt. „Carolin, schreibst du mir auch mal so was, wenn ich jemandem einen Liebesbrief schreiben will?“

      „Ne! Bestimmt nicht!“

      „Oh, warum denn nicht?“, fragt sie betroffen.

      „Weil ich das nicht einfach so schreiben kann. Das muss man auch fühlen!“

      Da die anderen auch zu uns stoßen, beenden wir das Thema. Aber Ellen scheint mit etwas zu kämpfen. Aber sie sagt nichts mehr dazu.

      Ich koche nach einem schönen, ruhigen, mit Kerzenlicht und guter Musik ausgefüllten Nachmittag unser Abendessen. Es gibt gefüllte Eierpfannkuchen.

      Erik kommt nach Hause und rauscht in die Küche, wo ich gerade nach dem Lied Wish you are here von Pink Floyd, das aus einem You Tube Mix gespielt wird, tanze. Dabei fülle ich mit schmierigen Fingern Käse und gekochten Schinken in die mit Frischkäse bestrichenen Eierpfannkuchen.

      „Hallo Schatz!“, sagt er und küsst mich auf die Wange.

      „Hey, dein Timing ist perfekt! Wir können gleich essen.“

      Für uns ein Bier und ein Alster aus dem Kühlschrank holend, deckt er den Tisch und ich wasche mir die Hände, bevor ich die Pfannkuchen auf den Tisch stelle.

      „Und, wie war es in der Schule?“

      Ich grinse ihn an. „Ich habe heute eine eins bekommen und du warst fast gar nicht beteiligt.“

      „Fast gar nicht?“, fragt er und lädt sich hungrig zwei Pfannkuchenrollen auf seinen Teller.

      „Wir haben heute unseren Brief wiederbekommen. Meiner war wohl der Beste, und der war an dich.“

      Erik sieht auf und seine braunen Augen funkeln gut gelaunt. „Ich trage ihn auch immer bei mir“, raunt er und stopft sich hungrig den Mund voll.

      „Echt?“, frage ich verdattert.

      Er nickt, aber ich glaube ihm kein Wort. „Ach komm! Du trägst den doch nicht immer bei dir?“

      Er lässt sein Besteck neben den Teller gleiten, steht auf, zieht seine Brieftasche aus der Hosentasche und holt aus einem Fach den kleingefalteten Brief.

      „Wow!“, hauche ich beeindruckt.

      „Ich glaube, ich kann ihn auswendig“, meint Erik und setzt sich wieder. Den zusammengefalteten Brief legt er auf den Tisch und verdeckt ihn mit seiner Hand, wie einen Schatz. Sein Blick versenkt sich in meinen und er raunt leise, meinen Brief rezitierend: „Ich schreibe dir diese Worte, weil du der Einzige bist, der sie verdient.“ Sein Blick wird sanft und seine Augen glänzend. „Unglaublich! Diese wenigen Worte sind schon wie eine Droge für mich, weil ich weiß, welche Worte es sein werden, die folgen.“ Leise gibt er den Inhalt meines Briefes wieder. „Sie erzählen von Gefühlen, die ich nie vorher kannte, so unglaublich tief in mich hineinreichend, so schmerzhaft, wenn ich denke, sie werden nicht erwidert und so süß, wenn du sie mit mir teilst. Ich will diese Gefühle ein Leben lang.“ Er schluckt. „Diese Worte kann ich so unterschreiben, denn sie gelten auch für mich, seit ich dich kenne.“ Seine Hand verstärkt den Druck auf den Brief und seine andere legt sich auf meinen Arm.

      „Sie erzählen von Liebe, die mich wie ein Nebel durchdringt und wenn ich an dein Gesicht denke, spüre ich eine Wärme in mir aufsteigen, die alle Kälte des Lebens verjagt. Wenn ich daran denke, wie du mich in deinen Armen hältst und unsere Körper verschmelzen lässt, wird diese Wärme zur Hitze, die selbst die Antarktis schmelzen kann, und wenn du mich an dich ziehst, damit keiner mir zu nahekommt, spüre ich, dass wir zusammengehören. Ich will diese Liebe ein Leben lang.“

      Er schüttelt ergeben den Kopf und sagt: „Das sind die Worte, die mir zeigen, dass du alles an mir liebst und mich nimmst wie ich bin, mit meinen Narben und allem, was sonst keiner so lieben kann wie du.“

      Ich schlucke. Ich muss mein Besteck ablegen, weil meine Hände etwas zittrig werden.

      Erik sieht mir tief in die Augen, sich ein wenig über den Tisch beugend und raunt: „Und sie erzählen von dem Schmerz, wenn wir uns dem Leben nicht gewachsen fühlen, das uns immer wieder mit Problemen überhäuft. Dieser Schmerz versucht das Gefühl und die Liebe zu mindern und mich von dir fern zu halten. Aber er kann mich verbrennen, er kann mich zerstückeln oder mich quälen, bis ich ohnmächtig werde … aber er wird nie die Kraft aufbringen, mich von dir zu trennen. Denn das wäre ein Schmerz, der mit nichts vergleichbar mich vernichten würde.

      Ich liebe dich mehr als mein Leben, mehr als meine Freiheit, mehr als irgendetwas auf dieser Welt … ja, das tue ich“, sagt er feierlich, legt seine Hand unter mein Kinn und küsst mich.

      Als er mich wieder loslässt, bin ich nur noch scheinbar feste Materie. Gefühlt bin ich eher Schmelzkäse bei hundert Grad.

      „Und jetzt essen wir“, raunt er mit der gleichen sanften Stimmlage, wie er den letzten Satz meines Briefes vorgetragen hatte, ohne auch nur einen Blick auf den Zettel werfen zu müssen. Den Brief steckt er wieder sorgsam in seine Geldbörse zurück, nimmt das Besteck und schneidet sich ein großes Stück Pfannkuchen ab.

      „Du bist nicht nur die süßeste, liebste, tollste und schönste Frau, sondern kannst auch echt gut kochen. Dich gebe ich um nichts auf der Welt wieder her“, säuselt er und grinst frech.

      „Ich dich auch nicht“, antworte ich verlegen und nehme auch wieder das Besteck in die Hand, von seinen Worten und dem Gedanken gefesselt, dass ihm der Brief und dessen Inhalt wirklich etwas bedeutet. Und mir wird wieder einmal mit einem Schlag in den Magen klar, wie sehr er sich verändert hat und wie viel mir an ihm liegt.

      „Hey, was ist los?“, fragt er unsicher, als er sieht, dass ich kaum esse.

      „Nichts! Alles in Ordnung“, raune ich leise und sehe doch in seinen Augen Besorgnis aufblitzen. „Ich bin nur wieder völlig baff, wie sehr du dich verändert hast und wieviel Liebe du mir entgegenbringst.“

      „Du mir doch auch!“, entgegnet